Josip Stanišić hat für Leverkusen gegen seinen Stammverein FC Bayern getroffen. Das löste bei allen Beteiligten unterschiedliche Gefühle aus.
Mit finsterer Miene und gesenkter Stimme sprach Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen in den Katakomben der BayArena über das bittere 0:3-Debakel, das er mit dem FC Bayern soeben als Augenzeuge auf der Tribüne erlebt hatte. Als er auf Josip Stanišić angesprochen wurde, vergaß Dreesen die bedrückte Stimmung im Bayern-Lager aber für einen Moment.
Der 56-Jährige musste unweigerlich sogar laut lachen. „Das ist halt so eine typische Fußballgeschichte, dass ausgerechnet Josip dieses Tor, das 1:0 für Leverkusen, gegen uns macht“, sagte Dreesen dann zu t-online: „Er hat ein verdientes Tor gemacht und auch in dem Moment genau das Richtige getan.“
Stanišić mit fast entschuldigender Geste
Das Problem: Der in München geborene und beim FC Bayern ausgebildete 22-Jährige hatte es nicht für, sondern eben gegen seinen Heimatklub getan. Und den hatte der Abwehrspezialist, der seit Sommer von Bayern an Bayer verliehen ist, mit seinem Treffer mitten ins Herz getroffen.
Stanišić wusste sofort, was er da getan hatte. Noch bevor der Ball, den er an Torhüter Manuel Neuer vorbei mit einem wuchtigen Rechtsschuss ins Tor beförderte, im Netz landete, hob er beide Hände in einer fast schon entschuldigenden Geste hoch.
„Wollte mir beweisen, dass ich das Zeug habe“
„Aus Respekt“ vor seinem eigentlichen Arbeitgeber verzichtete er auf den Torjubel, während ihn seine Leverkusener Mannschaftskollegen umringten und ausgelassen feierten. Innerlich war sein Führungstreffer aber auch für ihn eine riesige Genugtuung. „Ich wollte natürlich auch mir selbst beweisen, dass ich das Zeug dazu habe, ein Bayern-Spieler zu sein“, sagte der Außenverteidiger bei Sky.
„Für mich ist eigentlich jedes Tor komisch, weil ich so selten treffe.“ Es tue ihm „irgendwie leid, gegen den Stammverein zu treffen“.
Gut möglich, dass ihm damit sogar das entscheidende Tor auf dem Weg zur Meisterschaft gelang. Er ebnete Leverkusen damit zumindest den Weg zum 3:0-Erfolg, mit dem der Tabellenführer (55 Punkte) seinen Vorsprung auf den Rekordmeister auf fünf Punkte ausbaute.
„Wünschen ihm das Beste“
Tat das den Bayern nicht doppelt weh? „Nein, wir wünschen ihm nur das Beste“, sagte Kapitän Neuer zu t-online und zeigte mit dem Daumen nach oben: „Er hat wirklich top gespielt.“
Unter Bayern-Chefcoach Thomas Tuchel hatte Stanišić im Sommer keine Perspektive auf regelmäßige Einsatzzeiten. Weil die geplante Verpflichtung eines neuen Rechtsverteidigers, der möglichst auch als Innenverteidiger eingesetzt werden kann, aber platzte, vermisste Tuchel in der Hinrunde dann genau einen solchen Spielertypen in seinem Kader, der Stanišić ist. Das Leihgeschäft an Leverkusen und damit der freiwillige Verzicht auf ihn als Alternative wird auch klubintern längst als „unglücklicher Fehler“ gewertet. Wie t-online weiß, sogar auch bei wichtigen Entscheidern unter den Verantwortlichen des Klubs.
Bayern bezahlte ihn jedenfalls bereits teuer. Konkret mit 30 Millionen Euro, die man im Winter für die Nachverpflichtung von Rechtsverteidiger Sacha Boey, der von Galatasaray Istanbul kam, ausgab.
Tuchel bringt Regel aus England ins Gespräch
Der 23-Jährige kam gegen Leverkusen auf der für ihn ungewohnten linken Seite zu seinem ersten Startelf-Einsatz. Sein direkter Gegenspieler? Na klar, Stanišić, gegen den er nicht den Hauch einer Chance hatte und den er nicht nur beim Gegentor aus den Augen verlor. Während Boey überfordert wirkte und die t-online-Note 6 bekam, wurde Stanišić zum Man-of-the-Match.
„Es gibt in England eine Regel“, sagte der ehemalige Chelsea-Coach Tuchel nach dem Spiel: „Wenn du Spieler ausleihst, dürfen sie nicht gegen dich spielen. Ich glaube, das macht Sinn, denn ich habe das zu oft erlebt. Dass ausgerechnet der Spieler dann gegen mich trifft.“
Stanišić hatte sich bei Leverkusen erst in den vergangenen Wochen, während einige seiner teaminternen Konkurrenten beim Afrika-Cup weilten, in den Vordergrund gespielt. Gegen Bayern stand er überraschend für Leistungsträger Jeremie Frimpong in der Startelf – was sich als perfekter Schachzug seines Trainers Xabi Alonso erwies.
„Die Mannschaft ist wirklich auch eine Mannschaft“
„Der Teamspirit ist enorm. Egal, wer auf dem Platz steht, gibt sein Bestes“, sagte Stanišić. „Die Mannschaft ist wirklich auch eine Mannschaft.“ Über Bayern konnte man das zuletzt und besonders am Samstagabend nicht sagen. Ein Teamplayer wie Stanišić, der seine Aufgabe mit bedingungslosem Einsatzwillen und Leidenschaft annimmt, würde auch dem Münchner Team aktuell mehr als guttun.
„Ich bin jetzt diese Saison hier und versuche mein Bestes“, sagte Stanišić über seine laufende Leverkusen-Leihe. Nicht unwahrscheinlich, dass er nach dieser Spielzeit als einziger deutscher Meister und möglicherweise auch noch Pokalsieger nach München zurückkehren wird.