Berlin, Brüssel Im Streit zwischen der EU-Kommission und Polen könnte bald eine weitere Eskalationsstufe folgen. Polen ist vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu Strafen verurteilt worden, die es aber nicht zahlt.
Die EU-Kommission hat drei Zahlungsaufforderungen an Polen geschickt. Die letzte Aufforderung versandte die Kommission am 3. Januar mit einer 15-tägigen Frist. Sie endet additionally am Dienstag kommender Woche.
Sollte Polen bis dahin nicht zahlen, will die EU-Kommission Geld einbehalten, das sie sonst an Polen ausgezahlt hätte, die Strafe additionally verrechnen.
Die Strafzahlungen sind das Ergebnis eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Polen, weil die Regierung den umstrittenen Tagebau Turow an der Grenze zu Tschechien weiterbetreibt, obwohl die tschechische Regierung anführt, dass dadurch der Grundwasserpegel auch auf tschechischer Seite sinkt.
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Der EuGH hatte eine Strafe von täglich 500.000 Euro verhängt, wenn Polen am Betrieb festhält. Seitdem sind mehr als 100 Tage vergangen. Die Schulden Polens belaufen sich damit auf mehr als 50 Millionen Euro.
Premierminister Mateusz Morawiecki hatte angekündigt, er rechne spätestens im Mai mit einem endgültigen Urteil und werde bis dahin keine Strafzahlungen leisten. Sein Kabinett werde zu einem späteren Zeitpunkt darüber entscheiden, „ob wir etwas von den uns auferlegten unrechtmäßigen Sanktionen zahlen und ob wir eine geeignete Formel finden“. Den Tagebau wolle Polen weiterbetreiben, denn damit würden laut Regierung sieben Prozent des polnischen Stroms erzeugt.
Eine weitere Strafzahlung hatte der EuGH wegen der polnischen Disziplinarkammer verhängt, die der Regierung Polens einen Durchgriff auf das Justizsystem erlaubt. Ende Oktober verhängte der EuGH ein Bußgeld von einer Million Euro täglich. Seitdem dürften Schulden von knapp 80 Millionen Euro aufgelaufen sein.
„Wir werden uns von der EU nicht erpressen lassen“, sagte Vizejustizminister Sebastian Kaleta. Die Zwangsgelder wegen der Disziplinarkammer „verletzen Polens Zuständigkeiten“ und seien „unlawful“. Ein Sprecher der EU-Kommission sagte, dass die EU-Staaten ihre Strafzahlungen in der Vergangenheit immer geleistet hätten.
Polen widersetzt sich Mindeststeuerregel
Zu einem weiteren Streitpunkt zwischen Warschau und Brüssel dürften sich Steuersenkungen entwickeln, die Morawiecki am Dienstag verkündet hat. Unter anderem sollen für Gas und Düngemittel sechs Monate lang keine Mehrwertsteuer mehr anfallen.
Dies sei nach EU-Regeln nicht möglich, heißt es bei der EU-Kommission. Um nicht in einen Unterbietungswettbewerb zu geraten, haben sich die EU-Staaten auf Mindeststeuern geeinigt. Im Dezember beschlossen sie gemeinsam, dass bestimmte Steuern weiter gesenkt werden dürfen. Für Gasoline und Strom gilt eine Untergrenze von fünf Prozent.
Zu hören ist, dass sich Polen wegen einer Senkung der Mehrwertsteuer auf Diesel und Benzin an die Kommission gewandt habe. Die Kommission habe klargemacht, dass dort weiterhin der Customary-Mehrwertsteuersatz gelten müsse. Dieser liegt in Polen bei 23 Prozent. Trotz der Ablehnung durch die Kommission hat die Regierung nun angekündigt, ihn auf acht Prozent zu senken.
Sollte Polen die Steuersenkung umsetzen, bleibt der EU-Kommission nur ein Vertragsverletzungsverfahren, das in letzter Instanz vor dem EuGH landen kann, der die Möglichkeit hat, eine Strafzahlung anzuordnen.
Vertragsverletzungsverfahren sind nichts Ungewöhnliches in der EU. Gegen Polen laufen derzeit 92 Verfahren, gegen Deutschland 71. Einige davon werden bis zum EuGH getragen. Dass sich ein vom obersten europäischen Gericht verurteilter Staat nicht an das Urteil hält, ist selten.
Streit um 36 Milliarden
Die Summen, um die es bei den Strafzahlungen geht, sind für Polen überschaubar. Ganz andere Dimensionen erreicht die Auseinandersetzung um den Corona-Wiederaufbaufonds. Er soll den EU-Ländern helfen, aus der Krise zu kommen. Polen stehen dabei 36 Milliarden Euro verteilt auf sechs Jahre zu. Damit ließen sich 1,2 Prozent BIP-Wachstum finanzieren.
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Die meisten EU-Länder haben eine erste Auszahlung aus dem Fonds erhalten, Polen aber nicht. Um an das Geld zu kommen, muss sich die Regierung mit der EU-Kommission gemeinsam auf einen Investitionsplan einigen, in dem dargelegt wird, in welche Projekte das Geld fließt und welche Ziele damit erreicht werden sollen.
Dabei ist auch eine Klausel zu beachten, dass das Geld gegen Veruntreuung geschützt werden muss. Die Kommission kann sich additionally darauf berufen, dass wegen des kaltgestellten Justizsystems kein Geld nach Polen fließen kann. Das würde das Land deutlich härter treffen als die vom EuGH angeordneten Strafzahlungen.
Allerdings kommt Polen bisher intestine aus der Krise. Morawiecki hat seine Landsleute schon darauf vorbereitet, dass man die Erholung auch ohne Hilfe der EU schaffen werde.
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