Berlin Es sind nicht nur fehlende Kabelbäume für die Autoindustrie: Der Krieg in der Ukraine hat mittlerweile deutlich schwerere Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Teilweise brechen schon ganze Lieferketten in sich zusammen.
Die noch größere Gefahr aber läuft bislang unter dem Radar: Die Investitionstätigkeit der Wirtschaft ist dabei abzureißen. „Wir laufen mitten in einen breiten Investitionsstopp in vielen Bereichen der Wirtschaft“, sagt der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Peter Adrian.
Die Unsicherheit durch die angespannte Lage und die hohen Energiepreise sorgen verstärkt dafür, dass Unternehmen geplante Investitionen zurückstellen oder ganz absagen wollen. Das ist ein deutliches Warnsignal: Ohne neue Investitionen leidet die Substanz einer Volkswirtschaft. Sie sind alternativlose Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum.
Die Ifo-Voraussage von Mittwoch hält es für denkbar, dass die deutschen Unternehmen 2022 gar nicht in neue Ausrüstung wie Maschinen oder IT investieren, wenn sich die konjunkturelle Lage noch weiter zuspitzt.
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„Unternehmen haben aufgrund der aktuellen Lage immer weniger Anreize zu investieren“, warnt Luc Frieden, Präsident des Verbands der europäischen Industrie- und Handelskammern (Eurochambres). Im Durchschnitt rechnen die vier größten deutschen Institute bei den Ausrüstungsinvestitionen in diesem Jahr bloß noch mit einem Wachstum von 2,7 Prozent.
Ein erschreckender Wert, wenn man in die Historie blickt. Schon vor der Coronakrise litt Deutschland unter einem Investitionsstau. Dabei ist die Notwendigkeit von Investitionen derzeit dringender denn je, egal ob in klimafreundliche Technologien, Digitalisierung oder für eine höhere Produktivität, um den Wegfall vieler Arbeitskräfte durch den demografischen Wandel abzufedern.
Deutschland liegt im internationalen Vergleich weit zurück
Die Verwerfungen der Pandemie führten aber auch noch dazu, dass die Unternehmen einen erheblichen Anteil ihrer Ausrüstung abschreiben mussten. Beim Wachstum der Ausrüstungsinvestitionen 2020 stand in der Folge erstmals seit Jahrzehnten wieder ein Minus in den Büchern – und mit minus 11,2 Prozent kein geringes. Dass die Pandemie nicht so schnell weichen wollte, führte dazu, dass die Investitionen auch 2021 nur wenig stiegen.
Der internationale Vergleich macht deutlich: Es handelt sich um ein speziell deutsches Drawback. Das prognostizierte Wachstum der Bruttoanlageninvestitionen 2022 – zu denen neben Ausrüstung auch neue Gebäude und Lagerhaltung gehören und das besser worldwide vergleichbar ist – liegt für die USA fünf Mal höher als für Deutschland. Selbst für den Euro-Raum soll das Wachstum in diesem Jahr quick doppelt so hoch ausfallen, so die Schätzung des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).
All die ausgebliebenen Investitionen hätten nun nachgeholt werden sollen. Ursprünglich conflict in den Prognosen für 2022 von Raten in Höhe von an die zehn Prozent beim Investitionswachstum die Rede. Aber egal, wie der Krieg weitergeht, klar ist schon jetzt: Diese Prognosen werden deutlich verfehlt.
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Und auch für 2023 sieht es nicht intestine aus. Das Wachstum der Ausrüstungsinvestitionen wird dann immerhin im Durchschnitt auf rund acht Prozent prognostiziert.
Ökonom Gabriel Felbermayr, Mitglied im Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums, erklärt jedoch: „Das ist auch der große Unterschied zu Coronakrise: Sollte der Krieg irgendwann ein Ende finden, werden höhere Energiepreise und die Unsicherheit durch eine Artwork Kalten Krieg 2.0 wohl bleiben.“ Manche Investitionen werden daher nachgeholt, doch wohl nicht alle.
„Die Politik muss alle Schleusen öffnen“
Um zumindest einen Teil dieser Schäden abzuhalten, fordern Ökonomen jetzt stärkere Investitionsanreize durch die Politik. Die Bundesregierung hat zuletzt zwar enorme staatliche Investitionen auf den Weg gebracht, allen voran zusätzliche 100 Milliarden Euro für Rüstungsausgaben. Auch arbeitet Berlin an Wirtschaftshilfen für Unternehmen, die durch den Krieg in Not geraten sind.
Doch brauche es vielmehr strukturelle Anpassungen, meinen Experten. Die Investitionstätigkeit drohe noch längere Zeit deutlich unter dem Niveau von vor der Coronakrise zu bleiben, befürchtet Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Ökonom Felbermayr sagt: „Nie ist klarer als jetzt: Die Politik muss alle Hebel in Bewegung setzen, um Investitionen möglichst attraktiv zu machen.“
Eurochambres-Chef Frieden fordert: Planungs- und Genehmigungsverfahren müssten noch in deutlich mehr Bereichen beschleunigt werden, als die Bundesregierung plant. Die hat es bislang vor allem auf den Ausbau der erneuerbaren Energie abgesehen. Und an steuerlichen Erleichterungen führe kein Weg vorbei, meint Frieden, „wenn man es mit der Transformation der Wirtschaft ernst meint“. Sein deutscher Amtskollege Adrian fordert dahingehend kurzfristige Maßnahmen, etwa eine Senkung der Stromsteuer.
Die Folgen des Ukrainekriegs bremsen die deutsche Wirtschaft laut Ifo-Institut 2022 schon jetzt deutlich. Das Group um Wollmershäuser erwartet für 2022 nur noch ein Wachstum zwischen 2,2 und 3,1 Prozent. Bisher hatte es noch mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von 3,7 Prozent gerechnet.
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