New York Genau einen Monat nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski die Menschen für Donnerstag weltweit zu Protesten gegen den Krieg aufgerufen. „Kommen Sie im Namen des Friedens, kommen Sie mit ukrainischen Symbolen, um die Ukraine, die Freiheit und das Leben zu unterstützen!“, sagte Selenski in einer Videoansprache in der Nacht. Auf Befehl von Präsident Wladimir Putin hatte Russland in der Nacht auf den 24. Februar das Nachbarland angegriffen.
Auch für die Reaktion der westlichen Länder auf den Krieg soll der Donnerstag ein entscheidender Tag werden: In Brüssel stehen Gipfeltreffen der Nato, der Gruppe der sieben wichtigsten Industrieländer (G7) und der Europäischen Union (EU) an. Dazu ist US-Präsident Joe Biden nach Europa gekommen. Die Spitzenberatungen sollen nach Worten seines Sicherheitsberaters Jack Sullivan die „nächste Part“ der militärischen Unterstützung für die Ukraine einläuten.
„Auf diesen drei Gipfeln werden wir sehen: Wer ist ein Freund, wer ist ein Companion, und wer hat sich verkauft und betrogen?“, sagte Selenski. Man müsse zusammenarbeiten und verhindern, dass Moskau Mitglieder der Nato, EU oder G7 auf die Seite des Krieges ziehe. Die Kämpfe in der Ukraine gingen unterdessen mit unveränderter Härte weiter.
Die militärische Scenario
Russische Truppen greifen nach Angaben des ukrainischen Militärs weiter zahlreiche Städte und Gebiete in dem Land an – sind allerdings bei der Hauptstadt Kiew am Vorrücken gehindert worden. Beim Kiewer Vorort Browary seien russische Truppen gestoppt worden, hieß es in dem in der Nacht zu Donnerstag auf Fb veröffentlichten Bericht des ukrainischen Generalstabs. Es sei ihnen nicht gelungen, die ukrainischen Verteidigungsstellungen zu durchbrechen, um den nordwestlichen Stadtrand von Kiew zu erreichen.
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In dem Gebiet rund um die belagerte Stadt Isjum versuchten russische Einheiten, Abwehrstellungen der ukrainischen Streitkräfte in den südlich von Isjum gelegenen Dörfern Donezke, Topolske und Kamjanka zu durchbrechen, hieß es weiter. Die Gefechte dort dauerten an.
Im Gebiet Donezk sei die überwiegende Mehrheit der ukrainischen Einheiten unter Beschuss. Russische Truppen wollten in dem Gebiet vor allem die Orte Werchnoterezke, Marjinka und die Großstadt Mariupol einnehmen. Sie versuchten auch ohne Kampf die Positionen ukrainischer Truppen zu passieren und sich vorwärts zu bewegen.
In dem Gebiet Luhansk konzentrierten sich die Anstrengungen auf die Städte Rubischne mit 60.000, Sjewjerodonezk mit 100.000 und Popasna mit 20.000 Einwohnern, hieß es in dem Bericht weiter. Bei Popasna versuchten sie mit Artillerie-Unterstützung weiter in die Stadt vorzudringen, was aber nicht gelinge.
Auch im Norden des Landes dauerten die Kampfhandlungen an. Russische Einheiten hätten am Mittwoch die Orte Kalinowka, Horinka, Romanowka und die nordöstlichen Randgebiete der Hauptstadt Kiew mit Artillerie beschossen. Russische Truppen verminten in dem Gebiet auch Bereiche. Die Angaben können nicht unabhängig geprüft werden.
Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums haben die russischen Streitkräfte auch einen Monat nach Kriegsbeginn nicht die Lufthoheit in der Ukraine erobert. Die USA und ihre Verbündeten arbeiteten daran, den Ukrainern mehr Luftabwehrsysteme mit großer Reichweite zu beschaffen. Die derzeit vorhandenen Systeme setzten die Ukrainer „sehr effektiv“ ein. Das sei ein Grund dafür, „warum wir ein ziemlich risikoscheues Verhalten einiger russischer Piloten beobachten“.
Durch russischen Beschuss in Kiew wurde am Mittwoch die russische Journalistin Oxana Baulina getötet, die für das unabhängige Investigativportal The Insider (theins.ru) arbeitete. Seit Beginn des Kriegs gab es Berichte über mindestens sechs getötete Journalisten.
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Rund 4500 Evakuierungen aus mehreren ukrainischen Städten
In der Ukraine sind im Laufe des Tages mehr als 4500 Menschen aus belagerten und umkämpften Städten evakuiert worden. Das teilte der stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Kyrylo Tymoschenko, am Mittwochabend (Ortszeit) auf Telegram mit. Der Großteil von ihnen, quick 3000 Menschen, habe aus der Hafenstadt Mariupol kommend mit privaten Transportmitteln die Großstadt Saporischschja erreicht.
Weitere Evakuierungen habe es zudem aus dem Ort Huljajpole, dem Gebiet Luhansk und drei Dörfern im Gebiet Kiew gegeben. Laut Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk hätten sieben von neun geplanten Korridoren funktioniert. Bei zwei Fluchtwegen seien Autobusse von russischen Einheiten an Kontrollpunkten aufgehalten worden, sagte sie in einer Videobotschaft am Mittwochabend. Die Angaben konnten zunächst nicht unabhängig geprüft werden.
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Von russischer Seite hieß es, rund 8500 Bewohner Mariupols seien ohne Beteiligung der Kiewer Führung evakuiert worden. Das teilte der russische Generalmajor Michail Misinzew am Mittwochabend laut russischer Agentur Interfax mit. Russland und Ukraine geben sich regelmäßig gegenseitig die Schuld, wenn humanitäre Korridore nicht funktionieren.
Aus Russland hieß es zudem, rund 180 Bewohner zweier Dörfer in der Area Belgorod an der ukrainischen Grenze seien am Mittwochabend evakuiert worden. Dies berichtete die Agentur Interfax in der Nacht zu Donnerstag mit Berufung auf einen Bürgermeister.
Am Mittwoch hatte es von russischer Seite geheißen, eine Granate sei aus der Ukraine eingeschlagen, woraufhin die Behörden den Katastrophenfall ausriefen. Aus der Ukraine gab es zunächst keine Bestätigung für den Vorfall.
Biden in Brüssel gelandet
US-Präsident Joe Biden ist am Mittwochabend in Brüssel angekommen. Dort stehen für ihn an diesem Donnerstag gleich drei Gipfeltreffen auf dem Programm. In der belgischen Hauptstadt beraten sich die Staats- und Regierungschefs der Nato, der EU sowie der führenden demokratischen Wirtschaftsmächte (G7). Biden nimmt an allen drei Gipfeln teil.
Die Verbündeten wollen über weitere Unterstützung für die Ukraine und neue Maßnahmen gegen Russland beraten. Am Freitag reist Biden weiter nach Polen, wo am Samstag ein Treffen mit Präsident Andrzej Duda geplant ist. Zudem will er dort US-Truppen besuchen.
Selenski soll zum Nato-Gipfel per Video zugeschaltet werden. Sein Berater Mychajlo Podoljak forderte moderne Flugabwehrwaffen, wenn die Nato schon nicht den Himmel über der Ukraine für russische Flugzeuge sperren wolle. Die von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch angekündigte Stärkung der Nato-Ostflanke ist bereits ein deutliches Zeichen zur Abschreckung Russlands.
Bislang hat die Nato in Estland, Lettland und Litauen sowie in Polen dauerhaft multinationale Verbände stationiert. Die Ausweitung der Präsenz bedeutet, dass künftig von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer Nato-Truppen präsent sein werden.
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Diplomaten sollen Moskau verlassen
Russland hat mehrere US-Diplomaten in Moskau zu unerwünschten Personen erklärt. Einem Vertreter der US-Botschaft in Moskau sei am Mittwoch eine Liste mit Namen von Diplomaten übergeben worden, die das Land verlassen müssten, als Reaktion auf die Ausweisung von zwölf russischen Vertretern bei den Vereinten Nationen in New York Ende Februar. Der US-Seite sei auch mitgeteilt worden, dass jedwede feindliche Handlung der Vereinigten Staaten gegen Russland eine passende Antwort erhalte, teilte das Ministerium weiter mit.
Ein Sprecher des Außenministeriums in Washington bestätigte den Erhalt der Liste. „Das ist der jüngste, nicht hilfreiche und unproduktive Schritt Russlands in unserem bilateralen Verhältnis“, sagte der Sprecher. Moskau solle die „ungerechtfertigten Ausweisungen“ beenden, forderte er. „Mehr als je zuvor ist es jetzt entscheidend, dass unsere Länder das nötige diplomatische Private vor Ort haben, um die Kommunikation zwischen unseren Ländern zu ermöglichen.“
Debatte zur Flüchtlingsverteilung
Die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine darf kein deutsch-polnisches Drawback bleiben. Dies fordert Bundesverkehrsminister Volker Wissing. „Aufnahmebereitschaft gibt es auch in Ländern, die nicht nah an der Ukraine liegen. Es müssen Transporte nach Frankreich, Spanien, Griechenland, Dänemark organisiert werden – mit Bahn oder Flugzeug“, sagte der FDP-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe laut einem Vorabbericht.
In Deutschland müssten weitere Verteilzentren neben Berlin, Hannover und Cottbus errichtet werden. Sonst würden viele Flüchtende weiter nach Berlin kommen, weil sie dort Freunde und Verwandte hätten und am ehesten eine Perspektive für sich sähen. Es werde ein gutes System gebraucht um die Flüchtenden in Deutschland und Europa zu verteilen.
Die Bundesregierung tut sich schwer damit, das Ausmaß der Fluchtbewegung aus der Ukraine nach Deutschland einzuschätzen. „Noch ist völlig unklar, wie viele Frauen, Männer und Kinder aus der Ukraine bei uns Zuflucht suchen werden“, sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch. Auch wie viele Kriegsflüchtlinge sich bereits in Deutschland aufhalten, ist nach wie vor nicht bekannt.
Die Bundespolizei hat die Ankunft von 238.932 Kriegsflüchtlingen festgestellt. Die tatsächliche Zahl dürfte aber deutlich höher liegen – Ukrainer dürfen ohne Visum einreisen, und an den EU-Binnengrenzen gibt es keine regulären Grenzkontrollen.
Offen ist auch, wie die Flüchtlinge innerhalb der EU verteilt werden. Die EU-Kommission erteilte Forderungen zu verpflichtenden Quoten eine Absage. Deutschland gehört zu den Staaten, die auf eine Verteilung in der gesamten EU dringen.
Flächenbrände bei Tschernobyl gelöscht
Im Sperrgebiet um das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl sind mehrere Flächenbrände erfolgreich bekämpft worden. Die ukrainische Atomaufsichtsbehörde habe die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) darüber informiert, dass die Feuerwehr der Stadt Tschernobyl vier Brände gelöscht habe. Das teilte Generaldirektor Rafael Grossi am Mittwochabend mit. Zur Ursache der Feuer gab es keine Angaben. Russische Truppen hatten das Gelände um das AKW vor rund einem Monat unter ihre Kontrolle gebracht. Dort kam es 1986 zum schwersten Atomunglück in der Geschichte der zivilen Nutzung der Kernkraft.
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Das wird heute wichtig
Der russische Krieg gegen die Ukraine beschäftigt die internationale Politik mit den drei Gipfeltreffen von Nato, G7 und EU in Brüssel. Die Staats- und Regierungschefs müssen sich auch mit der Frage russischer Energielieferungen befassen. Putin ordnete am Mittwoch an, dass „unfreundliche Staaten“ wie Deutschland dafür künftig in Rubel zahlen müssten. Bei einem Nachgeben würden die westlichen Staaten ihre eigenen Sanktionen gegen das russische Finanzsystem aushebeln.
Auch die Innenminister der G7-Staaten tagen, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nimmt on-line an den Beratungen teil. Parallel dazu trifft sie sich mit den Innenministern der deutschen Bundesländer. Im Fokus steht die Frage, wie die Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschlands und in der EU verteilt werden können.
Mit Agenturmaterial.
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