Berlin In einer beispiellosen Bund-Länder-Schalte haben sich die Ministerpräsidenten parteiübergreifend gegen die jüngste Coronapolitik der Ampelregierung gewandt. „Heute werden zwei Jahre gemeinsame Wegstrecke beendet“, sagte etwa der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach Angaben von Teilnehmern des Treffens, an dem auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) teilnahm.
Grund ist das neue Infektionsschutzgesetz, das der Bundestag am Freitag beschließen will. Es sieht trotz Rekordinfektionszahlen umfassende Lockerungen vor, etwa ein Ende der Maskenpflicht in vielen Bereichen des Alltags.
Die Hotspot-Regel, die schärfere Maßnahmen erlauben soll, halten die Länder für kaum umsetzbar. Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete am Donnerstag quick 300.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden – so viele wie noch nie.
Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) sagte während der Schaltkonferenz, einen solchen Umgang habe es mit den Ländern „noch nie gegeben“. Bislang habe man zwei Jahre lang intestine zusammengearbeitet. Für diesen Bruch gebe es „keine rationalen Gründe“.
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Ähnlich äußerte sich auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), sein hessischer Kollege Volker Bouffier (CDU) sagte: „Ein Zusammenwirken mit den Ländern hat es nicht gegeben.“
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Auch aus den SPD-Ländern hagelte es Kritik: „Ich halte das nicht für vertretbar“, zitierten Teilnehmer Niedersachsens Landeschef Stephan Weil. Er erwarte nun, dass der Bund die Verantwortung übernehme. „Die Pandemie ist eben nicht vorbei. Das ist kein guter Weg, der hier eingeschlagen wird.“
Kanzler Scholz sprach im Anschluss an den Gipfel von einer „konstruktiven“ Diskussion. „Ganz klar, die Länder wünschen sich noch mehr.“ Allerdings verteidigte er auch das neue Infektionsschutzgesetz. Dies werde der Lage gerecht, dass es zwar hohe Infektionszahlen, aber auch einen milderen Krankheitsverlauf gebe.
Auf der Tagesordnung des Bund-Länder-Gipfels stand neben der Coronalage auch der Ukrainekrieg und die drastisch gestiegenen Energiepreise. Die Behörden meldeten 175.000 registrierte Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Die wahre Zahl dürfte deutlich darüber liegen, da sich die Geflüchteten nicht registrieren müssen.
„Wir sind uns einig, dass wir Menschen schützen, die zu uns flüchten“, sagte Scholz am Donnerstag. Es werden viele sein, sagte der Kanzler. Schon jetzt seien die Zahlen „sehr hoch“. Die Aufnahme werde eine „große Herausforderung“. Für die notwendige Hilfe würden Bund und Länder „alle notwendigen Kräfte bündeln“.
Registrierung von Geflüchteten gefordert
Das betreffe auch die Finanzfragen, die in einer Arbeitsgruppe von Bund und Ländern besprochen werden sollen und Anfang April bei der nächsten Bund-Länder-Runde beschlossen würden. Scholz lobte zudem die „überwältigende Kultur der Hilfsbereitschaft“ in Deutschland.
Bei der Registrierung der Geflüchteten sehen die Bundesländer noch Verbesserungsbedarf. Es sei „unerlässlich, die Ankommenden rasch und unkompliziert zu registrieren“, heißt es im Gipfelbeschluss. „Bund und Länder stehen mit den Kommunen in einer Verantwortungsgemeinschaft.“
Laut Beschlussentwurf soll die Registrierung derjenigen, die in Deutschland bleiben, über das Ausländerzentralregister erfolgen. Aktuelle Überlastungen in einzelnen Ländern sollen vermieden werden. Dazu werde eine Verteilung der Flüchtlinge nach dem Königsteiner Schlüssel erfolgen. Grundlage für die Berechnung sind Bevölkerungszahl und Steuereinnahmen.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ergänzte, es müsse verhindert werden, dass Geflüchtete in Turnhallen schlafen müssten. „Wo immer es geht, müssen wir Unterkünfte in normalen Wohnungen schaffen.“ Wüst und Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) betonten darüber hinaus Unterschiede zur Flüchtlingskrise 2015.
Heute kämen vor allem Frauen und Kinder, sagte Wüst. Daher müsse schnell dafür gesorgt werden, dass die Menschen in Wohnungen untergebracht würden und „Kinder wieder Kinder sein können“.
Giffey sagte, die Lehren aus 2015 seien gezogen worden. Es gebe „gute Voraussetzungen, dass wir es diesmal besser machen“. Viele der Helfer seien schon damals bei der Versorgung der Menschen dabei gewesen. Wüst und Giffey betonten beide, die Unterstützung des Bundes sei unerlässlich, auch finanziell.
Die Bundesländer drängen zudem auf eine staatliche Unterstützung für deutsche Unternehmen, die aufgrund der Russlandsanktionen von der Pleite bedroht sind. Der Bund solle insbesondere denjenigen Unternehmen zur Seite stehen, die durch eine starke wirtschaftliche Verflechtung mit dem russischen und ukrainischen Markt vor substanziellen Problemen stünden, heißt es in dem Beschlusspapier.
Konkret sollten laut dem Papier „Unterstützungsleistungen“ für Unternehmen geprüft werden, die von Lieferengpässen und in der Folge von Arbeitsausfällen oder von gestiegenen Rohstoff- oder Energiepreisen betroffen seien. „Das gilt vor allem für die energieintensive Industrie sowie für Unternehmen, denen mit den Sanktionen die Grundlage für ihr Geschäft genommen worden ist.“
Mit Agenturmaterial
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