Gegen Island feierte die deutsche Handball-Nationalmannschaft einen hauchdünnen Sieg vor einem frenetisch jubelnden Publikum. Der Erfolg birgt eine große Chance.
Als Julian Köster mit seinem Treffer zum 26:24 fünf Sekunden vor Schluss endgültig alles klarmachte, schrie er seine Freude mit aller Kraft heraus. Doch trotz seines ob der Intensität des Schreis zu einer Grimasse verzerrten Gesichts blieb Köster leise, eine freudige Pantomime inmitten der Kölner Lanxess Arena. Zu ohrenbetäubend war der Lärm, den die 19.750 Zuschauer auf den Rängen der ausverkauften Halle machten, als dass Köster ihn mit seinem Gebrüll hätte durchdringen können.
Vorausgegangen war ein EM-Hauptrundenspiel gegen Island, das für die deutsche Handball-Nationalmannschaft zum wahren Härtetest geworden war. In einer über die volle Distanz hart und ausgeglichen geführten Partie schaffte es das DHB-Team, die Oberhand zu erlangen und so die Chance auf das Halbfinale zu wahren. Dabei verwandelte das Publikum die Kölner Arena in einen Hexenkessel und ließ so die Mannschaft auf dem Platz über sich hinauswachsen. Zusammen schafften sie womöglich einen Schlüsselmoment auf dem Weg zu großen Zielen.
Frankreich-Pleite warf Fragen auf
Das Island-Spiel sticht im bisherigen Turnierverlauf der deutschen Mannschaft deutlich heraus. So startete das Team von Bundestrainer Alfred Gíslason mit zwei klaren Siegen gegen die Schweiz und Nordmazedonien in die Heim-EM. Es waren jedoch Siege, die nur bedingt Selbstvertrauen auslösten. Denn schon vor Turnierbeginn stand fest: Der erste echte Test wartete im letzten Gruppenspiel gegen den Rekordweltmeister aus Frankreich.
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Quelle: ARD/ZDF
Dort zeigte die DHB-Auswahl dann zwar eine kämpferische Leistung, musste besonders in den Schlussminuten aber doch der hohen individuellen Klasse der Franzosen Tribut zollen und sich am Ende mit 30:33 geschlagen geben. Die logische Folge waren Fragen nach der Leistungsfähigkeit der deutschen Mannschaft. Kann das tatsächlich für den Angriff auf den Titel reichen?
Heimpublikum konnte Bundestrainer noch nicht begeistern
Auch die Unterstützung des Heimpublikums hatte in den ersten Spielen die Erwartungen noch nicht ganz erfüllt – zumindest, wenn es nach Bundestrainer Alfred Gíslason ging. Dem in Berlin ausgetragenen Gruppenspiel gegen Nordmazedonien hatte der Isländer noch „Freundschaftsspiel-Stimmung“ attestiert. Sogar die Rekordkulisse von über 53.000 Zuschauern beim Auftaktspiel im Düsseldorfer Fußballstadion hatte ihm nicht sonderlich imponiert. Es sei nicht lauter als in Köln gewesen, hatte Gíslason danach gesagt.
Ebendort – im „Handball-Mekka“, wie Linksaußen Rune Dahmke die Lanxess Arena nannte – hatte seine Mannschaft nun ihr erstes Schicksalsspiel zu bestreiten. Denn nach der Niederlage gegen Frankreich ist Verlieren für die deutsche Mannschaft in der Hauptrunde verboten, soll der Traum vom Titel weiterleben. Ein großer Druck für eine in großen Teilen noch sehr junge Mannschaft.
Hinten hui, vorne pfui
Als die Isländer gleich zu Beginn mit 2:0 in Führung gingen und die DHB-Auswahl zweieinhalb Minuten lang an einem wirkungsvollen Torabschluss hinderten, wurde klar, dass es erneut ein harter Kampf werden würde. „Ich habe seit vielen Monaten nicht mehr so ein Kampfspiel erleben können. Ich habe gemerkt, dass wir für jedes einzelne Tor unglaublich rackern mussten“, bilanzierte DHB-Sportvorstand Axel Kromer nach dem Spiel das Geschehen, das sich gerade auf der Platte zugetragen hatte.
Dabei ließ sich die Leistung der deutschen Mannschaft wohl am besten mit „hinten hui, vorne pfui“ umschreiben: Gerade einmal 58 Prozent der deutschen Torabschlüsse fanden das Ziel, darunter auch einige freie Würfe. „Wir müssen den Angriff wieder besser hinkriegen. Der war zwischendurch nicht ganz so durchschlagskräftig“, bemängelte Julian Köster dementsprechend nach dem Spiel. Verantwortlich für die ineffektive Offensivleistung war allerdings auch ein stark aufgelegter Viktor Gísli Hallgrímsson im isländischen Tor, der 34 Prozent der deutschen Würfe entschärfte.