Er ist für den Oscar nominiert, sein Film „Das Lehrerzimmer“ wird viel gelobt. Doch warum spricht keiner über İlker Çatak? Diese Ungerechtigkeit muss aufhören.
Ich könnte jetzt an dieser Stelle schreiben, wie ignorant und gemein die deutsche Medienszene ist. Warum große Medienhäuser Fehler gemacht haben und renommierte, kluge Menschen, die dort arbeiten, zu engstirnig waren und das bislang nicht so recht öffentlich zugeben wollen. Ich könnte, kurz gesagt, so richtig draufhauen.
Aber stattdessen möchte ich lieber bei mir selbst beginnen. Und mich entschuldigen. İlker Çatak, es tut mir leid. Ich habe Ihnen Unrecht getan und ich möchte an dieser Stelle erklären, warum diese Ungerechtigkeit viel mehr ist als nur eine individuelle Kleinigkeit.
Warum tauchte der Name İlker Çatak nirgends auf?
Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: İlker Çatak ist für den Oscar nominiert – und kaum jemand in diesem Land nimmt Notiz davon. Von Sandra Hüller hat inzwischen jeder gehört, auch Wim Wenders ist den meisten geläufig. Doch fragen Sie mal nach İlker Çatak: „Nie gehört“, wäre wohl die ernüchternde Antwort.
Das ist in erster Linie kein Problem der Medienkonsumenten, sondern der Medien selbst. Als am 23. Januar 2024 die Kandidaten für den bedeutendsten Filmpreis der Welt, den Academy Award, bekannt gegeben wurden, tauchte der Name İlker Çatak selten in den deutschen Medien auf. Stattdessen war häufig von einer Nominierung für „Das Lehrerzimmer“ zu lesen. Ich möchte dabei nicht auf die unzähligen Publikationen anderer Medien verweisen, in denen das nachweislich der Fall war, sondern t-online selbst als Beispiel nehmen.
Dort erschien am Tag der Verkündung eine Meldung unter der Schlagzeile: „Deutsche Stars für gleich mehrere Oscars nominiert“. Dazu gab es ein Bild von Sandra Hüller zu sehen. İlker Çatak tauchte auch in dem Artikel auf, sogar gleich im ersten Satz, in einem Atemzug mit Wim Wenders – bedauernswerterweise aber mit einer falschen Schreibweise: Dort hieß er nur „Ilker Catak“.
„Mein Name kam kaum vor“
Genau darüber hat sich İlker Çatak in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ aufgeregt. „In sehr vielen Überschriften stand: Sandra Hüller und Wim Wenders sind für den Oscar nominiert. Mein Name kam kaum vor, wenn dann der Titel meines Films: Hüller, Wenders, ‚Das Lehrerzimmer‘. So langsam bekomme ich den Eindruck, dass man anscheinend einen deutschen Namen braucht, um in der Berichterstattung erwähnt zu werden“, sagte der Filmemacher dort und monierte: „Wenn ich dann doch noch irgendwo in einem Nebensatz erwähnt wurde, dann meistens auch noch falsch geschrieben.“
Autsch, dachte ich da: erwischt. Ich habe den besagten t-online-Artikel nicht geschrieben. Aber ich hätte es sein können. Als ich Çataks Kritik las, dachte ich an die Mechanismen der Medienwelt, an die Regeln der Reichweitenoptimierung, die üblichen Verkürzungen und Kniffe, mit denen wir Journalisten unsere Artikel überschreiben, um sie möglichst lesbar und attraktiv zu gestalten und dadurch so viele Leser wie möglich zu erreichen.
Bei Sandra Hüller kann noch folgendes Argument greifen: Sie ist erstmals seit den Dreißigerjahren eine Deutsche, die bei den Oscars für die Beste Hauptdarstellerin nominiert ist – sie persönlich, für ihre schauspielerische Leistung in „Anatomie eines Falls“. Es liegt auf der Hand, das beim Namen zu nennen, denn es kommt einer Sensation gleich. Bei Çatak hingegen stellt sich die Sachlage anders dar: Sein Werk „Das Lehrerzimmer“ ist nominiert, nicht zwangsläufig nur er als Person. Es ist die ganze Produktion, die prämiert werden könnte und daran trägt er stellvertretend als Regisseur und einer der zwei Drehbuchautoren großen Anteil.
Man könnte nun sogar einwenden, dass der Preis, sollte er am Sonntag beim Auslandsoscar tatsächlich an Deutschland und „Das Lehrerzimmer“ gehen, auch Ingo Fliess gehört. Er ist der Produzent des Films und als „Das Lehrerzimmer“ im vergangenen Jahr den Hauptpreis als Bester Spielfilm beim Deutschen Filmpreis gewann, nahm Fliess die Trophäe stellvertretend für das Werk entgegen. İlker Çatak wurde an dem Abend als Bester Regisseur gekürt und entsprechend auf der Bühne gefeiert – aber diese Extrakategorie gibt es beim Auslandsoscar nicht.