Frankfurt, Düsseldorf Kristina Lunz, Jahrgang 1989, Mit-Geschäftsführerin des von ihr mitgegründeten Berliner Centre for Feminist International Coverage. „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“ ist ihr erstes Buch. Im Interview mit dem Handelsblatt spricht die Oxford-Absolventin und frühere Beraterin des Außenministeriums über ihr kürzlich erschienenes Buch, über Wladimir Putin und Massenvernichtungswaffen. Diese seien im patriarchalen Verständnis „etwas Positives, weil das Recht des Stärkeren gilt“. Eine feministische Außenpolitik hingegen basiert laut Lunz auf der Annahme, dass Aufrüstung „immer zu mehr Zerstörung, zu mehr Tod führen“ werde.
Handelsblatt: Frau Lunz, aus Ihrem Buch geht hervor, dass Sie Abrüstung als eines der wichtigsten Ziele feministischer Außenpolitik ansehen. Putin zwingt die Welt jetzt aber zurück in die Aufrüstung. Macht das Ihre Bestrebungen zunichte?
Kristina Lunz: Ganz im Gegenteil, unter den humanitären und Menschenrechtsorganisationen herrscht da ein ganz klarer Konsensus. Die Tatsache, dass eine gewaltvolle Particular person so viel zerstörerische Macht hat und so viel Leid bringt, ist ein ganz klares Zeichen dafür, dass eine militarisierte, aufgerüstete Welt immer wieder zu maximalen Katastrophen führen wird. Nachhaltig kann nur ein präventiver Ansatz für ein internationales System sein, das mittel- und langfristig auf Abrüstung, die Stärkung von Menschenrechten und Multilateralismus setzt, auf das Völkerrecht und Deeskalation.
Putin präsentiert sich seit jeher gerne in besonders maskulinen Posen, lässt sich oberkörperfrei beim Reiten oder Jagen fotografieren. Inwiefern spiegelt sein Angriffskrieg sein Männlichkeitsbild wider?
Putin agiert als Mensch, der ein toxisches maskulines Bild verinnerlicht hat, sehr konsequent, basierend auf seinem Verständnis von Geschlechterhierarchien, das sich beispielsweise an der massiven Unterdrückung von LGBTI-Communities im Land oder der Entkriminalisierung von häuslicher Gewalt zeigt.
Diese Unterjochung von Frauen und allem Femininen auf der einen Seite und die Darstellung als Verteidiger und Beschützer des Volkes auf der anderen passt perfekt zu einem patriarchalen Verständnis davon, wie Männer und Frauen sein sollen. Geschlechter-Forscher:innen in den internationalen Beziehungen haben schon klar aufgezeigt, wie toxische Maskulinität in Particular person von Putin zu immer mehr Gewalt und Kriegen führen wird.
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Valeria Hudson, eine US-amerikanische Professorin, die im Beirat des CFFP sitzt, forscht beispielsweise dazu, wie patriarchale Strukturen und die Unterdrückung von Frauen innerhalb von Staaten direkt mit der Bereitschaft der Repräsentanten dieser Staaten, Kriege und Konflikte auszutragen, im Zusammenhang stehen. Die Bestätigung dieser Forschung sehen wir jetzt den ganzen Tag auf unseren Bildschirmen.
Gespräche zwischen Russland und der Ukraine haben bisher wenig bewirkt. Welche Lösungsansätze bietet feministische Außenpolitik in so einer festgefahrenen State of affairs?
Ich werde die State of affairs nicht auflösen können, weil wir nicht mit regionalen, sondern mit thematischen Schwerpunkten arbeiten. Oberste Priorität bei einem feministischen Ansatz in der Außenpolitik ist es, die Aufmerksamkeit auf diejenigen zu legen, die am stärksten betroffen und marginalisiert sind. Darunter fallen natürlich auch Frauen und andere politisch marginalisierte Gruppen. Es ist wichtig, dass humanitäre Arbeit geschlechtsbasiert ist.
Welchen Mehrwert bietet Ihre Arbeit dann?
Ich sehe meine und unsere Rolle in Deutschland darin, dazu beizutragen, ein Gegennarrativ zu dem vorherrschenden Narrativ anzubieten, das besagt: Diplomatie und Deeskalation bringen nichts. Auch wenn Deutschland sich jetzt für 100 Milliarden Sondervermögen und eine „Zeitenwende“ entschieden hat: Aufrüstung und Waffen werden in der Konsequenz immer zu mehr Zerstörung, zu mehr Tod führen.
Könnte man das nicht als humanitär oder wertebasiert bezeichnen? Was genau ist an Abrüstung und Deeskalation feministisch?
Ein feministisches Verständnis von Außenpolitik ist sehr nuanciert und detailliert und geht auf die Komplexitäten des Lebens ein. Feminismus bedeutet das Vorgehen gegen patriarchale Strukturen. Im Staat und in Familien haben Männer das Sagen, und darunter haben wir Hierarchien aufgebaut, die durch Gewalt und mit Waffen aufrechterhalten werden.
Aber nur weil wir irgendwelche Staatsgrenzen sicher machen oder staatliche Institutionen fördern, macht das die Menschen innerhalb von Staaten nicht sicher. Im patriarchalen Verständnis sind zum Beispiel Massenvernichtungswaffen etwas Positives, weil das Recht des Stärkeren gilt.
Feministinnen in der Außenpolitik sagen dann: Wollt ihr uns eigentlich verarschen? Sie sehen die Verbindung zwischen der Gewalt, die Frauen und politisch marginalisierte Gruppen täglich erfahren, und den Institutionen der internationalen Politik und fragen: Wie kommt ihr auf die irre Idee, dass wir sicher sein werden, wenn wir aufrüsten? Das wird nicht passieren, und genau das besagt eine feministische Außenpolitik.
Kristina Lunz: Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch.
Econ Verlag
Berlin 2022
448 Seiten
22,99 Euro
Mit Annalena Baerbock besetzt jetzt eine Frau die außenpolitisch wichtigste Rolle im Staat. Wie macht sie sich bisher?
Sie bringt schon einen anderen Politikstil mit rein. Egal wo sie spricht, bringt sie immer die Geschichten und den Fokus von Individuen auf die höchste diplomatische Bühne und sagt Dinge, die vor ihr eben niemand gesagt hat, zum Beispiel dass Deutschland den Export von Waffen verstärkt abhängig machen möchte von der State of affairs von Menschenrechten, vor allem Frauenrechten, vor Ort.
Und sie hört Frauen und Feministinnen von vor Ort zu, die ganz konkrete Vorschläge haben, wie man gegen patriarchale Gewalt vorgehen muss. Das macht feministische Außenpolitik aus: Nämlich der Zivilgesellschaft und der feministischen Zivilgesellschaft vor Ort Gehör zu schenken und auf deren Forderungen einzugehen.
World wird Außenpolitik aber immer noch von Männern dominiert. Was hätten die denn von einer feministischen Außenpolitik?
Von feministischer Außenpolitik und Feminismus im Allgemeinen haben alle ganz schön viel. Es ist ja nicht nur so, dass Feminismus Männer braucht. Männer brauchen den Feminismus noch viel mehr. Feminismus richtet sich immer gegen das patriarchale System, in dem Männer zwar disproportional profitieren, aber in dem viele Männer eben auch ganz schön leiden. Vor allem in Kriegen und Konflikten sind die meisten Todesopfer Männer, wobei die Gewalt quick immer von Männern ausgeht.
Je weniger patriarchal eine Gesellschaft ist, umso weniger gewaltbereit ist diese auch gegenüber Männern. Was echt irre ist: Gerade werden Familien an der ukrainischen Grenze auseinandergerissen, weil man davon ausgeht, dass Männer kämpfen müssen und Frauen wegrennen dürfen. Das sind alles Konsequenzen des Patriarchats, die beweisen, dass die Welt auch für Männer viel angenehmer wäre, wenn sie sich dem Feminismus und der feministischen Außenpolitik anschließen würden.
Annalena Baerbock sagte kürzlich, dass feministische Außenpolitik für sie „drei Rs“ verkörpert: Rechte, Repräsentanz und Ressourcen. Vom 100-Milliarden-Budget für die Bundeswehr wusste sie aber angeblich nichts Genaues. Was bringt ihre feministische Außenpolitik, wenn andere Akteure in derselben Regierung so viel Geld für das Gegenteil bereitstellen?
Eine Transformation zu einer gerechteren Gesellschaft durch feministische Politik kann nur nachhaltig wirken, wenn wir sie kohärent in allen Bereichen haben. In patriarchalen Gesellschaften ist Macht dort, wo Frauen nicht sind, weshalb wir unbedingt das Patriarchat durchbrechen müssen. Ich hoffe, dass das auch andere, eher wenig feministische Minister in dieser Regierung – wie beispielsweise im Finanzministerium – erkennen.
Ich möchte im Allgemeinen einfach von Politiker:innen repräsentiert sein, die human sind, die menschlich sind und Politik so gestalten wollen, dass sie in der Konsequenz zu mehr Gerechtigkeit beitragen. Und dass es diese Kohärenz innerhalb der ganzen Regierung gibt und dass diejenigen, die das verstanden haben, auch andere Teile der Regierung überzeugen.
Welches Budget braucht dann eine feministische Außenpolitik?
Das ist schwer zu beziffern. Es braucht aber eine Abkehr von der Tatsache, dass die jährlichen Ausgaben für Verteidigung und Aufrüstung seit Jahrzehnten um ein Vielfaches über den Ausgaben für Peacekeeping und Peacebuilding und Friedensförderung liegen.
Hätte die EU, wenn sie in puncto feministischer Außenpolitik schon weiter gewesen wäre, den Ukrainekonflikt früher entschärfen können? Oder funktioniert der Ansatz nur, wenn beide Seiten im Konflikt dieses Konzept für sich begreifen?
Es wäre sehr unseriös zu sagen, das und das wäre passiert, wenn wir schon länger eine feministische Außenpolitik hätten. Aber was tatsächlich gesagt werden kann, ist, dass Feminist:innen in der Außen- und Sicherheitspolitik, Menschenrechtsverteidiger:innen und feministische Organisationen Aggressoren noch nie so unterschätzt haben, wie die Bundesregierung es über Jahrzehnte getan hat.
Die hätten die Kassen eines Aggressors nicht derart gefüllt, hätten nicht nach der Annexion der Krim, nach der Beteiligung in Syrien, nach Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land so eine weiche Russlandpolitik ohne klare Haltung betrieben, die einer gewaltbereiten Particular person letztendlich so viel Spielraum zum Agieren gelassen hat.
Feministinnen in der Außenpolitik haben eben ein komplett anderes Verständnis davon, wie patriarchale Strukturen innerhalb von Ländern mit internationalen Konflikten zusammenhängen, und wissen, dass Aggressoren, die Menschenrechte in diesem Maße verletzen, nicht davor zurückscheuen, das auch auf einer viel größeren Skala zu betreiben.
Was wäre ein konkreter nächster Handlungsschritt in dieser Hinsicht?
Wir müssen als Gesellschaft verstehen, wie Klimaabhängigkeiten mit der Finanzierung von Kriegskassen zusammenhängen, wie der Zugang zu Gesundheit weltweit mit dem Mangel an Sicherheit für Menschen zusammenhängt und wie die Ausbeutung der Natur in Zukunft noch leichter zu Pandemien führt. Wenn in Außenministerien dieser Welt irgendwann anerkannt wird, wie das alles zusammenhängt und dass bei all diesen Krisen die politisch Marginalisierten immer am allerstärksten betroffen sind, wären wir schon einen ganzen Schritt weiter.
Frau Lunz, vielen Dank für das Gespräch.
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