Düsseldorf Den Energiediscountern Stromio, Gasoline.de und Grünwelt Energie stehen Rechtsstreite bevor. Eine Authorized-Tech-Firma aus Berlin und ein Kölner Anwalt wollen auf unterschiedlichen Wegen Schadensersatz von den Stromanbietern einfordern. Die Energiediscounter aus Kaarst bei Düsseldorf hatten ihren Kunden im Dezember plötzlich gekündigt. Der daraus resultierende Schaden könnte Schätzungen zufolge im mittleren dreistelligen Millionenbereich liegen.
Über Nacht hatten im Dezember die Billigstromanbieter Stromio und Gasoline.de sowie die gemeinsame Marke Grünwelt Energie ihren Kunden gekündigt. Insgesamt sind laut informierten Kreisen über eine Million Kunden von diesen Kündigungen betroffen. Für die Verbraucher wird das teuer. Denn statt Discounterpreisen zahlen sie in der Grundversorgung deutlich mehr. Wegen der teuren Tarife geht die Verbraucherzentrale gegen drei regionale Energieversorger vor.
Stromio und Gasoline.de begründen die Kündigungen auf Anfrage mit „Preisexplosionen an den europäischen Energiehandelsplätzen“ und Preiserhöhungen um teils „mehr als 400 Prozent im Vergleich zum Vorjahr“. Damit wurden der Allgemeinheit Kosten aufgebürdet, lautet die Kritik aus der Branche: Grundversorger müssen Strom und Gasoline teuer nachkaufen, Kunden zahlen teurere Tarife.
Authorized Tech gegen Energiediscounter
Diese Mehrkosten der Kunden wollen Tobias Hirt und Marek van Hattem jetzt zurückholen – auf unterschiedlichen Wegen. Die Berliner Authorized-Tech-Firma Veneko bereitet derzeit die erste Sammelklage gegen Stromio und Gasoline.de vor. Veneko-Geschäftsführer Tobias Hirt kritisiert die Billigstromanbieter: „Sie hoffen, dass die Kunden nichts tun und das über sich ergehen lassen.“ Wer etwa 100 Euro finanziellen Schaden habe, „schaltet dafür womöglich keinen eigenen Anwalt ein“.
Prime-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Der Betriebswirt Hirt will Ex-Kunden der Energiediscounter ein niedrigschwelliges Angebot machen, um ihre Mehrkosten einzufordern. Für die Sammelklage müssen Ex-Kunden ihre möglichen Ansprüche auf Schadensersatz an Veneko abtreten. Die Firma berechnet den möglichen Schadensersatzanspruch und fordert diesen von den Stromdiscountern. Denn für die Restvertragslaufzeit hätten die Kunden eine Preisgarantie der Discounter. Kommt keine außergerichtliche Einigung zustande, werde Veneko auf Schadensersatz klagen, so Hirt.
Wer sich der Sammelklage anschließen will, müsse dafür keine Gebühr zahlen. Allerdings werde eine Erfolgsprämie von einem Drittel fällig, wenn die Ansprüche durchgesetzt werden. Diese Prämie teilt sich Veneko mit Matthias Moeschler, mit dem Hirt für die Sammelklage Schadensersatz von Stromio und Co. fordern will. Auf Moeschlers Weblog „Verbraucherhilfe Stromanbieter“ haben sich bereits 4400 Ex-Kunden gemeldet, die an einer Schadensersatz-Klage interessiert sind.
Schäden im mittleren dreistelligen Bereich
Hirt schätzt, dass die Forderungen für viele Ex-Kunden im Gasbereich bei über 1000 Euro liegen könnten, die einklagbaren Mehrkosten professional Ex-Kunden von Stromio schätzt er im mittleren dreistelligen Bereich. Entscheidend sei der neue Tarif sowie die Länge der Restvertragslaufzeit. Für diesen Zeitraum bestehe ein Anspruch auf Schadensersatz, so Hirt.
Dass die Discounter freiwillig den Forderungen einzelner Ex-Kunden entsprechen, glaubt er nicht. Dem Handelsblatt liegt ein Vergleichsangebot von Grünwelt Energie vor. Eine Ex-Gasoline-Kundin beziffert ihren Schaden auf quick 1300 Euro – als Vergleich angeboten wurden ihr etwa 140 Euro.
Mit einer großen Masse an Forderungen habe Veneko „eine bessere Verhandlungsposition“, meint Geschäftsführer Tobias Hirt. Seine Firma arbeitet derzeit an einem Algorithmus, um die möglichen Schadensersatzansprüche der einzelnen Kunden individuell berechnen zu können. Dieser soll in den nächsten Wochen fertig programmiert sein.
Im März werde Veneko die Schadensforderungen berechnen können und diese so schnell wie möglich gebündelt von den Discountern zurückfordern. Für Ex-Kunden, die noch einen Vertrag und eine Preisgarantie bis Juli oder Ende des Jahres hätten, werde Veneko den prognostischen Schaden anmelden. Zunächst müssten sich jetzt betroffene Ex-Kunden bei Veneko registrieren, so Hirt.
Anwälte sehen Chancen
Zeitnah versuchen Anwälte, in Einzelfällen Schadensersatz einzufordern. Der Jurist Marek van Hattem von der Kölner Kanzlei Himmelreither vertritt nach eigenen Angaben 40 Mandate von ehemaligen Stromio- und Gasoline.de-Kunden. Täglich gingen weitere schriftliche und telefonische Anfragen bei ihm ein.
Van Hattem rechnet insgesamt mit einer dreistelligen Zahl an Mandaten. Erste Forderungsschreiben hat er bereits verschickt. „Wenn darauf nicht reagiert wird, empfehlen wir grundsätzlich allen Mandanten zu klagen“, so van Hattem. Anfang Februar könnten die ersten Klagen bei den Gerichten eingehen.
Die Kritik an Gasoline.de und Stromio wächst. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft prangert „das Geschäftsgebaren unseriöser Billiganbieter“ an. Indes kursieren in der Branche Gerüchte über den Grund für die Kündigungen.
Insider halten es für wahrscheinlich, dass Stromio und Gasoline.de auch längerfristig Mengen im Voraus eingekauft haben könnten. Ihnen zufolge wäre es naheliegend, dass diese statt an die Kunden zu hohen Marktpreisen im Großhandel verkauft wurden. Dafür spreche auch, dass bis heute keine der Firmen Insolvenz angemeldet hat. Laut einem „Spiegel“-Bericht geht diesem Verdacht auch die Bundesnetzagentur nach.
Stromio und Gasoline.de weisen diese Vorwürfe als „falsch“ zurück. Man habe „Energiemengen kurz- bis mittelfristig geordert“ und sei deshalb „unmittelbar von den jüngsten Preisexplosionen“ betroffen, teilten die Unternehmen per Anwaltsschreiben auf Handelsblatt-Anfrage mit. Wie Stromio und Gasoline.de mit den Schadensersatzansprüchen ihrer Ex-Kunden umgehen wollen, ließen die Unternehmen dagegen unbeantwortet.
Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft Düsseldorf Vorermittlungen gegen den Energieanbieter eingeleitet. Die Behörde prüft, ob ein Anfangsverdacht vorliegt, nachdem dort eine Strafanzeige einer Einzelperson eingegangen ist.
Mehr: Nach Kündigungswelle: Staatsanwaltschaft leitet Vorermittlungen gegen Billigstromanbieter ein