München Nach den jüngsten vorsichtigen Hoffnungszeichen, summieren sich an diesem 20. Tag nach Russlands Angriff auf die Ukraine eher die pessimistisch stimmenden Anzeichen: Die Nato ruft einen Sondergipfel ein, Russlands Präsident Wladimir Putin relativiert die bisherigen Ergebnisse der Gespräche zwischen Russland und der Ukraine und die Angriffe auf ukrainische Städte gehen unvermindert weiter.
Vor diesem Hintergrund hat die Nato die Staats- und Regierungschefs ihrer Mitglieds-Staaten für kommende Woche zu einem Sondergipfel geladen. Das Treffen soll für den 24. März in der Bündniszentrale in Brüssel organisiert werden, teilte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstagabend mit.
US-Präsident Joe Biden wird zudem auch als Gast beim regulären März-Gipfel der EU erwartet, der für den 24. und 25. März angesetzt ist. Das bestätigte ein ranghoher EU-Beamter.
Stoltenberg kündigte an, man werde sich mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, der Unterstützung für die Ukraine und der weiteren Stärkung der Nato-Verteidigung befassen. „In dieser kritischen Zeit müssen Nordamerika und Europa weiterhin zusammenstehen.“
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Dass es bei dem Gipfel in der kommende Woche weitreichende Entscheidungen geben wird, gilt als eher unwahrscheinlich. Es dürfte aber unter anderem darüber beraten werden, ob die Nato mit einer substanziellen und langfristigen Verstärkung der Ostflanke auf Russlands Vorrücken in Richtung Westen reagieren.
Unterdessen gingen die russischen Attacken auf ukrainische Städte auch am 20. Kriegstag weiter. Bei einem Angriff auf einen Fernsehturm starben nahe der nordwestukrainischen Großstadt Riwne nach ukrainischen Angaben 19 Menschen, neun wurden verletzt.
Russische Truppen beschießen Schule
In der Nähe der südukrainischen Großstadt Mykolajiw wurde eine Schule beschossen und sieben Menschen getötet. Das Ochmatdyt-Krankenhaus in Lwiw (Lemberg) nahe der polnischen Grenze ist nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef überlastet durch die Anzahl an verletzten Kindern, die aus umkämpften Regionen eintreffen.
Ukrainische Truppen wehrten derweil nach eigenen Angaben einen russischen Vorstoß in der umkämpften Hafenstadt Mariupol ab. Dabei seien etwa 150 Angreifer getötet sowie zwei Panzer und mehrere gepanzerte Fahrzeuge zerstört worden, teilte der ukrainische Generalstab mit. Die Angaben sind nicht überprüfbar.
Mariupol am Asowschen Meer wird seit Tagen von Einheiten der russischen Armee und der prorussischen Separatisten belagert. Hunderttausende Menschen harren dort unter katastrophalen Bedingungen aus.
Am Dienstag brachten sich nach Behördenangaben Menschen in etwa 2000 Autos in Sicherheit. Weitere 2000 Autos warteten demnach am Stadtrand. Ob ein Konvoi mit Dutzenden Tonnen Hilfsgütern und leeren Bussen für eine Evakuierung das von russischen Truppen eingeschlossene Mariupol erreicht hat, battle noch unklar.
Russland und Ukraine sprechen von militärischen Erfolgen
Sowohl Russland als auch die Ukraine berichten von militärischen Erfolgen. Die ukrainischen Streitkräfte haben nach eigenen Angaben an mehreren Fronten russische Angriffe abgewehrt. Nördlich von Kiew sei es russischen Kräften nicht gelungen, die Verteidigungsstellungen zu durchbrechen, teilte der ukrainische Generalstab mit. Auch die westlich der Hauptstadt gelegene Stadt Makariw hätten die Angreifer nicht einnehmen können.
Die russische Armee gab bekannt, dass sie das komplette Gebiet Cherson im Süden der Ukraine unter ihre Kontrolle gebracht habe. Dort leben rund eine Million Menschen. Bestätigt wurde die Besetzung von ukrainischer Seite zunächst nicht. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden.
Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko verhängte nach schweren Angriffen auf die Stadt eine Ausgangssperre von Dienstagabend bis Donnerstagmorgen. In dieser Zeit dürfen die Einwohnerinnen und Einwohner ihre Häuser nur verlassen, um sich in Schutzräumen und Bunkern in Sicherheit zu bringen.
Am Dienstagmorgen wurden in der Hauptstadt nach offiziellen Angaben in mehreren Bezirken vier Wohngebäude von Raketen getroffen, mindestens zwei Menschen wurden getötet. Russische Truppen versuchen, die Hauptstadt von mehreren Seiten einzukreisen.
So berichtet das Handelsblatt über den Ukrainekrieg:
Die Europäische Union hat inmitten der Kriegshandlungen ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine gesetzt. Trotz russischer Angriffe auf Kiew nur wenige Stunden zuvor machten sich die Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien auf den Weg zu einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski in Kiew.
Der Zug mit Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, seinem Stellvertreter Jaroslaw Kaczynski sowie Tschechiens Regierungschef Petr Fiala und seinem slowenischen Amtskollegen Janez Jansa erreichte am frühen Abend Kiew.
„Ziel des Besuchs ist, die eindeutige Unterstützung der Europäischen Union für die Ukraine und ihre Freiheit und Unabhängigkeit zum Ausdruck zu bringen“, schrieb der tschechische Ministerpräsident Fiala auf dem Nachrichtenkanal Twitter. Während der Reise werde ein breites Paket der Unterstützung für die Ukraine und ihre Bürger vorgestellt.
Sanktionen auf beiden Seiten
Auch Russlands Präsident Putin hatte Kontakt zur EU am Dienstag. In einem Telefonat mit EU-Ratspräsident Charles Michel kritisierte er das Auftreten der ukrainischen Seite bei den laufenden Verhandlungen. Putin habe gesagt, „dass Kiew keine ernsthafte Haltung zur Suche nach für beide Seiten akzeptablen Lösungen zeigt“, hieß es in einer Kreml-Mitteilung vom Dienstagabend.
Zudem warf Putin der EU vor, am Montag einen ukrainischen Raketenangriff auf ein Wohngebiet im ostukrainischen Separatistengebiet Donezk ignoriert zu haben. Die Ukraine stritt bereits ab, für die Attacke verantwortlich zu sein.
Michel schrieb nach dem Gespräch auf Twitter, die EU verurteile die Aggression Russlands. Er habe außerdem betont, Moskau solle den „Bruderkrieg“ gegen die Ukraine beenden.
Stattdessen eskalierte Russland allerdings auf diplomatischer Ebene weiter. Als Reaktion auf US-Sanktionen verhänge das Land nun Einreiseverbote gegen US-Präsident Joe Biden und andere US-Regierungsmitglieder, teile das Außenministerium in Moskau mit. Es veröffentlichte eine „schwarze Liste“ mit 13 Namen, darunter neben Biden Außenminister Antony Blinken und Verteidigungsminister Lloyd Austin.
Es ist das erste Mal, dass Russland eine Liste betroffener Personen veröffentlicht. Auch seitens der EU sollten neue Sanktionen gegen Russland in Kraft treten. Demnach sollen der russische Staat und russische Unternehmen künftig nicht mehr von Ratingagenturen aus der EU bewertet werden dürfen.
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