Düsseldorf Verhärtete Fronten am Boden, heftige Angriffe aus der Luft: Im Ukraine-Krieg hat Russland nach Angaben beider Seiten strategisch wichtige Ziele mit Raketen und Marschflugkörpern getroffen.
Russland selbst meldete am Samstag die Zerstörung eines ukrainischen Waffenarsenals westlich der Hauptstadt Kiew. Die Ukraine bestätigte den Beschuss eines Luftwaffenstützpunkts.
Das russische Verteidigungsministerium teilte in Moskau mit, man habe bei einem Raketenangriff Waffen und Militärtechnik zerstört. Vier Raketen vom Typ „Kaliber“ seien von einem Kriegsschiff im Schwarzen Meer abgefeuert und in dem Depot in der Nähe der Großstadt Schytomyr eingeschlagen. Insgesamt seien innerhalb von 24 Stunden 117 militärische Objekte zerstört worden, erklärte Ministerium.
Zuvor hatte die Ukraine bestätigt, dass am Freitag das Hauptquartier der ukrainischen Luftwaffe in Winnyzja im Westen des Landes mit mehreren russischen Marschflugkörpern beschossen worden sei. Dabei sei „erheblicher Schaden“ an der Infrastruktur entstanden.
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Intestine einen Monat nach dem Angriff auf das Nachbarland haben russische Truppen zwar Teile der Ukraine im Norden, Osten und Süden des Landes unter Kontrolle. Ukrainische Streitkräfte leisten jedoch Gegenwehr und treiben russische Truppen wohl auch teilweise zurück.
Angaben der Kriegsparteien aus den Kampfgebieten sind kaum nachprüfbar. Doch gibt es US-Angaben, wonach die ukrainischen Streitkräfte um die Rückeroberung der strategisch wichtigen Stadt Cherson im Süden kämpfen. Die Ukraine hatte zuletzt auch Stellungen und Ortschaften in der Umgebung von Kiew wieder unter ihre Kontrolle gebracht.
Der ukrainische Heeres-Stabschef Olexander Grusewitsch warnte allerdings, ein russischer Angriff auf die Hauptstadt sei immer noch möglich, dort ziehe Russland starke Kräfte zusammen.
Wieder Ausgangssperre in Kiew
Bürgermeister Vitali Klitschko ordnete für Kiew erneut eine Sperrstunde ab Samstagabend an. Diese gelte ab Samstagabend und bis Montagmorgen. Menschen dürfen ihre Wohnungen in der Zeit nur verlassen, um bei Luft- und Artillerieangriffen Schutz zu suchen.
Auch lässt Russland nach Einschätzung des britischen Verteidigungsministeriums mit seinen Angriffen auf große ukrainische Städte wie Charkiw, Tschernihiw und Mariupol nicht nach. Dabei setze Russland „auf den wahllosen Einsatz von Luft- und Artelleriebombardierungen, um zu versuchen, die Verteidigungskräfte zu demoralisieren“, erklärte das britische Ministerium auf Twitter.
Für Samstag wurden nach ukrainischen Angaben zehn humanitäre Korridore eingerichtet, um Zivilisten die Flucht aus besonders umkämpften Regionen zu ermöglichen. Die Korridore liegen im Umland Kiews und im ostukrainischen Gebiet Luhansk. Aus der stark zerstörten Hafenstadt Mariupol gebe es aber keine zentralisierte Evakuierung mit Bussen, sagte Vizeregierungschefin Irina Wereschtschuk der Agentur Union zufolge.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte am Freitagabend eine humanitäre Aktion mit der Türkei und Griechenland angekündigt, um kurzfristig Menschen aus Mariupol zu retten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnet die Lage dort als „absolut tragisch“. Bislang sei es gelungen, in dieser Woche etwas mehr als 26 000 Zivilisten aus der Stadt zu bringen.
Energieembargo – knickt Deutschland ein?
Die Nato und die Europäische Union hatten bei Gipfeltreffen in Brüssel versucht, eine geschlossene Reaktion auf den russischen Angriffskrieg zu finden. Eine Einigung auf einen sofortigen Importstopp für Fuel, Öl oder Kohle aus Russland gelang der EU am Freitag aber nicht – auch wegen des Widerstands der Bundesregierung, die dramatische wirtschaftliche Schäden im eigenen Land befürchtet. Für die Energielieferungen müssen Deutschland und die übrigen EU-Länder täglich Hunderte Millionen Euro an Russland zahlen.
Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) machte in der „Welt am Sonntag“ Druck für einen Importstopp für russisches Fuel und Öl. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen erwartet auch, dass die Bundesregierung bald einknickt.
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Vorerst einigten sich die EU-Staaten beim Gipfel am Freitagabend in Brüssel nur darauf, mit gemeinsamer Marktmacht Fuel auf dem Weltmarkt zu kaufen, um nach und nach unabhängig von Russland zu werden. Darüber hinaus setzen westliche Staaten auf Einzelaktionen, um der Ukraine beizustehen. Großbritannien verhängte neue Sanktionen gegen Personen und Firmen in Russland.
In Deutschland sind für Samstag Demonstrationen gegen den Krieg geplant.
Ukrainischer Regierungschef bittet um Hilfe
Der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal bat alle Bürgermeister weltweit um humanitäre Hilfe. Gleichzeitig appellierte er am Freitagabend an alle internationalen Associate, den späteren Wiederaufbau seines Landes zu unterstützen. Schmyhal hatte die Schäden für die ukrainische Wirtschaft durch den Krieg schon Mitte März mit knapp 515 Milliarden Euro beziffert. Auch diese Zahlen sind nicht unabhängig zu überprüfen.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat unterdessen die Golfstaaten zu stärkerer Ölförderung aufgerufen. Sie sollten den Rückgang von Öllieferungen aus Russland ausgleichen, forderte der per Video zugeschaltete Selenski am Samstag auf dem Doha-Discussion board in Katar. Viele Staaten fahren wegen des russischen Kriegs in der Ukraine ihre Öl-Importe aus Russland zurück oder wollen sie ganz boykottieren.
An der Konferenz nahm auch der saudi-arabische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan teil. Dessen Land ist der weltweit größte Öl-Exporteur und hat bislang erklärt, es werde an dem mit Russland und anderen Ölförderländern vereinbarten Fördermengen festhalten.
Mehr als zwei Millionen Geflüchtete in Polen eingetroffen
Seit Beginn des russischen Angriffs vor rund einem Monat hat die Bundespolizei bisher 259.980 Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland erfasst. Das teilte das Bundesinnenministerium am Samstag über Twitter mit. Die tatsächliche Zahl der Geflüchteten ist unbekannt, weil es keine flächendeckenden Grenzkontrollen gibt – sie dürfte deutlich höher liegen. Nicht erfasst wird außerdem, wie viele der Menschen von Deutschland aus weiterreisen in anderen Staaten.
In Polen sind nach Angaben des Grenzschutzes seit Beginn des russischen Angriffskriegs 2,27 Millionen Geflüchtete aus dem Nachbarland eingetroffen. Das teilte die Behörde am Samstag bei Twitter mit. Allein am Freitag waren es demnach rund 30.500 Menschen. Dies sei ein Rückgang um 6,4 Prozent im Vergleich zum Vortag.
Das wird heute wichtig
Am zweiten Tag seines Besuchs in Polen hält US-Präsident Biden am Samstag in Warschau eine Rede. Der Auftritt am Warschauer Königsschloss sei für den späten Nachmittag zwischen 17 und 18 Uhr geplant, hieß es aus der US-Botschaft in der polnischen Hauptstadt. In ganz Deutschland sind am Samstag Demonstrationen gegen den Krieg geplant.
Mit Agenturmaterial.
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