Die Ökonomin Veronika Grimm will ein Aufsichtsratsmandat bei Siemens Energy antreten – ihre Kollegen im Rat der „Wirtschaftsweisen“ wittern einen Interessenkonflikt. Ist da was dran?
Kleiner Kreis, großer Ärger: Im Rat der fünf „Wirtschaftsweisen“, dem Ökonomen-Gremium, das die Bundesregierung in Wirtschaftsfragen berät, herrscht dicke Luft. Auslöser ist ein Aufsichtsratsmandat beim Dax-Konzern Siemens Energy, das eine aus dem Kreis der fünf Experten, die Energieökonomin Veronika Grimm, kommenden Montag antreten will.
Die anderen vier „Wirtschaftsweisen“ – die Vorsitzende Monika Schnitzer, die Verhaltensökonomin Ulrike Malmendier, der Staatsfinanzen-Spezialist Achim Truger und der Rentenexperte Martin Werding – halten das für keine gute Idee. Sie sehen in dem Aufsichtsratsmandat einen Interessenkonflikt und fordern Grimm auf, entweder auf ihr gut dotiertes Siemens-Energy-Mandat oder auf ihr Ehrenamt im Sachverständigenrat zu verzichten. In einem bislang einmaligen Vorgang haben sie Grimm dazu einen Brief geschrieben, der auch an das Bundeswirtschafts- und das Finanzministerium erging. Zuerst berichteten darüber das „Handelsblatt“ und „Table Media“.
Begründung der vier Wirtschaftsexperten: Die Firma Siemens Energy, die unter anderem Kraftwerkskomponenten baut, gilt als Schlüsselunternehmen für die Energiewende in Deutschland – die angesichts von Klimakrise und dem Wegfall von Billig-Gas aus Russland mithin das drängendste Thema in der Politikberatung ist. Zudem hat der angeschlagene Dax-Konzern erst kürzlich Staatsgarantien in Höhe von 7,5 Milliarden Euro vom Bund erhalten.
Das Gremium
Bei den fünf „Wirtschaftsweisen“ handelt es sich um unabhängige Berater der Bundesregierung in Fragen der Wirtschaftspolitik. Eingeführt hat den „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ (SVR) 1963 der damalige Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard. Die Mitglieder des SVR werden für eine Amtszeit von fünf Jahren nominiert. Jeweils einen Experten des Rats dürfen die Arbeitgeber und die Gewerkschaften vorschlagen, die drei anderen werden auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten ernannt. Auf diese Weise soll der SVR eine ausgewogene Meinungsbildung ermöglichen.
Eine ungute Gemengelage, die, so die vier anderen Ratsmitglieder, die Unabhängigkeit des Gremiums gefährde, sollte Grimm in den Aufsichtsrat einziehen. Sie wollen jeden Anschein von Befangenheit oder Interessenvermischung vermeiden.
Grimm: „Es gibt keinen Interessenkonflikt“
Grimm hält diese Argumentation dagegen für wenig stichhaltig. Im Gespräch mit t-online sagt sie am Donnerstag: „Ich habe prüfen lassen, ob das Aussichtsratsmandat kompatibel ist mit meiner Aufgabe im Sachverständigenrat. Zusätzlich gab eine Compliance-Prüfung bei der Siemens Energy. Resultat: Es gab nichts zu beanstanden.“
Tatsächlich spricht der Gesetzeslage zufolge nichts gegen eine Aufsichtsratstätigkeit – was auch daran liegt, dass es sich, wie auch Grimm betont, nicht um eine operative Rolle in dem Unternehmen handelt. Zudem verweist sie darauf, dass in der Vergangenheit immer wieder Wirtschaftsweise Aufsichtsratsposten innehatten, etwa Wolfgang Franz, der Aufseher beim Energiekonzern EnBW war, oder Jürgen Donges, der in selber Funktion für die Mannesmann AG tätig war. Ein Problem darin sah damals niemand.
Längst pfeifen die Spatzen im politischen Berlin deshalb auch andere Motive für den Appell der anderen vier Ökonomen an Grimm von den Dächern: Grimm, so heißt es einerseits unter Politikern und Wirtschaftsexperten, überstrahle die übrigen Ratsmitglieder durch ihre Medienpräsenz, von Neid ist die Rede.
Grimm will nicht kleinbeigeben
Eine andere Theorie wirkt im Lichte solcher Spekulationen stichhaltiger: Die Wirtschaftsweisen, einst ein Hort der Marktliberalen, über Jahre geprägt von Ökonomen wie dem heutigen Berater von Finanzminister Christian Lindner (FDP), Lars Feld, haben in den vergangenen Jahren ideell einen Kursschwenk unternommen – und stehen inzwischen mehrheitlich für eine eher interventionistisch geprägte Denkschule. Zu dieser passt Grimm mit ihren Auffassungen nur bedingt.
In dem Brief der anderen vier Ökonomen an Grimm heißt es zwar, dass ihre inhaltlichen Positionen „nicht ausschlaggebend“ seien für die Bitte, auf den einen oder eben den anderen Posten zu verzichten. Fakt aber ist, dass Grimm in der Vergangenheit schon öfter mit ihren Kollegen überkreuz lag, zuletzt etwa in der Frage nach einem Umverteilungsmechanismus innerhalb der gesetzlichen Rente.
Klein beigeben will Grimm nach den vergangenen turbulenten Tagen nicht. „Ich werde das Aufsichtsratsmandat bei Siemens Energy antreten“, sagte sie t-online. „Im Sachverständigenrat werden wir einen Weg finden, mit der Situation umzugehen. Das ist auch in der Vergangenheit den Kolleginnen und Kollegen gelungen.“ Ob sich dieser Wunsch bewahrheitet, darf jedoch bezweifelt werden.