Große Aufregung, kleine Wirkung. So könnte man die Reaktionen in den sozialen Medien auf Themen wie die Frauenquote wohl am besten zusammenfassen. Die einen halten Quoten für zwingend geboten, um eine Gleichstellung der Geschlechter in der Wirtschaft zu erreichen. Die anderen schlagen die Hände über dem Kopf zusammen und meinen, es müsse nach Leistung gehen und nicht nach Geschlecht. Wer hat recht?
Neue Zahlen zeigen: Geht es mit der Besetzung von Frauen in hohen Führungspositionen im bisherigen Schneckentempo weiter, werden sie erst 2052 gleichgestellt im Topmanagement vertreten sein. Vor diesem Hintergrund ist die Debatte über das Für und Wider der Frauenquote beispielhaft dafür, wie der gesamte Variety-Diskurs in den sozialen Medien geführt wird: im Empörungsmodus, der uns weitgehend auf der Stelle treten lässt.
Die Artwork der Auseinandersetzung ist den Zielen, die mit der Debatte erreicht werden sollen, offensichtlich nicht zuträglich. Die öffentliche Diskussion um Variety, Fairness und Inclusion geht an der Lebensrealität, insbesondere in Unternehmen, völlig vorbei. Soll sich nachhaltig etwas ändern, muss der Variety-Diskurs entemotionalisiert werden.
In den vergangenen Monaten konnte ich viele Erfahrungen bei der Beratung von Unternehmen zu Variety-Themen sammeln. Dabei fiel besonders eine Sache immer wieder auf: Es gibt eine große Diskrepanz zwischen der Variety-Bubble in den sozialen Medien und den einschlägigen Fragen und Herausforderungen in Unternehmen. Auf Instagram, Twitter, LinkedIn und Co. geht es bei Themen wie „Quoten“ oder „gendergerechte Sprache“ hoch her. Komplexe Zusammenhänge werden oft schwarz-weiß gezeichnet – Jung versus Alt oder Mann versus Frau werden gegeneinander ausgespielt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Aufregung sorgt für Aufmerksamkeit.
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Empörungswellen schaden der Sache
In Unternehmen hingegen stellt sich die Realität ganz anders dar. Natürlich geht es auch hier immer wieder um das „richtige“ Gendern, allerdings nur am Rande. Viel wichtiger sind konkrete Ansatzpunkte zur Verbesserung der beruflichen Scenario von Frauen, zu Fragen der Machbarkeit und, ganz zentral: der Messbarkeit. Um Variety erfolgreich in Unternehmen zu verankern, müssen die damit einhergehenden positiven Folgen messbar, sprich belegbar werden.
Selbstverständlich tauchen dann auch hier beispielsweise Quotenziele auf. Aber nicht als Mittel der Empörung, sondern als Instrument zur Umsetzung konkreter Ziele. Denn: Was nicht gemessen werden kann, wird auch nicht gemacht.
Es gibt zwei Gründe, warum die Empörungswellen in den sozialen Medien der Variety-Sache sogar schaden und letztlich Veränderungen in Unternehmen verhindern. Zum einen kann das Thema angstbesetzt werden. Man muss sich vor jedem falschen Zungenschlag hüten, will man nicht Gefahr laufen, als ewiggestrig stigmatisiert zu werden. Außerdem: Je mehr Menschen verschiedener Ethnien oder sozialer Herkunft an einem Tisch sitzen, desto kleiner kann in der Selbstwahrnehmung der eigene Platz werden.
Das ist ein Trugschluss, doch oft lösen schon solch diffuse Ängste Unsicherheit aus. Überlassen wir den Diskurs in den sozialen Medien additionally weiterhin jenen, die Empörung bewusst nutzen, um Ängste zu schüren, wird der Variety-Sache ein Bärendienst erwiesen. Zum anderen lösen Empörungswellen unüberlegte Abwehrreaktionen aus – auf Aktivismus folgt Aktionismus. Unternehmen reagieren auf einen Shitstorm nicht selten mit mehr oder weniger sinnfreien Maßnahmen – beispielsweise der überstürzten Gründung eines Frauennetzwerks oder einem unausgereiften Mentoring-Programm.
Wir müssen weg vom reinen Aktivismus
Derart hektische Reaktionen ändern jedoch nichts an der Struktur des Unternehmens. Solange additionally ein rein aktivistischer Diskurs vorherrscht, kann es in Unternehmen zu keinen echten Veränderungen kommen. Empörung ist mithin auf ganzer Linie kontraproduktiv. Eine Entemotionalisierung der Debatten um Variety, Fairness und Inclusion erscheint deshalb geradezu zwingend. Das ist freilich leichter gesagt als getan.
Dennoch müssen wir weg vom reinen Aktivismus und hin zu einem sachlichen Diskurs, der natürlich auch künftig kritische Äußerungen nicht ausschließen soll. Reine „Manels“ etwa – in Diskussionsrunden sitzen (quick) nur Männer – sollten ein für alle Mal der Vergangenheit angehören. Insgesamt geht es bei dem Appell zur emotionalen Abrüstung ja auch nicht darum, neue Maulkörbe zu verhängen. Stattdessen muss man fragen: Wann engagieren sich Entscheiderinnen und Entscheider für mehr Diversität?
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Nur dann, wenn klar ist, welche Vorteile für sie, ihr Umfeld und das Unternehmen daraus entstehen. Auch bei anderen strategischen Themen stellt sich stets die Frage: Was habe ich persönlich davon, mich für dieses oder jenes Thema starkzumachen? Das zeigt sich derzeit ganz deutlich, wenn es um die Innovationskraft von Unternehmen geht. Entscheider*innen setzen sich in dem Second für Neuerungen ein, wenn diese das Unternehmen stärken. Was für Innovativität gilt, gilt gleichermaßen auch für Diversität – zumal es zwischen beiden Themen einen Kausalzusammenhang gibt.
Nicht die immer gleichen Fehler wiederholen
Die Unternehmensberatung McKinsey belegt mit ihrer Studie „Variety Wins – How Inclusion Issues“ aus dem Jahr 2020, dass Unternehmen mit einem hohen Frauenanteil bessere Chancen haben, überdurchschnittlich erfolgreich zu sein. Je diverser ein Workforce zusammengesetzt ist, desto mehr Meinungen und Erfahrungen fließen in einem Projekt zusammen. Die Wiederholung der immer gleichen Fehler, zu denen homogene Groups empirischen Befunden zufolge deutlich stärker neigen als heterogene Groups, kann so vermieden werden.
Keine Frage: Ein gutes Ergebnis zu erreichen dürfte in diversen Groups, wo verschiedene Meinungen aufeinanderprallen, schon anstrengender sein als in homogenen Groups – am Ende aber wird das Resultat besser und zukunftsträchtiger ausfallen. US-Forscherinnen fanden beispielsweise heraus, dass Studierende aus niedrigeren sozialen Schichten beim Teamworking bessere Leistungen erbringen als ihre sozial besser gestellten Kommiliton*innen.
Warum? Weil sie kooperativer sind. Entscheider*innen, denen bewusst ist, dass sie wirtschaftlich erfolgreicher sind und ihr Workforce besser performt, wenn sie sich für Diversität einsetzen, brauchen gar keine Quotendebatten mehr. Ein messbares Mehr an Diversität bedeutet mehr Wirtschaftlichkeit und eine erfolgversprechendere Strategie. Gerade deshalb ist Messbarkeit in Unternehmen so wichtig. Denn sie ist gleichbedeutend mit Greifbarkeit. Und greifbare Erfolge überzeugen am Ende des Tages mehr als jede noch so große Empörungswelle in den sozialen Medien.
Um auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Wer hat recht? Keine der beiden Seiten, weder die Quoten-Befürworter noch die Quoten-Gegner. Ihnen muss man vielmehr zurufen: Rüstet in unser aller Interesse beim Gendern und im gesamten Variety-Diskurs endlich emotional ab! Und auch rhetorisch!
Die Autorin: Tijen Onaran ist CEO des Variety-Beratungsunternehmens World Digital Ladies.
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