Düsseldorf Am 20. März sollten in Deutschland viele Corona-Schutzmaßnahmen endgültig fallen. Teilnehmerobergrenzen für Veranstaltungen und Kontaktbeschränkungen gibt es nun nicht mehr. Fahrgäste können den öffentlichen Nah- und Fernverkehr wieder ohne 3G-Nachweis (geimpft, genesen oder getestet) nutzen. Auch am Arbeitsplatz braucht es keine 3G-Zutrittsnachweise mehr.
Zwei Jahre hatte die Wirtschaft auf diesen Tag gewartet. Doch der lang ersehnte „Freedom Day“ verschiebt sich in den meisten Bundesländern um mindestens zwei Wochen. Spätestens am 2. April fallen dann auch die meisten anderen Maßnahmen weg, etwa die Maskenpflicht in Geschäften und Schulen und Zugangsregeln wie 2G und 3G. Die Maskenpflicht gilt in Bus und Bahn aber weiterhin.
Die extrem hohen Coronazahlen beginnen leicht zu sinken. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz ging am Sonntag zurück auf 1708,7 von 1735 am Vortag. Hotspot-Regelungen ermöglichen jedoch regional eine Rückkehr zu weitergehenden Pandemie-Einschränkungen.
Von Normalität sind die stark von der Pandemie getroffenen Branchen Gastronomie, Occasions und Einzelhandel ohnehin noch weit entfernt. Und zudem drückt der Ukrainekrieg die Konsumlaune. Wie ist die Lage? Eine Übersicht.
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Gastronomie
„Die Stimmung der Gäste ist trotz Freedom Day weiter sehr verhalten“, erzählt Silja Schrank-Steinberg, die in München den Hofbräukeller führt. 2000 Plätze hat der Biergarten. Die Ungeimpften, die seit 4. März mit Take a look at kommen dürfen, haben dennoch ein Umsatzplus von 30 Prozent beschert.
Finanziell ist der Hofbräukeller dennoch von Veranstaltungen abhängig. „Occasions sind trotz Auslaufen der Infektionsschutzmaßnahmen sehr schwierig. Keiner traut sich, eine Hochzeit mit 200 Personen zu planen.“ Vereinzelt gebe es spontane, kleinere Geburtstagsfeiern. Firmenfeste und Weihnachtsfeiern sind kaum gebucht. „Die Cooks wollen nicht riskieren, dass danach die Hälfte der Belegschaft mit Corona ausfällt“, sagt die Gastronomin. „Andere denken, es wäre pietätlos, in Kriegszeiten zu feiern.“
2020 hatte der Hofbräukeller 53 Prozent Umsatz verloren, 2021 sogar 65 Prozent. Laut einer Dehoga-Umfrage sahen Anfang März 48 Prozent der Motels und Gaststätten ihre Existenz gefährdet. Im Januar waren es aber noch quick 59 Prozent. Mehr als 90 Prozent sehen die aktuellen Kostensteigerungen als starke Belastung.
Auch Wirtin Schrank-Steinberg sieht sich gezwungen, wegen der Teuerungswelle die Preise anzuheben. Sie hofft, dass das die Gäste nicht abschreckt. Sorgen beim Neustart bereitet ihr der Personalmangel. Viele Aushilfen sind in krisenfeste Branchen abgewandert. „Das erste Mal seit 15 Jahren musste ich Inserate schalten.“ Trotz allem bleibt die Gastronomin zuversichtlich: „Biergarten ist ein Stück Lebensgefühl, die Menschen sind ausgehungert danach.“
Occasions
„Kultur und Wirtschaft brennen darauf, endlich wieder Veranstaltungen durchzuführen“, beobachtet Tom Koperek, Chef der LK Group. Zur Gruppe gehören eine Eventagentur, eine Firma für Veranstaltungstechnik und die Eventlocation Grand Corridor auf der Essener Zeche Zollverein. „Wenn sich selbst die alten Herren von den Rolling Stones wieder auf Tournee wagen, ist das ein Aufbruchsignal für die Eventbranche.“
Kopereks Auftragsbücher sind von Mitte April bis Ende Juli und im Herbst voll. Auch ein großer Kongress mit 2000 Teilnehmern ist dabei, der findet allerdings unter 2G-plus-Regeln statt. Für den Winter sind die Buchungen extrem verhalten – aus Angst vor einer neuen Coronawelle.
Die LK Group hatte additional ein Studio für Livestreaming eingerichtet. Doch die Kunden berichten von einer zunehmenden Müdigkeit durch Onlineevents. „Wenn von 500 Angemeldeten nur 70 teilnehmen, lohnt der finanzielle Aufwand nicht“, so Koperek. Für das Unternehmen rechneten sich Onlineevents ohnehin kaum – oder auch gar nicht.
Die zersplitterte Veranstaltungsbranche setzte vor der Pandemie 130 Milliarden Euro im Jahr um und beschäftigte 1,5 Millionen Menschen. 2020 und 2021 erwirtschaftete die LK Group nur drei Millionen Euro, zuvor waren es 15 Millionen. Koperek lobt die Überbrückungshilfen III und III plus. „Die Hilfen haben hervorragend funktioniert und ein weiteres Ausbluten des Eigenkapitals verhindert.“ Ab einem Umsatzrückgang von mehr als 70 Prozent professional Monat im Vergleich zu 2019 musste die LK Group lediglich zehn Prozent ihrer ungedeckten Fixkosten selbst tragen.
Mit Sorge betrachtet der Unternehmer den Fachkräftemangel, der den Neustart hemmt. Die Veranstaltungswirtschaft hat in der Pandemie etwa 30 Prozent ihrer Festangestellten und bis zu 50 Prozent der Soloselbstständigen verloren, schätzt Koperek, der sich in der Brancheninitiative Alarmstufe Rot engagiert. Ton- und Bühnentechniker haben sich sichere Jobs gesucht.
Personaldienstleister, die Aushilfen für große Occasions vermitteln, haben ihr Geschäft aufgegeben. Koperek glaubt an die Eventbranche: „Auch wenn es bis 2024 dauern wird, bis das normale Geschäft zurück ist.“
Einzelhandel
Auch im Einzelhandel wird der Neustart nach zwei Jahren Pandemie und monatelangen Lockdowns herbeigesehnt. „Der Einzelhandel in Deutschland hat in den Jahren 2020 und 2021 durch die Folgen der Coronakrise insgesamt 15 Milliarden Euro Umsatz verloren“, erklärt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Handelsverbands (HDE).
Die Angst vor Rückschlägen ist groß. „Wir sind noch nicht raus aus der Krise, das Virus wird uns noch länger begleiten“, so Genth. Die Länder können nach der Hotspot-Regelung regional die Maskenpflicht wieder einführen. Das wäre deadly: „Händler berichten, dass sie die Maskenpflicht im Geschäft zehn Prozent des Umsatzes kostet, weil vielen Kunden dadurch die Lust aufs Shoppen verdorben wird.“
Das Marktforschungsunternehmen GfK hatte für den März ohnehin schon eine sinkende Konsumstimmung gemeldet. Der Ukrainekrieg verschärft auch diese Scenario. „Die Kaufkraft wäre da, aber viele Konsumenten sind verunsichert und sparen lieber, statt das Geld auszugeben“, sagte der HDE-Geschäftsführer.
„Die Überbrückungshilfen und die KfW-Kredite haben die meisten Händler durch die Pandemie getragen, es gab quick keine Insolvenzen“, beobachtet Frank Schuffelen, Vorstandssprecher der Handelskooperation ANWR. Die vertritt die mehr als 5000 selbstständigen Firmen im Schuh-, Sport- und Lederwarenhandel. Jetzt aber sei die Investitionsfähigkeit beschädigt.
Damit der Neustart gelingt, müsste der Handel dringend investieren, etwa in die Digitalisierung. Doch bei 38 Prozent der Händler ist das Eigenkapital dafür aufgezehrt, ergab eine HDE-Umfrage. „Wenn der Staat jetzt nicht unterstützt, wären die ganzen Überbrückungshilfen für die Katz gewesen“, warnt Schuffelen. Er sieht einen unbegrenzten Verlustrücktrag als mögliche Lösung: „Davon würden die Unternehmen profitieren, die vorher gesund waren und nur durch die Pandemie in Probleme geraten sind.“
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