Der Wirtschaftsweise Achim Truger sieht trotz der zuletzt stark gestiegenen Preise kein neues Inflationsregime heraufziehen. Dass die Inflation steigen würde, sei wegen steigender Energiepreise und coronabedingter Lieferengpässe absehbar gewesen.
„Auch wird die höhere Inflation länger andauern als ursprünglich erwartet, weil die Störungen länger anhalten. Grund zur Sorge sehe ich deshalb aber nicht“, sagte Truger im Interview mit dem Handelsblatt. „Im Laufe dieses Jahres sollte die Inflation wieder zurückgehen.“ So würden einige Sondereffekte wie die nach einer vorübergehenden Senkung wieder angehobene Mehrwertsteuer 2022 wegfallen. Auch seien keine breiten Lohnerhöhungen in Sicht, die die Inflation weiter antreiben würden.
In der Debatte um den Aufbau einer Klimarücklage aus nicht genutzten Coronaschulden forderte Truger die Bundesregierung auf, ihre Pläne nachzujustieren. „Wenn man drei oder vier Ausgabenblöcke mit Obergrenzen definiert und klarmacht, inwiefern das der Überwindung der Coronafolgen dient, würde das die Klimarücklage sicher noch mal verfassungsfester machen“, sagte Truger.
Lesen Sie hier das vollständige Interview:
Herr Truger, die Inflationsrate ist im Dezember auf 5,3 Prozent geklettert. Müssen wir uns Sorgen machen?
Dass die Inflation steigen würde, struggle wegen steigender Energiepreise und coronabedingter Lieferengpässe absehbar. Nicht absehbar struggle hingegen, dass die Preise so stark steigen würden. Auch wird die höhere Inflation länger andauern als ursprünglich erwartet, weil die Störungen länger anhalten. Grund zur Sorge sehe ich deshalb aber nicht. Im Laufe dieses Jahres sollte die Inflation wieder zurückgehen.
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Was macht Sie da so sicher? Die Bundesbank erwartet für dieses Jahr sogar eine noch höhere Inflation als im zurückliegenden.
Ja, im Jahresdurchschnitt. Die Bundesbank wollte mit ihrer Prognose vielleicht auch ein Sign setzen, dass man die Inflationsgefahren nicht unterschätzen sollte. Das sollte man auch nicht. Die überwiegende Mehrheit der Prognosen geht aber davon aus, dass die Inflationsraten im Jahresverlauf mit dem Abklingen der Störfaktoren und Sondereffekte wie der Wiederanhebung der vorübergehend gesenkten Mehrwertsteuer wieder sinken werden. Entscheidend ist doch, ob die Löhne infolge der höheren Inflation steigen, woraufhin wieder die Preise steigen, wir additionally in eine Lohn-Preis-Spirale geraten. Derzeit deutet nichts auf eine solche Spirale hin, die absehbaren Lohnsteigerungen sind moderat.
Die US-Notenbank allerdings strafft die Geldpolitik deutlich stärker als die Europäische Zentralbank.
Die Lage in den USA ist doch eine völlig andere. Die Inflation ist höher, die Finanzpolitik expansiver, die Konjunktur mehr in Schwung. In dieser Scenario kann die US-Notenbank die Geldpolitik stärker straffen. In Europa aber verschiebt sich der Aufschwung durch die Omikron-Welle gerade nach hinten. Dass die EZB da erst einmal einen vorsichtigeren Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik angedeutet hat, finde ich völlig angemessen.
Verfolgt die EZB aus Rücksicht auf den Süden Europas eine vorsichtigere Politik, weil einige Euro-Staaten in Finanzierungsprobleme geraten könnten, wenn die EZB nicht mehr massiv deren Schulden finanziert?
Das sehe ich nicht so. Die EZB versucht mit ihren Anleihekäufen, ihr Inflationsziel zu erreichen. Wenn man sich Schuldenstand und die Zinslast südeuropäischer Staaten anschaut, können diese durchaus etwas höhere Zinsen vertragen. Und wenn sich nach Ende der Pandemie der Aufschwung wie erhofft einstellt, dürfte sich ihr Schuldenstand verringern, auch mit höheren Zinsen.
Mit Joachim Nagel gibt es einen neuen Bundesbank-Präsidenten. Eine gute Wahl?
Ich hätte mir auch intestine eine Frau an der Spitze der Bundesbank vorstellen können, aber ich habe keine Zweifel, dass Joachim Nagel seine Aufgabe intestine machen wird.
Viele Bürger erwarten vom Bundesbank-Präsidenten, die Inflation in den Griff zu bekommen. Wie soll Nagel das innerhalb des EZB-Rats leisten, wo die Bundesbank zuletzt isoliert struggle?
Die Bundesbank ist nicht mehr für die Geldpolitik verantwortlich, aber natürlich kann Joachim Nagel im EZB-Rat Einfluss nehmen. Und natürlich kann die Bundesbank einen Beitrag leisten, etwa die sehr intestine aufgestellte Forschungsabteilung mit ihren Untersuchungen.
Bei den jüngsten Inflationsprognosen lagen alle komplett daneben: EZB, Bundesbank, Ökonomen. Warum?
Wir alle erleben zum ersten und hoffentlich einzigen Mal in unserem Leben eine solche Pandemie. Dass es bei den Lieferketten nicht nur ruckeln, sondern so haken würde, struggle schwer vorhersehbar. Ebenso wenig die Ausschläge beim Ölpreis. Etwas anderes ist die jüngste Coronawelle. Da würde ich selbstkritisch einräumen, dass viele, auch der Sachverständigenrat, davor nicht rechtzeitig gewarnt haben. Wir hätten wie im Vorjahr die Auswirkungen abschätzen können. Allerdings ist das Konjunkturbild, das im Vorjahr gezeichnet wurde, noch intakt: Die Erholung ist angelegt, verschiebt sich aber.
Additionally sind keine weiteren Maßnahmen zur Konjunkturstützung notwendig?
Das Wichtigste ist weiterhin die Unterstützung für die betroffenen Unternehmen und Beschäftigten. Die neue Bundesregierung hat die Coronahilfen auch rasch verlängert.
Was sollte die Regierung tun, wenn doch noch weitere Maßnahmen notwendig würden?
Viele investive Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag werden die Erholung ohnehin stützen. Vor allem darf die Finanzpolitik nicht zu früh auf Konsolidierungskurs gehen und muss bereit sein, falls notwendig, noch einmal einen Schub zu geben.
Die Ampelregierung will einen „neuen Aufbruch wagen“. Ist ihre Finanzpolitik ein neuer Aufbruch?
Gemessen daran, wie unterschiedlich die drei Wahlprogramme waren, ist es bemerkenswert, dass der Koalitionsvertrag finanzpolitisch Aufbruchssignale mit klarer Richtung gibt. Die Ampel hat sich pragmatisch auf einen ganzen Strauß von Instrumenten geeinigt, um mehr in Klimaschutz, Infrastruktur und Wohnen investieren zu können.
Additionally sind Sie jetzt Fan des neuen Bundesfinanzministers Christian Lindner (FDP), nachdem Sie im Wahlkampf gegen dessen Steuersenkungspläne noch leidenschaftlich ins Feld gezogen sind?
(lacht). Mir gefällt sehr intestine, dass Herr Lindner das Bundesfinanzministerium als Ermöglichungs-Ministerium bezeichnet hat. Das deckt sich mit meinen Vorstellungen von einer Ermöglichungs-Wissenschaft. Der Sachverständigenrat hatte ja lange Zeit die Rolle des Mahners und Warners. Doch Wissenschaft darf nicht immer nur sagen, was nicht sein soll, sondern muss auch pragmatisch sagen, was geht. Lindner sieht seine Rolle offenbar ähnlich. Weniger verhindern, mehr machen.
Aber kann man ernsthaft von Aufbruch sprechen, wenn in der Steuerpolitik die Blockadepolitik der Großen Koalition fortgesetzt wird und einfach nichts geschieht?
Die Steuersenkungspläne der FDP im Volumen von 90 Milliarden Euro jährlich waren schlicht Wahnsinn. Nicht mal die 30 Milliarden, die die Union gefordert hat, waren realistisch. Ich hätte mir gewünscht, obere Einkommen etwas stärker zu belasten, um im Gegenzug untere Einkommen zu entlasten. Schade, dass das politisch nicht machbar struggle.
Dafür schraubt die Bundesregierung ordentlich an der Schuldenbremse.
Na ja, schraubt? Sie nutzt den legalen Spielraum, den die Schuldenbremse ihr lässt.
Den geplanten Aufbau einer Klimarücklage aus nicht genutzten Coronaschulden halten Sie nicht für angreifbar?
Offenbar wird er ja angegriffen, es haben sich schon einige Staatsrechtler kritisch zu Wort gemeldet. Um den Aufbau zu rechtfertigen, braucht es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Coronakrise und den Ausgaben, die man durch die Rücklage tätigen will. Das ist anspruchsvoll, aber machbar. So wurden wegen Corona Investitionen unterlassen, wodurch das zukünftige Wachstum gehemmt wird. Auch gibt es für längere Zeit höhere Sozialausgaben. Die Regierung kann auf die Kritik ja noch einmal reagieren.
Inwiefern?
Die Ampel könnte die Begründung für die Klimarücklage noch einmal nachschärfen. Alle geplanten Ausgaben minutiös festzulegen würde die künftige Gesetzgebung zu stark binden. Aber die Rücklage darf auch nicht völlig unkonkret sein. Wenn man drei oder vier Ausgabenblöcke mit Obergrenzen definiert und klarmacht, inwiefern das der Überwindung der Coronafolgen dient, würde das die Klimarücklage sicher noch mal verfassungsfester machen.
Die Rücklage ist nicht der einzige Weg, wie die Ampel die Schuldenbremse umgehen will. Fürchten Sie nicht, eine solche Politik, die Regeln eher laxer auslegt, könnte in Europa Nachahmer finden?
Ich halte dieses ganze Gerede, dass höhere Ausgaben immer gleich ein Dammbruch oder der Weg in die Knechtschaft sind, für völlig verfehlt. Es geht um Maßnahmen, die 0,5 oder ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen. Da kann man nicht so tun, als träten wir eine nicht mehr aufzuhaltende Schuldenlawine los. Wir brauchen dringend eine Versachlichung der Debatte. Und für Europa ist ohnehin nicht die deutsche Schuldenbremse maßgebend, sondern die EU-Fiskalregeln.
Die auf Betreiben einiger Euro-Länder auch gelockert werden sollen.
Nicht nur auf Betreiben einiger Euro-Länder. Der Internationale Währungsfonds, der Europäische Rettungsschirm, ja eigentlich alle sind für eine Reform. Bei Schuldenstandsquoten von über 100 Prozent im Euro-Raum ist die zügige Rückkehr zur Maastricht-Grenze von maximal 60 Prozent Staatsverschuldung obsolet.
Was schlagen Sie vor? Grüne Investitionen von den Schuldenregeln ausnehmen?
Ja, das ist eine Möglichkeit. Mehr Spielräume für Investitionen und Konjunkturstabilisierung bei den EU-Schuldenregeln. Man könnte auch analog zum Corona-Wiederaufbaufonds einen EU-Klimafonds schaffen, dessen Mittel die EU-Kommission über Schulden finanziert. Wir müssen die Klima-Investitionen hinbekommen. Mit einem Klimafonds ließe sich die Finanzierungsfrage für viele Staaten, übrigens auch für Deutschland, dauerhaft lösen. Ohne Reformen wird es jedenfalls nicht gehen.
Mehr: EZB-Direktorin Schnabel: Energiepreise könnten Schritte gegen Inflation erfordern