Bangkok Während westliche Konzerne angesichts des Ukrainekriegs einen großen Bogen um russisches Öl machen, gibt es in Indien keine Berührungsängste. Indian Oil, das größte staatliche Mineralölunternehmen des Subkontinents, bestellte davon zuletzt drei Millionen Barrel, wie zu Beginn der Woche bekannt wurde. Bereits kurz vor Beginn der russischen Invasion hatte der Raffineriebetreiber aus Neu-Delhi den Erwerb von russischem Öl nach zweijähriger Pause wieder aufgenommen.
Die Regierung in Moskau hat Grund zur Hoffnung, dass aus den jüngsten Liefervereinbarungen ein längerfristiges Geschäft wird. Im Gegensatz zu Europa und Amerika sieht Indien keinen Grund, die Verbindungen zu Russland zu kappen.
Im Gegenteil: Vertreter beider Länder arbeiten offenbar an einer Vertiefung der Handelsbeziehungen – und bereiten einen Zahlungsmechanismus vor, mit dem sie sich gegen Sanktionen des Westens absichern möchten.
Indien ist neben China die zweite große Volkswirtschaft in Asien, die enge Kontakte zu Russlands Präsident Wladimir Putin pflegt und dessen Angriffskrieg in der Ukraine nicht verurteilt hat. Bei Abstimmungen im Sicherheitsrat und der Vollversammlung der Vereinten Nationen über Resolutionen, die sich gegen Russlands Vorgehen wandten, enthielten sich die Regierungen in Peking und Neu-Delhi gleichermaßen.
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Russland ist für Indien der wichtigste Lieferant von Rüstungsgütern. Indiens Premier Narendra Modi bekräftigte zuletzt im Dezember die „besonders privilegierte strategische Partnerschaft“ mit Russland.
Neue Geldquelle für Wladimir Putin
Von dem nun diskutierten Ausbau des Ölhandels erhoffen sich beide Länder Vorteile: Indien setzt darauf, russisches Öl zum Vorzugspreis zu erhalten – und damit den für Indiens Konjunktur äußerst schädlichen Ölpreisanstieg abfedern zu können.
Russland wittert eine neue Geldquelle, die den Wegfall von Exportgeschäften mit dem Westen ein Stück weit ausgleichen könnte – allein durch das Importverbot der USA braucht das Land für 700.000 Barrel täglich einen neuen Abnehmer.
Russlands Vizepremier und Energieminister Alexander Nowak sagte nach einem Gespräch mit seinem indischen Amtskollegen: „Russlands Ölexporte nach Indien haben sich der Marke von einer Milliarde US-Greenback angenähert, und es gibt klare Möglichkeiten, diese Zahl zu erhöhen.“
In Indien zeigt man sich gewillt, darauf einzugehen: Russland biete sein Erdöl und andere Rohstoffe stark verbilligt an, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters Regierungsvertreter in Neu-Delhi. Man wolle dieses Angebot mit Freude annehmen, hieß es.
Indiens Ölminister Hardeep Singh Puri sagte im Parlament, die Regierung prüfe alle möglichen Bezugsquellen für den Rohstoff. Indien bezieht rund 80 Prozent seines Erdölbedarfs aus dem Ausland. Zuletzt kamen lediglich zwei bis drei Prozent aus Russland.
Um die Geschäfte mit Russland abzusichern, arbeiten die Behörden in Neu-Delhi indischen Medienberichten zufolge nun an einem Zahlungssystem, das ungeachtet westlicher Sanktionen funktionieren soll – als Vorbild gilt ein Modell, das Indien in der Vergangenheit für Geschäfte mit dem Iran nutzte.
Grenzüberschreitende Transaktionen würden den Plänen zufolge nicht mehr in Greenback, sondern direkt in Rupien und Rubel abrechnet werden. Eine indische Financial institution soll dafür ein Konto in Russland unterhalten und eine russische Financial institution eines in Indien.
Die Rupien, die Russland auf das Konto in Indien überwiesen bekäme, könnte das Land nutzen, um Waren in Indien einzukaufen. Über den Wechselkurs müssen sich die beiden Länder allerdings offenbar noch verständigen.
Unklar ist zudem, wie sie mit Indiens Außenhandelsdefizit umgehen wollen. Unter anderem wegen Rüstungsdeals waren Indiens Importe aus Russland zuletzt deutlich größer als seine Exporte in das Land.
Indien bestellte 2018 für 5,4 Milliarden Greenback das Raketenabwehrsystem S-400 aus Russland. Die Auslieferung begann nach russischen Angaben im vergangenen Jahr – gegen den Widerstand der USA, die bereits vor dem Ukrainekrieg wegen der Rüstungskooperation Sanktionen gegen Indien in den Raum stellten.
Dazu gekommen ist es bislang aber nicht – in Washington will man Indien als Verbündeten angesichts der Rivalität mit China nicht verlieren. US-Präsident Joe Biden sprach mit Blick auf Indiens Haltung zu Russland von bislang ungelösten Differenzen. Die britische Außenministerin Liz Truss plädierte für eine engere Verteidigungskooperation mit Indien, um das Land von Russland unabhängiger zu machen.
Das Ziel, zumindest langfristig nicht mehr auf Russlands Militärexporte angewiesen zu sein, verfolgt auch Indiens Premier Modi. In einem Treffen mit seinen Sicherheitsberatern zum Ukrainekrieg betonte er am Wochenende die Notwendigkeit, Indiens Verteidigungssektor vom Ausland unabhängig zu machen, indem Rüstungsgüter zunehmend im Inland hergestellt werden. Dies würde nicht nur Indiens Sicherheit erhöhen, sondern auch die Wirtschaft stärken, hieß es.
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