Rechtsextreme haben lange daran gearbeitet, den Begriff „Remigration“ zu vereinnahmen. Remigration findet aber ständig statt, und die Öffentlichkeit sollte mehr darüber reden, sagt ein Experte.
Vom „Geheimplan gegen Deutschland“ ist gerade viel die Rede. So hat „Correctiv“ das Konzept betitelt, Millionen Menschen aus Deutschland zu werfen. Treffen im kleinen Zirkel mit Politikern von AfD und Werteunion zum Stichwort „Remigration“ hätte es vielleicht nie gegeben ohne einen Attentatsversuch auf den damaligen französischen Präsidenten 2002. Damit beginnt ein Teil der Geschichte, wie in Deutschland der wissenschaftliche Begriff Remigration zum Deckmantel für eine rechtsextreme Drohung gemacht wurde.
Im Juli 2002 fuhr Jacques Chirac bei der Parade zum französischen Nationalfeiertag im offenen Cabriolet die Champs Élysées entlang, als ein Franzose und ein nach Kanada ausgewanderter Algerier wahrscheinlich sein Leben retteten. Sie rangen einen Mann mit Kleinkaliber-Gewehr nieder, der den Präsidenten erschießen wollte. Im Forum der Neonazi-Gruppe „Combat 18“ hatte er aufgefordert, TV zu schauen. „Ich werde der Star sein“.
Er wurde kein Star, sondern festgenommen und als Aktivist der Gruppe „Unité Radical“ identifiziert. Als diese Vereinigung nach dem Vorfall aufgelöst wurde, entstand eine neue, die bekannter werden und Nachahmer in Deutschland finden sollte: „Bloc identitaire“, später nur noch „Les identitaires“, „die Identitären“. 2002 war die Gründung in Frankreich, 2012 in Österreich, 2014 wurde die „Identitäre Bewegung“ Deutschland gegründet. Sie verstehen sich als Vorreiter der Rechten, als die, die thematisch vorpreschen.
Sie sind diejenigen, die die Begriffe des „Großen Austauschs“ und der „Remigration“ groß gemacht haben. Erst in Frankreich, dann in Deutschland. Martin Sellner, Kopf im deutschsprachigen Raum, hat in einem Buch aufgeschrieben und trägt in kleinen Kreisen vor, was französische Rechtsextreme schon länger forcieren: aus dem Land werfen, was nicht den eigenen Vorstellungen vom Volk entspricht, auch Menschen mit deutschem Pass und auch um den Preis, dafür Grundrechte auszuhebeln.
Franzose nutzte Begriff in deutschem Beitrag erstmals
Fabrice Robert, der den „Bloc identitaire“ nach dem verhinderten Anschlag gegründet hatte, schrieb im März 2014 auf Twitter auf Deutsch etwas, was einem heute bekannt vorkommt: „Die Rückwanderung ist nicht einfach bloß ein Konzept. Sie ist eine Notwendigkeit! #Remigration.“ Es ist die erste Verwendung des Begriffs Remigration in diesem Sinn auf Deutsch in sozialen Medien, die sich heute finden lässt.
Robert schickte den Link zu einem Text auf „freies-oesterreich.net“ mit, eine kurz zuvor entstandene Seite mit russischem und deutschem Text und nach eigenen Angaben damals von St. Petersburg aus betrieben. Sie ist offline, aber man findet archiviert, worum es dem Franzosen ging: Die Seite hatte eine Übersetzung seiner Rede bei einer Kundgebung am 9. März veröffentlicht. Er sagte, als „Identitäre“ seien sie Avantgarde und müssten zeigen, „dass ein Traum Wirklichkeit wird, wenn der Wille da ist. Das ist das neue Zeichen, das wir mit unserem Fahrplan für die Remigration setzen wollten.“ Neunmal sagte er in der Rede „Remigration“.
Es war ein Begriff, der bis dahin im deutschen Sprachraum der Wissenschaft vorbehalten war, Menschen wie etwa Jochen Oltmer, Professor für Neueste Geschichte und Migrationsgeschichte an der Universität Oldenburg. Von Oltmer findet man auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung den Lexikoneintrag zu Remigration. Wenn jetzt Menschen verteidigen wollen, was in Potsdam im Zentrum der Diskussion war, verschicken sie oft seine Erklärung als Link: Remigration ist doch nichts Schlimmes, soll das heißen.
Rückwanderung (oder Remigration) bezeichnet die Rückkehr von Migrantinnen und Migranten in ihr Herkunftsland bzw. an den Ausgangsort ihrer Migration. Eine Rückwanderung erfolgt, wenn der individuell oder kollektiv wie auch immer definierte Erfolg oder Misserfolg des Migrationsprojekts im Zielgebiet die Rückkehr in die Heimat möglich oder nötig macht.
Definition bei der BUndeszentrale für politische Bildung
Oltmer sagt jetzt t-online, der Erklärung könnte man nun einen Satz beifügen, der ausdrückt: Ein wissenschaftlicher Begriff wird mit einer spezifischen politischen Absicht gekapert. Ein Sprecher der Bundeszentrale erklärte t-online, am Montag werde beraten, „wie wir den neuen Kontext des 2017 definierten Begriffes nachschärfen können“. Man werde versuchen, kurzfristig den neuen Kontext des Begriffes kenntlich zu machen.
„Man sollte von Vertreibung sprechen“
50.000 durften nicht mehr in Deutschland sein
Nicht mehr legal in Deutschland waren zum 31. Oktober 2023 nach Daten des Ausländerzentralregisters 49.665 Menschen. Sie waren unmittelbar ausreisepflichtig und verfügten auch über keine Duldung. Darunter waren 18.512 abgelehnte Asylbewerber. 13.512 Abschiebungen gab es in den ersten zehn Monaten 2023, dazu 4.687 Überstellungen in andere, eigentlich zuständige EU-Länder nach dem Dublin-Abkommen. Eigentlich ausreisepflichtig, aber geduldet wegen verschiedener Gründe waren zum 31. Oktober 2023 201.084 Menschen, darunter 126.996 abgelehnte Asylbewerber. Ausreisepflichtig und geduldet sind beispielsweise auch viele Russen: In Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern machen sie die größte Gruppe von geduldeten Ausreisepflichtigen aus. In fünf Bundesländern sind Iraker die größte Gruppe, in drei Bundesländern Afghanen, Syrer sind es im Saarland. 12.964 Ausländer kehrten mit einer finanziellen Förderung des Bundes oder eines Bundeslands in ihre Heimat zurück.
Denn mit dem „sehr neutral erscheinenden Wort soll gerade verdeckt werden, um was es dabei auch geht“, sagt Oltmer. „Die Perspektive der ‚Identitären Bewegung‘ ist faktisch ein gewaltförmiger Prozess, es geht um Vertreibung bzw. Massenvertreibung, es geht millionenfach um Fälle, in denen eine Ausweisung oder Abschiebung verboten ist, weil es sich um deutsche Staatsangehörige handelt.“ Auch aus der AfD wird von „millionenfacher Remigration“ gesprochen, Sellner selbst erklärt, fünf bis sechs Millionen Deutsche mit Mirgationshintergrund kämen für eine „Remigrationspolitik“ in Frage.