Sie stoßen auf viel Wut: die Klebeproteste der „Letzten Generation“. Nun sind sie Geschichte. Straßen sollen aber weiterhin blockiert werden.
Die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ wollen sich nicht mehr auf die Straße kleben. Das hat die Gruppe am Montag angekündigt. Das bedeutet jedoch nicht das Ende von Straßenblockaden. Stattdessen sind „ungehorsame Versammlungen“ geplant. Was das genau bedeutet und warum sie die Strategie wechseln, erklärt Lina Johnsen, Sprecherin der „Letzten Generation“, im Interview mit t-online.
Frau Johnsen, was ist unter „ungehorsamen Versammlungen“ zu verstehen?
Lina Johnsen: Der Kern von ungehorsamen Versammlungen ist, dass sie anschlussfähig sind und Widerstandsgeist in den Leuten wecken sollen. Wir wollen große Versammlungen auf Kreuzungen oder wie in den Niederlanden vielleicht auch auf Autobahnen machen. Dort werden auch Reden gehalten. Wann sie von der Straße wieder runtergehen, entscheiden die Teilnehmer dann spontan, je nachdem, wie weit jeder Einzelne gehen möchte.
Sie setzen also doch weiter auf Blockaden und die Störung des Straßenverkehrs, nur ohne Klebeaktionen?
Ja, wir gehen weg von der maximalen Störung der öffentlichen Ordnung hin zu einer maximalen Anzahl von Menschen, die die öffentliche Ordnung stören – mit lokaleren Versammlungen auf großen Kreuzungen zum Beispiel.
Das wird wieder zu heftigen Spannungen führen.
Die Geschichte hat gezeigt, dass solche Spannungen in der Gesellschaft notwendig sind. Sonst kann man auch nichts verändern. Das perfekte Maß an Spannung liegt dabei zwischen zwei Polen: zwischen anteilnahmslos oder passiv auf der einen Seite, also Folge leisten, auch wenn das das Hinnehmen von riesigem Unrecht heißt, und der Gewalt auf der anderen. Damit eine Gitarre einen Unterschied macht, also bespielt werden kann, dürfen die Saiten weder zu locker noch zum Zerreißen gespannt sein. Wir planen Störungen so, dass sie anschlussfähig sind, sich alle austauschen und weitere Leute dazukommen können. Ob sie dabei stehen, sitzen, tanzen oder musizieren, ist den Leuten komplett selbst überlassen. Aber wie gesagt – wir kleben uns nicht mehr an.
Zur Person
Lina Johnsen ist 26 Jahre alt. Sie ist Sprecherin der „Letzten Generation“ und seit März 2022 Teil der Bewegung.
Wieso? Woher kommt der Sinneswandel?
Wir glauben immer noch, dass die bisherige Strategie richtig war zu der Zeit. Die Klebeaktionen waren nun mal effizient und effektiv, und die Bundesregierung hat gezeigt, dass sie lieber Menschen kriminalisiert, als ihr katastrophales Versagen im sozial gerechten Ausstieg aus Gas, Kohle und Öl anzugehen. Trotzdem wurde in den letzten zwei Jahren die Außenwahrnehmung analysiert und Umfragen gemacht. Wir kamen zu dem Schluss: Es braucht eine Strategieentwicklung, um uns für alle Menschen zugänglicher zu machen. Es ist der nächste Schritt. Wir brauchen das Kleben nicht mehr.
Was genau haben die Analysen ergeben?
Dass wir uns einen Namen gemacht haben. Aus den anfänglich 24 Leuten sind mehrere Hundert Menschen geworden. Im Jahr 2023 waren es zum Beispiel 80 Prozent mehr als im ersten Jahr. Aber zuletzt sind die Zahlen nicht mehr so deutlich gestiegen. „Die Zeit“ hat eine repräsentative Befragung von 2.800 Menschen durchgeführt. 25 Prozent der Befragten unterstützen die Straßenblockaden, mehr als 40 Prozent finden den Protest legitim, eine große Mehrheit der Deutschen ist für angemesseneren Klimaschutz und alle wollen, dass wir auch in Zukunft noch Wasser, Essen und Frieden haben. Dann haben wir uns gefragt: Wenn da so eine Masse an Leuten ist, die das legitim und gerechtfertigt findet, warum sind diese Menschen nicht Teil unserer Proteste?
Zu welchem Schluss sind Sie gekommen?
Dass viele eingeschüchtert sind von Repressionen, die sie bei den Protesten erwarten könnten und von dem Bild, das die Medien von der „Letzten Generation“ präsentieren. Und dass wir noch mehr Möglichkeiten bieten müssen, sich auch neben einem normalen Leben, neben der Arbeit, der Familie, am Widerstand gegen den Status quo „weiter so“ zu beteiligen.
Aber auch die neue Protestform bleibt ein Eingriff in den Straßenverkehr. Die Menschen müssen also weiter mit Repressionen rechnen. Warum sollten sie jetzt weniger Angst davor haben?
Dass Menschen Angst vor Repressionen haben, ist nur logisch. Ich habe das auch. Aber es werden keine Repressionen folgen, wenn man auf die Straße geht, sich versammelt und dann der Polizei Folge leistet und auch wieder von der Straße runtergeht. Wie der Staat darauf reagiert, wenn ganz viele Leute einfach nicht mehr von der Straße gehen wollen, das können wir noch nicht genau sagen. In Den Haag in den Niederlanden hatte das Erfolg und hat die Regierung letztendlich zum Einlenken gebracht.