Austin, Düsseldorf Seit einem Gerichtsurteil am Montag haben Facebook und Instagram etwas mit den Taliban und Alexei Nawalnys Bürgerrechtsbewegung gemeinsam: Sie gelten in Russland als „extremistische Organisationen“ und sind offiziell verboten. Gesperrt waren die Netzwerke vorher schon.
Offiziell reagiert Russland damit auf eine Entscheidung von Meta: Der Mutterkonzern von Facebook und Instagram hat vorübergehend seine Regeln für ukrainische Nutzer gelockert, bei Gewaltaufrufen gegen das russische Militär wird jetzt nicht mehr rigoros gelöscht.
Doch viel spricht dafür, dass sich Russland an den Netzwerken grundsätzlich stört. Bürger finden dort unliebsame Informationen über den Krieg in der Ukraine, die die russische Propaganda stören.
Schon seit Jahren versucht Russland mit rechtlichen und technischen Mitteln, das Internet im Land zu kontrollieren. Mit dem Angriff auf die Ukraine ist der Wunsch nach einer Web-Brandmauer und einem staatlichen Informationsmonopol größer denn je.
Jetzt diskutiert aber auch die westliche Welt, ob man Russland datentechnisch isolieren sollte. So könnte mit modernen Mitteln ein neuer „eiserner Vorhang“ entstehen, der durch das World Large Internet verläuft.
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Schon heute sind viele Seiten im globalen Web von Russland aus kaum noch erreichbar. Internationale Nachrichtenportale wie BBC, Deutsche Welle oder Voice of America sind spätestens seit Beginn des Kriegs gesperrt. Das gilt auch für die in Lettland ansässige Plattform Meduza. Die Medien- und Telekommunikationsaufsicht Roskomnadsor begründet die Verbote damit, die Portale würden Falschinformationen verbreiten. Ähnliche Drohungen gibt es auch schon gegen Youtube oder Twitter.
Unabhängige russische Medien gebe es mit Ausnahme der Zeitung „Nowaja Gaseta“ de facto nicht mehr, berichtet die Organisation Reporter ohne Grenzen. Seit der Parlamentswahl 2021 sei der Druck auf die Redaktionen deutlich erhöht worden.
Wie Russland unliebsame Informationen aus seinem Netz filtert
Wie Russland die Sperren technisch genau umsetzt, ist unklar. Alena Epifanova weiß dennoch einiges darüber. Sie forscht bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) an Russlands Innen- und Außenpolitik im Cyberraum. Heimische Firmen seien behördlich verpflichtet, Technologie für die sogenannte „Deep-Packet-Inspection“ (DPI) zu installieren, sagt sie.
Mit solchen Technologien können Datenpakete überwacht und gefiltert werden. Mindestens 70 Prozent der Web-Service-Supplier seien Expertenschätzungen zufolge bereits damit ausgestattet. „Jetzt, wo die Behörden Twitter, Fb und Instagram blockiert haben sehen wir, dass die russische DPI-Technologie ziemlich erfolgreich ist.“
Eine gewichtige Rolle spielt Yandex, das mit seiner Suchmaschine, einem eigenen Browser und seinem E-Mail-Dienst ein ähnliches Angebot hat wie Google. Yandex kooperiere stark mit den russischen Geheimdiensten, speichere Daten und filtere über seine Suchmaschine und den eigenen Browser bestimmte Medien heraus.
So undurchlässig wie die „Nice Firewall“ in China sind die russischen Maßnahmen allerdings nicht. Das liegt an der Konstruktion. „Das russische Web ist ganz praktisch über Kabel und Server mit dem internationalen Web verbunden, und an seinem Aufbau haben sich viele ausländische Firmen beteiligt“, sagt Epifanova.
In China sei das Web dagegen von vornherein als zentralisiertes und staatlich organisiertes Netz aufgebaut worden. Heute sperrt die Volksrepublik nicht nur globale Netzwerke wie Fb, Instagram oder Youtube. Sie verlangsamt auch den Zugriff auf nahezu alle internationalen Internetseiten, sodass man sie nur ungern nutzt. Heimische Internetfirmen wie Tencent und Baidu beschäftigen zudem Tausende Zensoren, die regierungskritische Inhalte löschen.
Unabhängige Internetzeitungen lesen ist noch möglich – über Umwege
Mit etwas technischem Verständnis lassen sich die Sperren in Russland noch umgehen – mit einem Digital Non-public Community (VPN) beispielsweise, das die Verbindung verschlüsselt und damit der Kontrolle entzieht. Die Nutzungszahlen solcher Dienste haben sich in Russland binnen weniger Wochen vervielfacht. Für die breite Bevölkerung sei die Anwendung aber nicht trivial, sagt Ulrike Gruschka, die bei Reporter ohne Grenzen als Referentin für Osteuropa zuständig ist.
Auch über den Messengerdienst Telegram kommen Menschen in Russland noch an unabhängige Informationen. 2018 conflict die Aufsichtsbehörde damit gescheitert, die App zu blockieren, und hatte damit gar Massenproteste ausgelöst. Nun bespielen dort unabhängige Medien ebenso eigene Kanäle wie die russischen Behörden.
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Doch in Zukunft könnte es für Menschen in Russland noch schwieriger werden, internationale Web sites und unabhängige Informationen zu kommen. Auf Druck der Öffentlichkeit haben sich einige westliche Technologieunternehmen aus dem Land zurückgezogen, die für die digitale Infrastruktur wichtig sind, etwa die Internetdienstleister Lumen und Cogent. Die Folge: Zugriffe auf Web sites – besonders im Ausland – werden in Russland spürbar langsamer. Auch Netflix und Tiktok schränken ihre Dienste ein.
Mit einem „Kill-Swap“ könnte der Westen Russland aus dem Netz schmeißen
Zudem drohen harte Maßnahmen aus der EU. Denn erstmals wird auch dort diskutiert, Internetverbindungen mit Russland zu kappen. Einerseits fordert die ukrainische Regierung entsprechende Maßnahmen: Sie will, dass Aufrufe russischer Seiten, etwa Web sites mit der Endung „.ru“, ins Leere laufen. Andererseits sprechen Cybersicherheits-Überlegungen dafür.
Würde man Russland durch einen sogenannten Kill-Swap vom globalen Web trennen, wäre der Relaxation der Welt besser vor russischen Hackerattacken geschützt. Vor solchen Angriffen warnen Experten als Vergeltungsmaßnahme für die gegen Russland verhängten Sanktionen.
„Wir werden in den kommenden Monaten intensiv beraten“, sagte die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Margrethe Vestager, in einer Gesprächsrunde bei dem US-Technologiefestival South by South West. Sie machte jedoch auch klar, dass es um eine schwere Entscheidung geht: „Wollen wir wirklich das Web, wie wir es kennen, für Cybersicherheit opfern?“
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Die gemeinnützige Organisation Icann, die das umsetzen könnte, hat den ukrainischen Forderungen eine Absage erteilt. Dieses von Los Angeles aus verwaltete virtuelle Telefonbuch sorgt dafür, dass Internetadressen richtig aufgerufen werden können. Das heißt: Wer ein solches Verzeichnis verwaltet, kann bestimmen, wer von wo aus welche Seite im Web erreichen kann.
„Wir ergreifen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Funktionsweise des Internets nicht politisiert wird“, schrieb Icann-Chef Göran Mary. Man habe keine Befugnis, Sanktionen zu verhängen. Die Diskussion ist jedoch nicht beendet. Es wurden bereits erste Rücktrittsforderungen an Mary gestellt.