Paris Die Sitzordnung beim Treffen von Emmanuel Macron und Wladimir Putin in Moskau verdeutlichte, wie weit der Westen und Russland in der Ukraine-Krise auseinander liegen. Die Protokollabteilung im Kreml hatte die Stühle der Präsidenten von Frankreich und Russland an den beiden entfernten Enden eines langen, ovalen Tisches platziert. Auch ein kleines Blumengesteck in der Mitte konnte über die kühle Stimmung nicht hinwegtäuschen.
Das Gespräch fand in kleinster Runde statt, neben den beiden Präsidenten struggle nach Angaben aus Élysée-Kreisen nur eine Dolmetscherin im Raum. Doch immerhin werde geredet – das ist die Botschaft, die Macron auf der anschließenden Pressekonferenz am Montagabend überbrachte. „Wir können nicht das gemeinsame Risiko eingehen, die Rückkehr des Gespenstes der Instabilität und der Konfrontation zu sehen“, sagte er.
Mehr als fünf Stunden saßen Macron und Putin zusammen, die Pressekonferenz begann mit rund drei Stunden Verspätung. Konkrete Ergebnisse gab es nicht. Putin ließ aber wissen, dass „einige der Ideen, der Vorschläge von Emmanuel Macron eine Grundlage für gemeinsame Fortschritte“ sein könnten.
Einzelheiten nannte der russische Präsident nicht, auch Macron hielt sich bedeckt. Der französische Präsident struggle unter anderem mit dem Angebot einer neuen „Sicherheits- und Stabilitätsordnung“ in Europa nach Moskau gekommen, das er bereits Mitte Januar in seiner Rede vor dem Europaparlament in Straßburg vorgeschlagen hatte. Es gehe um „konkrete Sicherheitsgarantien“ für beide Seiten, etwa eine Begrenzung bei der Verlegung von militärischen Einheiten an die Grenze.
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Macron zog aber auch rote Linien: Die territoriale Integrität von Staaten dürfe ebenso wenig infrage gestellt werden wie das Prinzip der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Wichtig sei, dass die „Missverständnisse und Traumata“ abgebaut würden, die sich in den vergangenen drei Jahrzehnten zwischen Russland und seinen europäischen Nachbarn aufgestaut hätten.
Putin bekräftigte dagegen seine Place, dass die Aggression von der Nato und der Erweiterung des Militärbündnisses nach Osten ausgehe. Als Beispiele für die angebliche Bedrohung nannte er die Militäreinsätze in Afghanistan und in Libyen. Die aktuellen Spannungen würden im Westen für eine „russlandfeindliche Politik“ genutzt, beklagte sich der russische Präsident.
Macron: „Ich glaube nicht an spontane Wunder“
Russland hat geschätzt 100.000 Soldaten und Panzereinheiten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Die USA, Nato und EU fürchten einen Einmarsch im Nachbarland. Im Frühjahr 2014 hatten russische Truppen bereits die Krim besetzt, Russland annektierte die Halbinsel dann nach einem umstrittenen Referendum. Moskau unterstützt auch die Separatisten, die die Donbass-Area im Osten der Ukraine unter ihre Kontrolle gebracht hatten.
Schon vor dem Treffen mit Macron hatte der Kreml die Hoffnungen gedämpft: Ein Durchbruch sei nicht zu erwarten. Auch Macron hatte vor seinem Abflug die Erwartungen sehr niedrig gehängt: „Ich glaube nicht an spontane Wunder“, so der Franzose. Nach dem Treffen sprach er in der Pressekonferenz neben den großen Differenzen aber auch von „einigen Punkten der Annäherung“.
Macron reiste als erster westliche Staatschef nach der erneuten Eskalation der Ukraine-Krise in den vergangenen Wochen nach Moskau. Im Élysée-Palast wird versichert, dass sich der Präsident für die Reise eng mit Deutschland und Scholz abgestimmt habe. Der Bundeskanzler beriet am Montag mit US-Präsident Joe Biden in Washington über die Ukraine-Krise, am 15. Februar will der SPD-Politiker dann zu Putin in die russische Hauptstadt kommen.
>> Lesen Sie hier: Der US-Präsident betont beim Besuch von Olaf Scholz die Verlässlichkeit Deutschlands. Dass der Kanzler Nord Stream 2 keine explizite Absage bei einer Invasion Russlands erteilt, sorgt für Kritik.
Während die Bundesregierung wegen ihres zurückhaltenden Kurses im Ukraine-Konflikt worldwide zunächst in die Kritik geraten struggle, hatte Macron eine eifrige Telefondiplomatie unternommen: Drei Mal rief er Putin vor seiner Moskau-Reise an. Auch mit dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj tauschte sich Macron mehrfach aus. Dazu kamen Telefonate mit Scholz, Biden, Großbritanniens Premier Boris Johnson, Kanadas Premier Justin Trudeau, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sowie den Regierungschefs mehrerer osteuropäischer Länder.
Macron sieht Ukraine als Testfall für „europäische Souveränität“
Macron engagiert sich auch vor allem deshalb so stark, weil er die Ukraine-Krise als weiteren Beleg dafür sieht, dass die Europäer ihr Schicksal selbst in Hand nehmen müssen. Über der französischen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 steht das Ziel der „europäischen Souveränität“, für das Macron seit Jahren wirbt. Für ihn struggle es ein Graus, als die Europäer anfänglich bei den Verhandlungen eine Nebenrolle spielten, während Russland und die USA an den Außengrenzen der EU über Krieg und Frieden rangen.
Über den diplomatischen Aktivitäten von Macron schwebt auch der französische Wahlkampf. Zwar hat der Präsident seine Kandidatur noch nicht offiziell erklärt, doch zweifelt niemand daran, dass er im April zur Wiederwahl anritt. Vergangene Woche zögerte er die Bekanntgabe mit Blick auf die „aktuelle geopolitische Krise“ weiter hinaus: Er habe den Franzosen versprochen „bis zum Ende Präsident zu sein, und wir haben eine Krise an der ukrainischen Grenze, die unsere kollektive Sicherheit bedroht“, sagte Macron in einem Interview.
Der Vorteil für ihn: Er kann weiter den Staatsmann geben ohne die Zurückhaltung im Amt, die als offizieller Kandidat im Wahlkampf von ihm erwartet würde. Seine diplomatische Mission setzt Macron am Dienstagmorgen in Kiew fort, wo er mit Präsident Selenskyj zusammenkommt.
Anschließend trifft er sich mit Scholz und dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda, um sich über das weitere Vorgehen der EU in dem Konflikt abzustimmen. „Die nächsten Tage werden entscheidend sein“, sagte Macron.
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