Auf das BKA wartet eine Mammutaufgabe: Es soll ein Vielfaches der bisherigen Fälle von möglichen Straftaten im Netz prüfen. Allerdings fehlt das Wichtigste: Es kommen keine Meldungen.
450 Mitarbeiter will das Bundeskriminalamt (BKA) perspektivisch einsetzen, um Meldungen von Onlineplattformen zu möglichen Straftaten auf deren Seiten abzuarbeiten. Eine stattliche Zahl, die zeigt, wie ernst deutsche Ermittlungsbehörden das Problem nehmen. Nur: Diese Meldungen gehen bisher allenfalls tröpfchenweise ein.
Obwohl das BKA von 720.000 Fällen im Jahr ausgeht, die zu bearbeiten wären, wurden seit vergangenem August nur Verdachtsfälle im niedrigen zweistelligen Bereich registriert. Das bestätigte das BKA t-online. Der Grund: Etliche Netzwerke haben nichts ans BKA gemeldet.
Experten kritisieren unklare Rechtslage
Dabei sollte ein neues Gesetz genau das beschleunigen: Der europäische Digital Services Act (DSA) verpflichtet YouTube, X, Facebook & Co. seit August 2023 zur Zuarbeit an die Sicherheitsbehörden im großen Stil. Seit dem 17. Februar gilt die Regelung auch für kleinere Anbieter. Es ist der Versuch, effektiver gegen rechtswidrige Inhalte im Netz vorzugehen, der DSA soll das Netz sicherer machen. Wenn jemand auf X postet „Ich dreh Dir den Hals um“, sollen Netzwerke dies dem BKA melden.
Allerdings erhöhe er auch die „Gefahr einer neuen Qualität an Überwachung durch die Online-Plattformen“, kritisiert die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) in einer Stellungnahme für den Bundestag.
Denn die Regelung in Artikel 18 ist aus Sicht vieler Experten nicht eindeutig: Was ist in Deutschland gemeint, wenn in der europäischen Richtlinie vom Verdacht auf Straftaten die Rede ist, „die eine Gefahr für das Leben oder die Sicherheit von Personen darstellen“? Denn das ist die Maßgabe, nach der Anbieter von sich aus bestimmte Nutzerdaten an Strafverfolgungsbehörden übermitteln sollen. „Durch fehlende Klarheit für Diensteanbieter, in welchen Szenarien Daten ausgeleitet werden sollen, droht massenhafte Datenübermittlung“, heißt es dazu von der GFF.
Eine Stunde Aufwand pro Meldung
Die Zahl von 720.000 solcher Meldungen findet sich im Gesetzentwurf für das Digitale-Dienste-Gesetz, wie die nationale Umsetzung des DSA heißt. Für den Entwurf, der im Kabinett erst so spät beschlossen wurde, dass der Bundestag das Gesetz noch nicht verabschieden konnte, hat das BKA entsprechende Schätzungen vorgenommen und geht auch weiterhin von diesem Umfang aus.
Bei den Vorfällen soll in der Behörde vorsortiert werden, was tatsächlich strafrechtlich relevant sein könnte. Die ersten Ermittlungsergebnisse zu mutmaßlichen Tätern (oft eine Recherche über das Nutzerprofil sowie andere Profile) werden im Anschluss an die Staatsanwaltschaft weitergereicht. Im Schnitt wird mit einer Stunde Arbeitsaufwand pro Meldung kalkuliert, eingeplant wurden daher 720.000 Stunden.
Nicht zu machen mit den bisherigen Kräften: Der Personalbedarf beim BKA erhöhe sich durch die neuen Aufgaben daher um insgesamt 404 Stellen auf 450, heißt es im Digitale-Dienste-Gesetz. Überwiegend geht es um Mitarbeiter im operativen Bereich, die die Identität von Nutzern untersuchen. Die Kosten für diese Detektivarbeit sollen von 3 Millionen Euro im Jahr auf 44 Millionen steigen.
Allerdings wurden die entsprechenden Finanzmittel für das Zusatzpersonal im Haushalt 2024 nicht berücksichtigt. So kommt es zu der eigentümlichen Konstellation: Weder gibt es derzeit die neuen BKA-Ermittler noch die Meldungen, die sie hätten prüfen sollen, da die Plattformen nicht melden.
Ermittler sind oft im Nachteil gegen die Netzwerke
Keine gänzlich neue Erfahrung. Bereits vor zwei Jahren, am 1. Februar 2022, hatte eine Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI BKA) im BKA ihre Arbeit aufgenommen. Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz hatte damals die Meldepflicht vorgesehen, Google und Meta prozessierten jedoch erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht Köln. Das Gericht sah in der Regelung einen Verstoß gegen Europarecht. Die Netzwerke mussten sich nicht ums BKA scheren – und die ZMI konnte nicht arbeiten, wie sie wollte.
Die ZMI arbeitete seither zumindest mit Meldungen, die die Stellen „HessenGegenHetze“, „REspect!“ aus Baden-Württemberg, Landesmedienanstalten und zwei Generalstaatsanwaltschaften schicken. Jetzt ist die Meldepflicht für die Netzwerke von der EU da, aber geändert hat sich zunächst nichts.
Netzwerke verweisen auf bestehende Meldewege
Man melde ja schon immer, heißt es etwa von YouTube und Google zu t-online. Aber nicht wie gewünscht ans BKA direkt und nicht über das vom BKA dafür geschaffene Meldeportal. Wie in den vergangenen Jahren melde man „über etablierte Meldewege“ kriminelle Inhalte und Aktivitäten über andere Stellen, die sie an deutsche Ermittlungsbehörden wie das BKA weiterleiteten. Andere Netzwerke äußern sich ähnlich.