Düsseldorf Ende Februar spielt Russlands Eishockey-Nationalmannschaft im Finale des olympischen Turniers um den Sieg. Doch gegen Finnland wird aus der erhofften Verteidigung der Goldmedaille nichts. Vier Jahre zuvor in Südkorea hatte die Truppe um den in den USA spielenden Famous person Alexander Owetschkin bei einer der weltweit meistbeachteten Sportveranstaltungen überhaupt den Prestigeerfolg für Russland geholt.
Nun hat wenige Wochen nach Ende der Olympischen Winterspiele Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine auch die Sportwelt verändert. Owetschkin ist zwar noch immer einer der besten Spieler der nordamerikanischen Eishockeyliga NHL, wurde zuletzt aber gerade in Kanada mit Pfiffen empfangen. Die Sportikone gilt als Putin-Freund, auf Instagram begrüßt ein Foto mit dem Präsidenten die Millionen Follower. Die NHL hat die Geschäftsbeziehungen mit Russland abgebrochen, stellt sich aber vor ihre russischen Spieler.
Doch mit dieser Solidarität steht die Liga allmählich allein. Russische Athleten, die bei Olympischen Spielen als Folge eines staatlich orchestrierten Dopingsystems ohnehin nicht mehr unter ihrer Landesflagge antreten dürfen, werden auch von den verbliebenen internationalen Wettbewerben ausgeschlossen. Russische Sporthelden dürfte es in naher Zukunft wohl nicht mehr geben.
Der Ausschluss trifft das Land härter, als das bei vielen anderen Nationen der Fall wäre. „Der russische Sport wird in vielerlei Hinsicht verwendet, um das Großmachtnarrativ zu unterstreichen“, sagt Timm Beichelt, Professor für Europa-Studien an der Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Seit Jahrzehnten benutze der Kreml den Sport als wichtiges Propagandainstrument.
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Das Kalkül: Sporterfolge versprechen internationale Anerkennung. Zudem sollen sie die finanziellen und organisatorischen Fähigkeiten eines Landes vor einem Millionenpublikum demonstrieren, wie bei den Olympischen Winterspielen 2014 oder der Fußball-WM 2018, die in Russland stattfanden.
„Der Sport hilft, Nationbuilding zu betreiben“, sagt Christoph Breuer, Professor für Sportökonomie an der Sporthochschule Köln. „Bei großen Wettbewerben versammeln sich ganze Länder hinter einer Mannschaft oder einem Sportler.“ Sportlicher Erfolg könne so den Nationalstolz, gar den Patriotismus stärken.
Starke Verquickung von Sport und Politik
Wissenschaftler um den Stanford-Politologen Neil Malhotra haben vor intestine zehn Jahren herausgefunden, dass sportliche Erfolge indirekt sogar die politische Zustimmung bei den Bürgern erhöhen können. Siegt die eigene Mannschaft, sind die Anhänger intestine gelaunt. Und Menschen mit positiven Emotionen neigen eher dazu, sich mit dem Establishment zufriedenzugeben – additionally auch mit dem Amtsinhaber. Das römische Prinzip „Brot und Spiele“ bewahrheitet sich noch heute.
„Im Gegensatz zu Deutschland ist der russische Sport nicht autonom“, sagt Beichelt. Jedes Jahr pumpt der Kreml große Summen in die Sportförderung, die Höhe lässt sich nicht seriös beziffern. „Die russischen Sportverbände sind sehr intransparent“, sagt Sportökonom Breuer. Das Ziel ist klar: Erfolg um jeden Preis.
Der Staatsapparat spritzte seine Sportler mit einem Dopingsystem an die Spitze des Medaillenspiegels. Seit 2018 dürfen russische Sportler bei Olympischen Spielen deshalb nicht mehr unter der russischen Flagge antreten.
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Vielleicht nirgendwo ist die Verbindung von Sport und Politik so eng wie in Russland. Ein Beispiel ist die Vita des russischen Sportfunktionärs Witali Mutko. In den 1990er-Jahren wurde er Präsident des Gazprom-Klubs Zenit St. Petersburg. Später wurde Mutko ins Parlament gewählt und gleichzeitig Präsident des russischen Fußballverbandes. Danach stieg er zum Sportminister auf. Als das Staatsdoping im Zuge der Spiele von Sotschi im Jahr 2015 aufflog, musste Mutko seinen Sportminister-Posten räumen. Weitere Konsequenzen? Keine. Er wurde zum Vizepremier gemacht und zum Vizeminister.
Wirtschaftsfaktor Sport
„Politische Loyalität wird in Russland oft mit Führungspositionen belohnt“, sagt Beichelt. Deshalb sind es meist Putin-Getreue, die russische Sportverbände leiten oder Russland in internationalen Sportverbänden repräsentieren. Diese Gruppe sei wohl das Hauptziel des Boykotts, vermutet Beichelt.
Viele der Funktionäre dürften beim Ausschluss von der internationalen Sportgemeinschaft beschäftigungslos werden. Dadurch nehme man der russischen Regierung ein Instrument, gesellschaftliche Eliten an sich zu binden, erklärt der Experte.
Eine nahezu vollständige Isolierung aus der Sportwelt hat auch ökonomische Auswirkungen. Das „Abschneiden der eigenen Nationen hat durchaus einen Effekt auf die Konsumfreude eines Landes“, sagt Christoph Breuer. Sportliche Höchstleistungen helfen auch, die Konsumfreude zu erhöhen. Die Ausgaben kurbeln wiederum die Wirtschaft an.
Laut Breuer werden die jährlichen Umsätze der Sportwirtschaft in Russland auf etwa sieben Milliarden Euro geschätzt. Dabei handelt es sich allerdings um eine sehr grobe Schätzung. Eine genaue statistische Erfassung der russischen Sportwirtschaft wie sie für Deutschland, Österreich oder Großbritannien vorliegt, existiert nicht.
Die russische Regierung hat in den vergangenen Jahren zudem massiv in Sport-Großveranstaltungen investiert. So sollen die Olympischen Winterspiele in Sotschi rund 30 Milliarden Euro gekostet haben, die Fußball-Weltmeisterschaft wohl mindestens zehn Milliarden Euro.
Experten schätzen, dass die eigentlichen Kosten für beide Veranstaltungen deutlich höher gelegen haben dürften. Für Beichelt sind die Veranstaltungen reines politisches Kalkül: „Das ist Staatsmarketing. Diese Veranstaltungen sollen Russland als weltoffenes Land präsentieren.“ Der Krieg mache die teuer eingekaufte, sowieso schon stark infrage gestellte Status wieder zunichte.
Wie hart der sportliche Boykott Russland trifft, sei nur schwer zu beantworten, sind sich Beichelt und Breuer einig. „Ist der Ausschluss kriegsentscheidend? Nein. Destabilisiert er das Land? Vermutlich auch nicht. Aber natürlich trifft das viele sportbegeisterte Followers und lässt vielleicht auch einige zweifeln“, sagt Beichelt.
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