Paris Eigentlich wollte Emmanuel Macron seinen ersten großen Wahlkampfauftritt in Marseille abhalten, die Pläne für den Besuch in der südfranzösischen Millionenstadt hat er aber schon zweimal verschoben. Angesichts des Kriegs in der Ukraine schien für den französischen Präsidenten bislang nicht der richtige Zeitpunkt gekommen, um bei einer großen Veranstaltung vor jubelnden Anhängern aufzutreten.
Auf die „Rückkehr des Tragischen“ wolle er mit „drei philosophischen Überzeugungen“ reagieren, sagte Macron in den früheren Lagerhallen von Aubervilliers, die inzwischen ein Veranstaltungszentrum sind. Seine einleitenden Worte waren abstrakt: Es gehe darum, der Bevölkerung wieder die „Souveränität“ zu geben, darüber hinaus „Vertrauen in den Fortschritt“ zu haben und den „Humanismus“ als Leitschnur zu verfolgen.
Die Abwesenheit einer echten Auseinandersetzung drei Wochen vor dem Wahltermin ruft im Nachbarland Sorgen über die politische Kultur hervor. „Wenn es keinen Wahlkampf gibt, stellt sich die Frage der Legitimation des Gewinners“, sagte Gérard Larcher von den konservativ-bürgerlichen Republikanern. Larcher ist Präsident des Senats, der zweiten Kammer des französischen Parlaments.
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In Aubervilliers hält Macron zunächst einen mehr als 90-minütigen Monolog, ehe er sich den Fragen stellt.
An Reformversprechen anknüpfen
Macron tritt in diesen Tagen tatsächlich vor allem als Staatschef in Krisenzeiten auf. Gleich zu Beginn spricht er über die Lehren, die aus dem Ukrainekrieg gezogen werden müssten. „Ich habe beschlossen, den sinkenden Investitionen in unsere Armee ein Ende zu bereiten“, sagte er.
Außerdem bekräftigte er, dass Frankreich und die Europäische Union unabhängiger werden müssten: bei Energieimporten, bei den Zukunftstechnologien in der Industrie, bei der Versorgung mit Lebensmitteln. Die Idee der „europäischen Souveränität“ vertritt der Präsident seit seinem Amtsantritt, insofern ist das Projekt Macron 2.0 nicht grundsätzlich anders als die Kandidatur vor fünf Jahren.
Macron versucht auch, an seine Reformversprechen anzuknüpfen, mit denen er 2017 an der Spitze eines neuen Mitte-Bündnisses in den Élysée-Palast eingezogen struggle. Dazu zählt vor allem ein Umbau des Rentensystems – eine komplizierte Aufgabe, die ihm in seiner ersten Amtszeit nicht gelungen ist. Macron forderte, das gesetzliche Renteneintrittsalter schrittweise von 62 auf 65 Jahre anzuheben.
Lange Erwerbsbiografien würden dabei berücksichtigt, versprach er. Außerdem will er die Arbeitsmarktreformen seiner ersten Amtszeit fortsetzen, um bis 2027 in Frankreich Vollbeschäftigung zu erreichen. Die Forschung soll mit zusätzlichen Investitionen in Höhe von 25 Milliarden Euro über zehn Jahre gestärkt werden, außerdem soll es Steuersenkungen von 15 Milliarden Euro geben.
Doch immer wieder schimmerte in der Pressekonferenz auch Macrons Selbstverständnis als Staatschef durch, der die Bürger und Wirtschaft in den gegenwärtigen Krisenzeiten beschützen möchte. Sein Kampagnenslogan lautet „Avec vous“, auf Deutsch in der erweiterten Übersetzung: „Ich stehe an eurer Seite.“ Am Mittwoch hatte Macron seinen Premierminister Jean Castex vorgeschickt, um ein staatliches Unterstützungsprogramm für Haushalte und Unternehmen zu verkünden, das die Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine abmildern soll.
Der „Plan für wirtschaftliche und soziale Widerstandsfähigkeit“ sieht eine Senkung der Spritpreise, Erleichterungen für energieintensive Branchen sowie Hilfen für Firmen mit starken Geschäftsbeziehungen zu Russland und zur Ukraine vor. Die Kosten betragen 25 Milliarden Euro.
Zum Maßnahmenpaket gehört ein Nachlass von 15 Cent professional Liter Kraftstoff, den Autofahrer ab dem 1. April an der Zapfsäule erhalten. Schon zuvor hatte Macrons Regierung versucht, die steigenden Energiepreise für französische Haushalte abzufedern.
So sind die Gaspreise für viele Verbraucher auf dem Niveau von Oktober 2021 eingefroren. Die Strompreise durften um maximal vier Prozent erhöht werden, Geringverdiener bekamen zudem eine staatliche Einmalzahlung von 100 Euro. Dafür gibt der Staat ebenfalls mehr als 20 Milliarden Euro aus.
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Ein einschneidendes Erlebnis in Macrons Amtszeit struggle die Gelbwesten-Bewegung im Herbst 2018 gegen steigende Preise für Benzin und Diesel. Eine Wiederholung der Proteste will Macron in den Wochen vor der Wahl auf jeden Fall vermeiden – und hat den Staat entsprechend großzügig reagieren lassen. Die Frage, was Macrons Pläne für die Staatsverschuldung von rund 115 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bedeuten, spielte eine Nebenrolle.
Der Präsident bekräftigte aber das Ziel , das Defizit bis 2027 wieder unter die Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu drücken. Macron bemüht sich um eine Gratwanderung zwischen dem Amt des Präsidenten und der Rolle des Kandidaten. Er wartete lange, bis er seine Bewerbung um eine zweite Amtszeit offiziell machte, obwohl niemand wirklich an seinen Ambitionen zweifelte.
Während sein Staff im Hintergrund die Kampagne vorbereitete, wich der Staatschef öffentlich mit der Begründung aus, er müsse sich um die geopolitische Krise rund um die Ukraine kümmern. Erst Anfang März, kurz vor Fristende, machte er seine Kandidatur offiziell.
In einem Temporary ließ er seine Landsleute dabei wissen, dass im Zweifel das Krisenmanagement gegenüber der Debatte mit seinen Herausforderern den Vorzug erhalte: „Natürlich werde ich wegen der Umstände nicht so Wahlkampf machen können, wie ich es mir gewünscht hätte.“
In Umfragen hat Macron seit Beginn des Ukrainekriegs zugelegt und kann demnach im ersten Wahlgang am 10. April mit etwas über 30 Prozent rechnen. In der Stichwahl zwei Wochen später dürfte er wie schon 2017 auf die Rechtspopulistin Marine Le Pen treffen, die zuletzt den Abstand zum Rechtsnationalisten Éric Zemmour und der konservativ-bürgerlichen Kandidatin Valérie Pécresse vergrößern konnte.
Im Kampf um den Einzug in die zweite Runde befindet sich mittlerweile der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon im Aufwind, den einige Umfragen nun auf dem dritten Platz sehen, wenn auch mit einigen Punkten Rückstand auf Le Pen. Meinungsforscher sehen Macron derzeit auch in der Stichwahl vorn – egal, gegen wen er dort antreten würde.
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