New York In der Ukraine wurde in der Nacht weiter gekämpft. Russische Truppen beschossen ukrainischen Angaben zufolge militärische Ziele bei der Großstadt Dnipro mit Raketen. Zugleich häufen sich Berichte, nach denen Russland immer mehr Schwierigkeiten hat, in das Land vorzudringen. Um die Hauptstadt Kiew seien offenbar einzelne russische Verbände nach massiven Verlusten bereits zurückgedrängt worden.
Unterdessen haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten ihre Beratungen in Brüssel abgeschlossen. Ein Ergebnis: Die EU-Staaten richten zur finanziellen Unterstützung der Ukraine einen Solidaritätsfonds ein. Durch den russischen Angriffskrieg erleide die Ukraine enorme Zerstörungen und Verluste, hieß es in einer Erklärung.
Dem Land solle geholfen werden bei laufenden Ausgaben, aber auch „nach Beendigung des russischen Angriffs beim Wiederaufbau einer demokratischen Ukraine“. Wie zuvor die USA erhob auch die EU offiziell gegen Russland den Vorwurf, in der Ukraine Kriegsverbrechen zu begehen.
Zuvor hatten bereits die G7 und die Nato getagt. Im einzelnen ging es dabei um die humanitäre Lage in der Ukraine und Hilfeleistungen aus dem Westen, und die Verteidigungsfähigkeit der Nato.
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Die militärische Lage
Intestine einen Monat nach Beginn des Krieges ändert sich das Gesamtbild nur wenig: Zwar zeigen viele Bilder die large Zerstörung ukrainischer Städte und Angriffe auf zivile Einrichtungen durch russische Angriffe – doch verläuft die Invasion auch nicht so, wie von Russland erwartet.
Nach Angaben der ukrainischen Streitkräfte wurden russische Truppen im Nordosten der Ukraine nun zum Rückzug gezwungen. Nach hohen Verlusten beobachte man, dass sich bestimmte Einheiten wieder auf die russische Seite der Grenze zurück gezogen hätten.
Jedoch seien die Städte Charkiw und Sumy weiterhin blockiert. Bei Isjum im Gebiet Charkiw bereiteten sich russische Truppen auf eine neue Offensive vor. Moskau gelänge es teilweise, die Landverbindung zwischen dem russischen Gebiet Rostow an der ukrainischen Grenze und der von Russland annektierten Halbinsel Krim zu halten.
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Ukrainischen Angaben zufolge wurden in der Nacht zu Freitag zudem ukrainische Streitkräfte in der Area Dnipropetrowsk angegriffen. Russland habe zwei Raketenangriffe auf eine Militäreinheit am Rande der Stadt Dnipro ausgeführt, teilte eine lokale Behörde der Area auf Fb mit. Die Gebäude der Einheit seien dabei „erheblich“ beschädigt worden und zwei Brände ausgebrochen. Weitere Particulars etwa zu Opfern gab es zunächst nicht. Die Angaben sind nicht unabhängig zu prüfen.
Ukrainische Streitkräfte beginnen unterdessen ihrerseits Angriffe in von Russland gehaltenen Gebieten. Nach der Darstellung des britischen Geheimdienstes hat die ukrainische Armee damit begonnen, hochwertige Ziele in von Russland gehaltenen Gebieten anzugreifen. Darunter sei ein Munitionslager in der Stadt Berdjansk, heißt es in einem Replace des britischen Verteidigungsministeriums unter Berufung auf Geheimdienstinformationen, das am späten Donnerstagabend veröffentlicht wurde.
Der ukrainische Generalstab hatte in der Nacht zu Freitag zudem mitgeteilt, bei einem Angriff auf den von russischen Einheiten eingenommenen Hafen der Stadt Berdjansk das Landungsschiff „Saratow“ zerstört zu haben. Zwei weitere derartige Schiffe, „Caesar Kunikow“ und „Novotscherkassk“, seien beschädigt worden. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.
Erneut Beschuss bei Tschernobyl
An der Atomruine Tschernobyl ist es außerdem erneut zu Gefechten gekommen – was Sorgen um die Sicherheit der Anlage schürt. Russische Streitkräfte hätten ukrainische Kontrollpunkte in der Stadt Slawutytsch unter Beschuss genommen, teilte der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, in der Nacht zu Freitag unter Berufung auf Informationen der ukrainischen Atomaufsichtsbehörde mit.
Dies gefährde laut Kiew „die Häuser und Familien des Betriebspersonals, das die nukleare und radioaktive Sicherheit“ des ehemaligen AKW gewährleiste sowie weitere Rotationen der Angestellten. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig bestätigen.
In der Kleinstadt Slawutytsch mit rund 25.000 Einwohnern, die sich außerhalb der Sperrzone befindet, leben viele Menschen, die im nahe gelegenen ehemaligen Kernkraftwerk Tschernobyl arbeiten.
Am Donnerstag sind nach Angaben der ukrainischen stellvertretenden Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk 3343 Menschen aus umkämpften Gebieten evakuiert worden. Darunter seien 2717 Bewohner aus Mariupol.
EU-Gipfel wirft Russland Kriegsverbrechen vor
Das brutale Vorgehen Russland conflict auch Prime-Thema bei den Verhandlungen der EU-Staats- und Regierungschef in der Nacht zum Freitag in Brüssel. So wirft die EU Russland nun offiziell vor, Kriegsverbrechen in der Ukraine zu begehen. Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Krankenhäuser, Schulen und Schutzräume nennt die Erklärung des EU-Gipfels. „Diese Kriegsverbrechen müssen sofort aufhören.“
Das hat der EU-Gipfel bereits beschlossen
Die USA waren mit dem Schritt bereits am Mittwoch vorangegangen. „Unsere Einschätzung stützt sich auf eine sorgfältige Prüfung der verfügbaren Informationen aus öffentlichen und geheimdienstlichen Quellen“, teilte US-Außenminister Antony Blinken mit. US-Präsident Joe Biden nahm am Donnerstag zeitweise als Gast an dem EU-Gipfel teil.
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Kriegsverbrechen sind Verstöße gegen das Völkerrecht, gegen die vor dem Internationalen Strafgerichtshof geklagt werden kann. Zu Kriegsverbrechen gehören etwa das gezielte Töten von Zivilisten sowie das Aushungern der Zivilbevölkerung, die Behinderung humanitärer Hilfe und der Einsatz atomarer oder chemischer Waffen.
Die EU will der Ukraine außerdem finanzielle Mittel in Type eines Solidaritätsfonds zur Verfügung stellen. Beim Thema Flüchtlinge zeigt sich das Staatenbündnis einig: Man erkenne alle Anstrengungen an, die bereits zur Aufnahme der Menschen unternommen worden seien, heißt es in der Erklärung des EU-Gipfels in Brüssel vom frühen Freitagmorgen.
Zugleich rufe man alle Mitgliedstaaten dazu auf, ihre Bemühungen „in einem anhaltenden Geist der Einheit und Solidarität“ zu intensivieren. Die EU-Kommission solle alle notwendigen Schritte unternehmen, diese Anstrengungen zu unterstützen.
Selenskis Video-Ansprache aus der Nacht
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski begrüßt die Ankündigungen der EU, richtete sich in der Nacht aber auch mit einem Appell nach Brüssel. So dankt er den 27 EU-Staats- und Regierungschefs für die Sanktionen gegen Russland. Doch seien diese so spät gekommen, dass sie den Einmarsch Russlands in die Ukraine nicht hätten verhindern können.
Mit Blick auf das Beitrittsgesuch der Ukraine in die EU sagt Selenski, dass er hoffe, die EU sei dabei nicht wieder zu spät: „Jetzt diskutieren wir über die Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union. Wenigstens hier bitte ich Sie, nicht zu spät zu kommen“, sagte der ukrainische Staatschef.
Er hoffe, dass die größten Skeptiker der EU-Erweiterung – Deutschland, Frankreich und die Niederlande – ihren Kurs ändern würden. Selenski kritisierte den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, der enge Beziehungen zu Putin unterhalte, während Russland ukrainische Städte bombardiere.
In seiner Ansprache dankte Selenski auch den Bürgerinnen und Bürgern des Landes für ihren Widerstand. Die ukrainischen Verteidiger hätten den Feind überall aufgehalten. Er finde, Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer, die alles für den Sieg der Ukraine und den Frieden täten, hätten Orden verdient. „Ich danke jedem und jeder von ihnen“, sagte er. Selenski richtet sich seit Beginn des Krieges allabendlich per Videobotschaft an die Bürgerinnen und Bürger seines Landes.
Umfrage: Quick jeder Zweite für EU-Beitritt der Ukraine
Einen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union würden einer Umfrage zufolge mittlerweile 46 Prozent der Bürger und Bürgerinnen in Deutschland befürworten. Im Jahr 2018 waren mit 30 Prozent deutlich weniger dafür, wie aus am Freitag veröffentlichten Daten des Meinungsforschungsinstituts YouGov hervorgeht. Der Umfrage nach wären aktuell mit 30 Prozent auch weniger Befragte gegen einen Eintritt des Landes in die EU als noch 2018 (47 Prozent).
Auch in Frankreich haben sich die Ansichten geändert: Dort sprechen sich aktuell 42 Prozent der Bürgerinnen und Bürger für einen EU-Beitritt der Ukraine aus (2018: 22 Prozent). In Spanien ist derzeit mit 60 Prozent die Mehrheit der Befragten dafür, in Italien sind es 45 Prozent. In allen befragten Ländern ist der „Weiß nicht“-Anteil sowohl 2018 als auch 2022 mit 24 bis 29 Prozent hoch.
Das wird heute wichtig
Zum Abschied aus Brüssel trifft US-Präsident Biden mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zusammen. Dann fliegt er weiter in das östliche Nato-Land Polen, das direkt an die Ukraine grenzt. Etwa 2,2 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine sind bislang nach Polen eingereist, ein Großteil ist dort geblieben.
Biden will sich erst in der grenznahen Stadt Rzeszow über den humanitären Einsatz zur Versorgung der Flüchtlinge informieren. Außerdem wird er in Polen stationierte US-Soldaten treffen und kommt zu Gesprächen mit der polnischen Führung in die Hauptstadt Warschau.
Mit Agenturmaterial
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