Düsseldorf Die amerikanische Unternehmerfamilie Ricketts ist vielbeschäftigt. Joe Ricketts ist Milliardär und Seriengründer, seine Kinder und er unterhalten verschiedenste Investments und Stiftungen, samt allen Verpflichtungen. Da muss es ein besonderer Anlass sein, wenn die gesamte Familie sich die Zeit nimmt, um während Pandemie und Ukrainekrieg gemeinschaftlich nach London zu fliegen.
Der Unternehmerclan, dem unter anderem das US-Baseballteam der Chicago Cubs gehört, wird beim FC Chelsea vorstellig. Die Ricketts buhlen bei den Followers um das Privileg, den Londoner Fußballklub von Roman Abramowitsch kaufen zu dürfen. Denn beim Verkauf kommt es auch darauf an, die Fanvertreter hinter sich zu wissen. Aktuell liegt da etwa der als Chelsea-Anhänger geltende britische Milliardär Nick Sweet vor den US-Amerikanern. Der Bieterwettstreit geht in seine entscheidende Part.
In dem Edelstadtteil der britischen Hauptstadt ist ein regelrechtes Tauziehen um den amtierenden Champions-League-Sieger ausgebrochen. Neben den Ricketts hatte zuletzt eine ganze Truppe Milliardäre mit immer verlockenderen Zusicherungen um den vom Deutschen Thomas Tuchel trainierten Klub geworben. Sie alle bieten Berichten zufolge zwischen zwei und drei Milliarden Euro für den seit Jahren defizitären Klub.
Zum Verkauf stehen 100 Prozent an der Gesellschaft, die sich um die Geschäftsaktivitäten des Vereins kümmert. Dazu gehören das Abschließen von Spielerverträgen, die Vergabe von Merchandising-Rechten oder Sponsoring-Offers.
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Wer den Zuschlag erhält, soll noch in diesem Monat entschieden werden, eine Shortlist mit den vier aussichtsreichsten Kandidaten in dieser Woche bekannt werden. Es wäre nicht nur die teuerste Vereinsübernahme der Sportgeschichte – sondern auch die wahrscheinlich komplizierteste.
Am Ende muss die britische Regierung entscheiden
„Normalerweise gibt es bei Transaktionen einen Verkäufer und einen Käufer – das struggle’s. In diesem Fall ist es aber deutlich komplexer“, sagt Kieran Maguire, britischer Experte für Fußballfinanzen und Autor des Buchs „The Value of Soccer“.
Denn die britische Regierung hat das Vermögen des derzeitigen Chelsea-Besitzers Abramowitsch im Zuge der Russlandsanktionen eingefroren, der Oligarch darf keine Geschäfte mehr in England tätigen. Ob und an wen der FC Chelsea verkauft wird, hängt deshalb letztlich von der britischen Regierung ab. „Nur dann, wenn sie einen Verkauf zulässt, kann ein solcher auch zustande kommen“, erläutert Maguire.
Um die Abwicklung des Offers kümmern soll sich jetzt die US-Financial institution Raine Group – im Auftrag des sanktionierten Oligarchen Abramowitsch. Allein die Tatsache, dass das Bankhaus derzeit aktiv auf der Suche nach möglichen Käufern ist, zeigt: Grundsätzlich scheint die britische Regierung es ermöglichen zu wollen, dass ein Kauf über die Bühne geht. „Sonst würde die US-Financial institution wohl kaum ihre Zeit mit der Suche nach Käufern verschwenden. Es gab diesbezüglich offensichtlich bereits einen Austausch zwischen der Raine Group, der Regierung, dem Verein und der Premier League“, vermutet Maguire.
Die Premier League muss dem Geschäft ebenso zustimmen. Maguire zufolge werden sich die Betreiber der höchsten englischen Fußballliga dabei aber wohl ebenso wie die Regierung bedeckt halten – beide Parteien steckten bei der Wahl des neuen Eigentümers in potenziellen Interessenkonflikten. „Die Premier League ist die Aufsichtsbehörde für die Vereine der ersten britischen Fußballliga. Sie sollte nicht wirklich einen subjektiven Einfluss darauf haben, wer Chelsea kauft.“
Die britische Regierung hingegen wolle nicht als Schattendirektor eines Erstligaklubs gelten. Um möglichst nicht im Vordergrund zu stehen, hätten die Beteiligten der Entscheidung Abramowitschs, den Verkauf über die US-Financial institution Raine Group abzuwickeln, zugestimmt.
Zahlreiche Mitentscheider
Ungewöhnlich ist dabei vor allem das offenbar große Mitspracherecht, das Vereinsvertretern bezüglich eines möglichen Offers zugesprochen wird. „In England haben Fußballklubs im Vergleich zu Deutschland keinen Mutterverein, denen die ausgegliederten Mannschaften gehören“, erläutert Markus Buchberger, Anwalt und Inhaber einer auf Sportrecht spezialisierten Kanzlei aus Dortmund.
So hätten aufgrund der „50+1“-Regel in Deutschland die Muttervereine bei wichtigen Entscheidungen das letzte Wort, in England hingegen liege die vollständige Kontrolle meist beim Besitzer. Hochrangige Vereinsmitglieder hätten bei Übernahmen normalerweise kein Mitbestimmungsrecht und würden lediglich Informationen über das bereitstellen, was nun genau unter den Hammer käme.
Im Falle des Chelsea-Offers sieht das offenbar anders aus: Effektiv habe Chelsea entschieden, wer es in die finale Runde der Übernahmekandidaten geschafft habe, will der US-Journalist Ben Jacobs aus Insiderkreisen erfahren haben. Demnach habe die Raine Group dem Vorstandsvorsitzenden des englischen Fußballvereins, Bruce Buck, ein zentrales Entscheidungsrecht eingeräumt. Das sei, so Jacobs, zwar „höchst ungewöhnlich – wie eben dieser gesamte Verkaufsprozess“, bedeute aber auch: „Jeder, der es auf die finale Shortlist der Interessenten geschafft hat, kann davon ausgehen, dass der Verein sich mit ihm als potenziellem Käufer wohlfühlt.“
Wohin geht der Verkaufserlös?
Entscheidend sein dürfte die Frage, wo eigentlich die Milliarden landen, die der neue Inhaber überweisen muss. Geht es nach der britischen Regierung, dann auf keinen Fall bei Roman Abramowitsch. Der Geschäftsmann hat zwar bereits angekündigt, nicht persönlich vom Verkauf profitieren und den „Nettoerlös“ des Offers an Opfer des russischen Angriffskriegs in der Ukraine spenden zu wollen. Allerdings: „Wer entscheidet denn in diesem Fall, wer als Kriegsopfer gilt? Der mutmaßlich mit Wladimir Putin verbandelte Abramowitsch selbst?“, gibt Fußballfinanzexperte Maguire zu bedenken.
Er vermutet, dass das durch einen Verkauf generierte Geld deshalb verstaatlicht würde und auf einem separaten Treuhandkonto landet, auf das Abramowitsch keinen Zugriff hat. Nur so könne die britische Regierung garantieren, dass wirklich weder der Oligarch selbst noch Russland vom Verkauf profitierten.
Die „Monetary Truthful Play“-Regelungen des europäischen Fußballverbands Uefa und der Premier League spielen laut Maguire in diesem Fall keine Rolle. Dennoch bliebe noch eine letzte Hürde für eine potenzielle Übernahme des Vereins, die die Regulatorien der englischen Premier League betrifft: Ein sogenannter „House owners“ and Administrators“ Check“ entscheidet demnach in letzter Instanz über die Eignung des neuen Besitzers.
Dieser soll zum einen sicherstellen, dass ein Käufer über die Mittel verfügt, um den Verein über mehrere Jahre zu führen, zum anderen ausschließen, dass er in kriminelle Aktivitäten verwickelt ist. „Alle Kandidaten, die für eine Übernahme noch im Rennen sind, sollten diese Exams aber problemlos bestehen“, sagt Maguire.
Verhandlungen unter Zeitdruck
Bei aller Komplexität: Es sei im Interesse aller Beteiligten, den Verkauf so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen, sagt der Experte. „Die Zeit rennt davon.“ Es sei unklar, wie viel Liquidität Chelsea noch zur Verfügung stehe und ob der Verein in der Lage sei, die Gehälter seiner Spieler zu bezahlen. Schon in der kommenden Woche würden voraussichtlich Gehaltszahlungen von 32 oder 33 Millionen Euro fällig, schätzt der Fußballfinanzexperte.
Nur wegen einer Sonderlizenz darf der sanktionierte zweifache Champions-League-Sieger derzeit überhaupt noch am englischen Ligabetrieb teilnehmen. Professional Heimspiel dürfen die „Blues“ nicht mehr als 600.000 Euro ausgeben, Reisekosten dürfen nicht mehr als 24.000 Euro betragen. „Solange wir genug Trikots haben und einen Bus, um zu den Spielen zu fahren, werden wir da sein und am Wettkampf teilnehmen“, sagte Coach Tuchel der BBC.
Ob das auch seine Spieler so sehen, ist offen. Medienberichten zufolge haben einige Chelsea-Spieler bereits Anwälte kontaktiert, um die Möglichkeiten einer Vertragsauflösung auszuloten. „Bei internationalen Transfers erlaubt das Fifa-Recht grundsätzlich eine Vertragsauflösung aus triftigem Grund, insbesondere bei erheblichem Verzug der Gehaltszahlungen“, sagt Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der deutschen Spielergewerkschaft.
So habe ein Spieler nach englischem Gesetz das Recht, seinen Vertrag nach zwei Monaten ohne Gehaltseingang fristlos zu kündigen. Laut „transfermarkt.de“ hat der Kader des FC Chelsea einen Marktwert von quick 900 Millionen Euro – die Spieler sind Kapital, sie ablösefrei gehen lassen zu müssen, wäre für die „Blues“ eine wirtschaftliche Katastrophe. Chelsea dürfte deshalb alles dafür tun, um seine Spieler rechtzeitig zu bezahlen.
Und was, wenn kein zeitnaher Verkauf zustande käme – und der Verein tatsächlich nicht mehr genug Geld hätte, um die hochdotierten Verträge seiner Topstars ohne neuen Investor zu finanzieren? „Auch dann würde sich sicherlich eine pragmatische Lösung finden“, vermutet Kieran Maguire.
Vielleicht werde die britische Regierung die Sonderlizenz des sanktionierten Traditionsvereins mit Blick auf die anstehenden Gehaltszahlungen erweitern. Oder die Premier League werde Zahlungen vorstrecken, die sonst erst am Ende der Saison fällig würden. Fest stehe eben eines, sagt der Fußballfinanzexperte: „Niemand in England hat ein Interesse daran, dass der FC Chelsea in sich zusammenfällt. Immerhin ist der Klub amtierender Sieger der Champions League.“
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