in Den Haag vor dem Internationalen Strafgerichtshof standen bisher vor allem Verdächtige aus Afrika. Belangt werden kann man hier wegen Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverbrechen. Sitzt hier bald Wladimir Putin, der in Kiew und Charkiw und Mariupol alle Zweifel am geostrategischen Stalinismus wegbomben will, auf der Sünderbank? Chefankläger Karim Ahmad Khan kündigt eine Untersuchung dazu an, ob Russlands Staatspräsident ein Kriegsverbrecher ist oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt hat.
Obwohl die Ukraine nicht dem Internationalen Strafgerichtshof angehört, habe sich das Land nach Putins Invasion eine Rechtsprechung verdient. Litauen hatte die Establishment vorher gebeten, in Sachen Putin aktiv zu werden. Und die Ukraine selbst rief den ebenfalls in Den Haag sitzenden Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen an.
Zu Putins FSB-Methoden fällt einem Thomas Jefferson ein: „Nur die Lüge braucht die Stütze der Staatsgewalt. Die Wahrheit steht von ganz alleine aufrecht.“
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Überall steigt der Druck auf Russland. Es wirkt, als habe sich ein Leprakranker in eine Festgemeinschaft eingeschlichen – überall doktert man herum, wie man das Drawback rasch wieder wegbekommt und damit umgeht. Die Türkei zum Beispiel verweigert Kriegsschiffen jetzt generell die Durchfahrt durch Bosporus und Dardanellen – mindestens vier russische Schiffe sind blockiert. Ankara habe die „Nachbarländer davor gewarnt, Kriegsschiffe durchs Schwarze Meer zu schicken“, erklärt Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Alles hängt am 1936 geschlossenen Vertrag von Montreux: Der regelt die Durchfahrt von Schiffen durch türkische Meerengen.
Westliche Konzerne wiederum sollen partout von ihren Russlandgeschäften lassen. Nachdem der britische Ölgigant BP am Sonntag seine Anteile am Moskauer Staatskonzern Rosneft abgestoßen hatte, folgte am nächsten Tag Shell. Man löste ein Joint-Enterprise mit Putins Tremendous-Monopolisten Gazprom auf. Auch die eigene Beteiligung an Nord Stream 2, dem Röhrendenkmal auf Ostsee-Grund, ist Geschichte. „Wir können – und werden – nicht tatenlos zusehen“, sagt Shell-CEO Ben van Beurden zur Putin-Gefahr.
Seine deutschen Konkurrenten aber machen genau das, analysiert meine Kollegin Kathrin Witsch. Zum Beispiel bei Eon in Essen, wo man 15 Prozent an der Pipeline Nord Stream 1 behalten will – die Gewinne hieraus fließen ins Pensionsvermögen. Oder Uniper: Der Mitfinanzier bei Nord Stream 2 verkauft als „Unipro“ in Russland Strom. Und BASF-Tochter Wintershall Dea schließlich fördert zusammen mit Gazprom weiter Fuel in Sibirien. Hier kommt man fünf nach zwölf zum Second der Wahrheit.
Da waren die Profifußballer von Schalke 04 agiler: Die Gelsenkirchener warfen den finanzstarken Sponsor Gazprom heraus. Mit diesem Brand auf der Brust kickt sich’s schlecht.
Und die Verbände Fifa (Welt) und Uefa (Europa) schlossen Russland gleich von allen internationalen Wettbewerben aus. Nachdem Moskau 2018 die Weltmeisterschaft unter dem offensichtlichen Einsatz korrupter Methoden ins eigene Land holte, können sich Putin und die russischen Fußballer die WM im Dezember 2022 in Katar am Bildschirm ansehen.
Excessive Krisen schaffen excessive Kurse. Während die Aktien von BP und Shell stark an Wert verloren, gehören Rüstungsaktien zu den ganz großen Gewinnern. Die heimische Rüstungsindustrie bereitet sich auf einen Auftragsboom vor. Der Bund kündigte 100 Milliarden Euro für die aus dem vorletzten Loch klappernde Bundeswehr an. Und immediate lockt Rheinmetall-Chef Armin Pappberger die Bundesregierung mit Munition, Ketten- und Radpanzern sowie Hubschraubern im Wert von 42 Milliarden Euro.
Auch Rivale Hensoldt versichert, in einer Mischung aus Vaterlands- und Geldliebe: „Wir sind in der Lage, die Bedürfnisse der Bundeswehr zu befriedigen.“ Gestern kamen die wichtigsten Firmen dieser Branche ins Verteidigungsministerium zum Dringlichkeitsgespräch.
Ein bisschen länger hat die Schweiz gebraucht, bis auch sie sich zu Finanzsanktionen und weitflächigen Kontosperraktionen gegen Russland und seine Oligarchen entschloss. Aber nun ist der Rubel-Schwur der um ihre Neutralität bangenden Eidgenossen getan.
Immediate stürzte die russische Währung am Montag um bis zu 30 Prozent ab. Daraufhin verdoppelte die Zentralbank in Moskau ihren Leitzins auf 20 Prozent. Auch kollabierten die EU-Töchter des russischen Marktführers Sberbank, nachdem Kunden massenhaft Einlagen abgehoben hatten. Putins Wahn schlägt auf die eigenen Leute zurück.
Der Crash in Moskau macht Oligarchen, die von der Kreml-Kleptokratie intestine profitiert haben, widerspenstig. Die Milliardäre Oleg Deripaska und Oleg Tinkow haben den Ukraine-Überfall bereits offen kritisiert. Und in London publizierte der russischstämmige Verleger Evgeny Lebedev in seinem „London Night Customary“ einen flammenden Appell: „Als russischer Staatsbürger bitte ich Sie, die Russen davon abzuhalten, ihre ukrainischen Brüder und Schwestern zu ermorden. Als britischer Staatsbürger bitte ich Sie, Europa vor dem Krieg zu bewahren. Als russischer Patriot bitte ich Sie, zu verhindern, dass noch mehr junge russische Soldaten sinnlos sterben. Als Weltbürger bitte ich Sie, die Welt vor der Vernichtung zu bewahren.“
Und als Weckdienstleister auch in Kanonen-Zeiten bitte ich Sie um einen Beitrag zu unserem Leserforum. Wir wollen wissen: Wie bewerten Sie die Reaktionen des Westens auf den Ukraine-Angriff Russlands? Glauben Sie, Wladimir Putin wird sich davon beeindrucken lassen? Welche weiteren Schritte sind sinnvoll? Schreiben Sie uns Ihre Meinung in fünf Sätzen an [email protected]. Ausgewählte Beiträge veröffentlichen wir mit Namensnennung am Donnerstag gedruckt und on-line.
Beeindruckend ist die Welle der Ukraine-Solidarität überall auf der Welt. So finden sich Salman Rushdie, Jonathan Franzen und Margaret Atwood unter den mehr als 1000 Autoren, die Putins Krieg verurteilen – und die einen Offenen Transient der Organisation PEN Worldwide unterzeichneten. Darin heißt es: „Es kann kein freies und sicheres Europa geben ohne eine freie und unabhängige Ukraine.“
Modeschöpfer Giorgio Armani ließ am Sonntag seine Fashions ohne Musikbegleitung über den „Catwalk“ in Mailand laufen. Seine Entscheidung, auf Musik zu verzichten, sei ein Zeichen des Respekts gegenüber den Menschen in der Ukraine, so der 87-jährige Designer. Man wolle nicht feiern, „denn etwas sehr Verstörendes geschieht gerade um uns herum.“
So emotional hat man UN-Generalsekretär António Guterres selten gesehen. Er nannte den neuen Bericht des Weltklimarats IPCC einen „Atlas der Leiden“. Die Fakten seien unbestreitbar, „wir müssen jetzt handeln“, sagte der Portugiese: „Ein weiteres Aufschieben von Klimaschutz bedeutet den Tod.“
Ohne den Putinismus hätte es die Klimawarnung bei vielen Medien zum Aufmacher gebracht, so ist sie unter „ferner liefen“ zu finden. Dabei sind die Aussagen drastisch: Nur mit einem sofortigen Herunterfahren der Emissionen sei das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen – und das auch nicht immer. Deutsche Umweltverbände begriffen das unisono als „ultimate name“ zur Weltrettung.
Hauptautorin Rupa Mukerji wollte ihr verunsichertes Publikum nicht im Verzweiflungsloch zurücklassen, lobte mehr als 170 klimaschützende Länder und vor allem die junge Technology: „Alle sind besorgt und engagieren sich für den Klimaschutz, das gibt mir Hoffnung.“
Und dann sind da noch Henry Kravis und sein Cousin George Roberts. Die großen alten Herren des New Yorker Non-public-Fairness-Riesen KKR, der in Deutschland bei Axel Springer sein Können zeigt. Die beiden Gründer wurden in 2021, ihrem Abschiedsjahr vom operativen Dienst, mit jeweils mehr als 100 Millionen Greenback Einkommen belohnt. Das liegt an 40 Millionen Dividende und 67 Millionen Gewinnanteil. Wie immer ist alles eine Frage der Relation. Wall-Avenue-Banker könnten neidisch auf die Summen werden, Rivale Stephen Schwarzman von Blackstone aber lächelt müde: Er kassierte fürs vorige Jahr die Rekordsumme von 1,1 Milliarden Greenback.
Wir staunen über kapitalistische Früchte und lesen Theodor Fontane: „Wo viel Geld ist, geht immer ein Gespenst um.“
Ich wünsche Ihnen einen durch und durch auskömmlichen, gespensterfreien Tag.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
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