Kapstadt/Peking/New York/Paris/Bangkok Im Verkaufsraum des thailändischen Unternehmers Phattaraphon Hongsrisook gibt es keinen Zweifel, wer die wichtigste Zielgruppe für seine funkelnden Edelsteine ist: Das Private in seinem Bangkoker Schmuck- und Souvenirladen spricht fließend Mandarin.
Die Vitrinen mit den besonders kostbaren Ausstellungsstücken sind nicht in der Landessprache, sondern mit chinesischen Schriftzeichen gekennzeichnet. Vor dem Eingang gibt es breite Stellplätze für die Busse der Reisegruppen aus China, die lange Zeit das Stadtbild in der thailändischen Metropole prägten.
Bis zu 90 Prozent der Kunden in seinen insgesamt vier Niederlassungen stammten vor Beginn der Coronapandemie aus China, erzählt Phattaraphon, der den Familienbetrieb Gems Gallery in zweiter Era führt. Die Abhängigkeit von den Besuchern aus Asiens größter Volkswirtschaft erweist sich für den 34-Jährigen nun als großes Downside.
Während seine Mitarbeiter früher täglich mehrere Tausend Menschen an glitzernden Halsketten, Ringen und Armbändern vorbeiführten, ist seine geräumige Ausstellungsfläche nun beinahe menschenleer. Chinas strenge Reisebeschränkungen sorgen dafür, dass quick kein Chinese language mehr Richtung Thailand aufbricht.
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„Es schmerzt, den Laden so zu sehen“, sagt Phattaraphon, dessen Jahresumsatz nach eigenen Angaben um mehr als 95 Prozent eingebrochen ist. Besonders leidtue es ihm für die Verkäuferinnen und Verkäufer, die kaum noch Provisionen verdienen könnten. „Uns bleibt nur zu hoffen, dass die Chinesen bald wieder reisen können“, sagt der Unternehmer.
Die Leere in Phattaraphons Schmuckgeschäft ist Teil einer der tiefgreifendsten Veränderungen im Zuge der Pandemie, die sich rund um den Globus bemerkbar macht: Das größte Volk der Welt hat sich auf einen Schlag aus der internationalen Öffentlichkeit zurückgezogen.
Die Auswirkungen zeigen sich rund um den Globus: In Paris leiden Luxusgüterkonzerne unter dem Wegfall der zahlungskräftigen Kundschaft. US-Universitäten haben eine wichtige Einnahmequelle verloren.
Thailand: Einem Urlaubsland fehlen die besten Gäste
In Thailand ist das Fernbleiben der Chinesen besonders deutlich zu spüren – auch außerhalb Phattaraphons Edelsteinladen. Das südostasiatische Urlaubsland warfare vor der Pandemie das beliebteste internationale Reiseziel für Chinesen. Zwölf Millionen von ihnen zählte Thailands Tourismusindustrie noch 2019. Aus China kamen damit so viele Besucher wie aus keinem anderen Land.
Doch das ist Geschichte: Zwar ermöglicht Thailand geimpften Urlaubern eine beinahe quarantänefreie Einreise. Für chinesische Touristen ist das aber unattraktiv, weil sie bei der Rückreise in die Heimat zwischen zwei bis drei Wochen in Quarantäneeinrichtungen verbringen müssen. „Der Massentourismus wird nicht rasch zurückkehren, solange China noch abgeschottet ist“, prognostiziert der thailändische Hotelier Invoice Heinecke, der den Bangkoker Tourismuskonzern Minor Worldwide leitet. „Niemand weiß, wie lange das noch der Fall sein wird.“
Chinesen sorgen sich vor Infektion im Ausland
Die Einstellungen in der chinesischen Bevölkerung zum Reisen haben sich inzwischen geändert. So wie bei Chen Shu. Normalerweise hätte die 38-Jährige in den vergangenen zwei Jahren bereits mindestens viermal China verlassen. Chen reist gern und häufig, in den kalten Wintermonaten meist nach Thailand, zusätzlich noch zu einem zweiten Ziel im Jahr, zum Beispiel irgendwo in Südamerika. Doch seit zwei Jahren ist Chen nicht mehr ins Ausland gereist – und mit ihr Hunderte Millionen anderer Chinesen, die es normalerweise lieben, die Welt zu entdecken oder sich in der Ferne zu bilden.
Mehr zu Chinas Vorgehen in der Pandemie
Chen hat vor allem Angst, sich mit Corona zu infizieren. In China waren die Infektionszahlen aufgrund einer drakonischen Null-Fall-Strategie der chinesischen Staatsführung bislang weitgehend stabil auf einem sehr niedrigen Niveau. Die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken, warfare verschwindend gering. Im Ausland sieht das anders aus. „Ich möchte meinem Land nicht zur Final fallen und andere Menschen infizieren“, sagt Chen. Daher bleibe sie lieber zu Hause.
Hinzu kommt, dass die chinesischen Behörden wegen der Pandemie nahezu keine Reisepässe für chinesische Staatsbürger mehr ausstellen. Laut den aktuellsten Daten der Nationalen Einwanderungsbehörde wurden 2021 landesweit gerade einmal 630.000 Reisepässe ausgestellt, vor allem für Studien- und Arbeitsaufenthalte im Ausland sowie Geschäftsreisen – ein Bruchteil dessen, was vor der Pandemie üblich warfare. Erst im Februar bekräftigte die zuständige chinesische Behörde, dass sie weiterhin keine Reisepässe erneuern oder ausstellen werde, wenn die Reise nicht absolut notwendig sei.
Der Rückgang des internationalen Luftverkehrs von und nach China ist dramatisch. Im Jahr 2019 reisten von Januar bis November laut der Zivilluftfahrtbehörde Chinas (CAAC) noch 68 Millionen Menschen mit dem Flugzeug ein und aus. 2021 waren es gerade mal 1,3 Millionen.
Frankreich: Luxus ohne Käufer
Dass die Chinesen zu Hause bleiben, erleben auch die Modehändler in Paris. Vor dem Flagship-Retailer von Louis Vuitton auf den Champs-Élysées standen früher Schlangen von Wartenden. Doch jetzt herrscht dort Leere. Auch im Luxuskaufhaus Galeries Lafayette in der Nähe der alten Oper Garnier drängten sich früher Menschenmengen, heute ist es dort ganz ruhig. Mit dem Ausbleiben der chinesischen Kunden ist ein wichtiger Umsatzbringer der Luxusindustrie weggefallen.
Chinesen hatten laut einem Pariser Tourismusverband im Jahr vor Beginn der Pandemie allein beim Procuring – vor allem Kleidung und Taschen – 265 Millionen Euro in der Area ausgegeben. Die großen Pariser Luxuskaufhäuser Galeries Lafayette, Printemps und Bon Marché sowie die anderen Luxusläden profitierten von der überdurchschnittlich großen Spendierfreude der ostasiatischen Kundschaft.
Wie die Tourismusagentur Atout France beziffert, machten Chinesen 2,5 Prozent der Urlauber in Frankreich aus, sorgten aber für sieben Prozent der Touristeneinnahmen – insgesamt vier Milliarden Euro im Jahr. „Die Auswirkungen auf den Hotelbereich und die Luxusindustrie sind groß“, sagt Jean-Pierre Mas, Präsident des Verbandes der Reiseunternehmen in Frankreich.
Die Hersteller der Luxusgüter werden mit tiefgreifenden Veränderungen konfrontiert. Touristenkäufe im Ausland sind laut einer im Dezember veröffentlichten Branchenstudie des Beratungsunternehmens Bain & Firm seit 2019 um 80 bis 90 Prozent zurückgegangen – zu großen Teilen wegen des Chinaeffekts. Die Chinesen standen vor der Pandemie für rund ein Drittel der globalen Luxuseinkäufe. Statt in Paris shoppen die Einwohner der Volksrepublik nun aber zunehmend im eigenen Land.
Fraglich ist, wie lange das noch so bleibt. Die Bain-Studie geht davon aus, dass die Ausgaben der chinesischen Kunden in der zweiten Hälfte 2022 oder in der ersten Hälfte 2023 wieder steigen werden, „wenn sich die Touristenströme normalisieren“. Für Europa wird aber erst 2024 wieder Normalität erwartet. Chinaexperten, wie Nancy Dai vom Spezialisten für Reisetrends Ahead Keys, rechnen erst im Jahr 2025 wieder damit, dass sich die chinesische Reisetätigkeit auf Vorkrisenniveau normalisiert.
USA verzeichnen deutlichen Rückgang chinesischer Studenten
Von Normalität ist auch der akademische Betrieb in den USA weit entfernt. Im akademischen Jahr 2019/20 studierten noch 373.000 chinesische Studenten in den Vereinigten Staaten, im darauffolgenden Jahr ging die Zahl der Studierenden um 15 Prozent zurück. Die Zahlen für das laufende Jahr liegen zwar noch nicht vor. Aber laut der Bewerbungsplattform CommonApp waren bereits die Bewerbungen um weitere 18 Prozent gesunken.
Damit verlieren die US-Universitäten wichtige Geldquellen. Laut US-Handelsministerium hatten chinesische Studenten im Jahr 2019 knapp 15 Milliarden Greenback in Kind von Studiengebühren sowie für Kost und Logis ausgegeben.
Gründe für den Rückgang der Studierenden sind die Pandemie und die schwierigen Visaregelungen in den USA. Zuletzt haben auch die Übergriffe auf asiatischstämmige Menschen in den USA zugenommen. Hinzu kommen Spionagevorwürfe gegenüber chinesischen Studenten und Forschern. Viele Chinesen schauen derzeit nach Kanada, um dort ihren amerikanischen Traum zu realisieren, wo die Universitäten deutlich weniger kosten.
„Wir schießen uns nicht in den Fuß, sondern in irgendetwas in der Nähe unseres Kopfs“, kritisierte der chinesischstämmige Stanford-Professor und Nobelpreisträger Steven Chu jüngst. Er fordert vor allem, dass Studenten nach dem Abschluss eine Greencard garantiert werden sollte.
„Wir werden zu kämpfen haben“
In Thailand sucht Edelsteinhändler Phattaraphon unterdessen nach einem neuen Geschäftsmodell, um sein Unternehmen auch trotz des Fernbleibens seiner wichtigsten Kundschaft über Wasser zu halten. Dies sei aber alles andere als einfach, erklärt er. So habe er versucht, die bunten Steine verstärkt an Einheimische zu verkaufen.
Doch Thailänder würden sich quick ausschließlich für weiße Diamanten interessieren, sagt er. Das sei aber nicht die Spezialität seiner Firma. Er versucht nun, mit einem neuen Brautschmuckableger die lokale Vermarktung zu verbessen. Trotzdem will Phattaraphon die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr seiner chinesischen Kundschaft nicht aufgeben. „Ohne sie können wir zwar vielleicht überleben – aber wir werden zu kämpfen haben.“
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