Wie sicher können sich Juden in Deutschland fühlen? Der Antisemitismus erstarkt. Josef Schuster vom Zentralrat der Juden in Deutschland erklärt, wie der Judenhass bekämpft werden kann.
Der Antisemitismus in Deutschland ist stark – und wird immer stärker. Auf offener Straße wird in Deutschland Israel im Speziellen und Juden im Allgemeinen der Tod gewünscht, bei Kulturveranstaltungen wie der Berlinale werfen Preisträger Israel einen „Genozid“ an den Palästinensern vor. Kein Wort fiel dabei über die Terrorattacke der Hamas vom 7. Oktober 2023, kein Wort über die Geiseln, die sich immer noch in den Händen der Terroristen befinden.
Die Lage ist auch deshalb so ernst, weil die AfD großen Zuspruch findet. In den Reihen von Rechtsextremisten finden sich viele Judenhasser, nicht nur im Osten des Landes, auch im Westen. Kann der Antisemitismus überhaupt erfolgreich eingedämmt werden? Ja, sagt Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, im t-online-Interview. Dabei sind aber nicht nur Politik und Rechtsstaat gefordert, sondern die Gesellschaft als Ganze. Auch der Zentralrat selbst tritt dem Antisemitismus stärker entgegnen, etwa mit der neuen Kampagne „#StopRepeatingStories“.
t-online: Herr Schuster, der Antisemitismus in Deutschland erstarkt. Können Juden hierzulande auch in Zukunft gut und gerne leben?
Josef Schuster: Wenn ich dieses Zutrauen nicht hätte, würden wir dieses Gespräch nicht führen. Wir sind nicht wehrlos! Wir sehen aber auch: Der Antisemitismus wird aggressiver und gewalttätiger. Darum hat der Zentralrat kürzlich auch das zweite Video seiner Kampagne „Stop Repeating Stories“ veröffentlicht. In dieser Kampagne weisen wir genau darauf hin: dass die Bedrohung durch den Antisemitismus wächst.
Wie sicher können sich Juden in Deutschland fühlen? Infolge der propalästinensischen Proteste kommt es seit Monaten zu Hassattacken und Angriffen.
Es gibt hier zwei Ebenen: Jüdisches Leben ist dank der Polizei in Synagogen und Gemeindezentren möglich. Auch im Privatbereich gibt es kaum Einschränkungen. Anders im öffentlichen Raum, da ist die Situation teilweise extrem. Wer in bestimmten Vierteln von deutschen Großstädten wie Berlin eine Kippa oder einen Davidstern trägt, geht leider ein Risiko ein.
Schon 2015 haben Sie Juden in einem Interview dazu geraten, beim Aufenthalt in Stadtteilen mit hohem muslimischen Bevölkerungsanteil anstelle der Kippa eine andere Kopfbedeckung zu tragen.
Ich war nicht der Erste, der diese Warnung ausgesprochen hat. Deshalb habe ich es nicht verstanden, warum meine Worte für einen öffentlichen Aufschrei sorgten. In jüdischen Kreisen ist es seit Langem eine Binsenweisheit, dass man seine jüdische Identität an bestimmten Orten besser nicht zu erkennen gibt.
Zur Person
Dr. Josef Schuster, 1954 in Haifa geboren, ist seit 2014 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, der die 23 jüdischen Landesverbände vertritt, in denen insgesamt 104 jüdische Gemeinden mit mehr als 90.000 Mitgliedern organisiert sind. Zugleich ist der Mediziner Vizepräsident des World Jewish Congress und des European Jewish Congress, seit 2020 auch Mitglied im Deutschen Ethikrat. Von 1988 bis 2020 betrieb Schuster als Internist eine Praxis in seiner Heimatstadt Würzburg.
Um welche Orte handelt es sich genau?
Generell ist die Gefahr in Großstädten und in Bereichen mit einem hohen Anteil türkisch- oder arabischstämmiger Menschen, insbesondere Berlin und verschiedene Städte im Ruhrgebiet, größer. Wir sehen, dass auch genau dort die Zahl antisemitischer Vorfälle seit dem 7. Oktober 2023 deutlich zugenommen hat. Der Hintergrund der Täter ist meistens muslimisch beziehungsweise israelfeindlich.
Die israelische Armee plant im Süden des Gazastreifens, wo sich Hunderttausende palästinensische Zivilisten auf engstem Raum drängen, eine weitere Großoffensive. Befürchten Sie eine neue Welle antisemitischer Proteste in Deutschland?
Ich hoffe sehr, dass es nicht dazu kommt. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass sich der Antisemitismus derzeit verlagert: weg von der Straße, hinein in Universitäten und Kultureinrichtungen. Dort war es allerdings immer schon problematisch.
Bei der Abschlussveranstaltung der Berlinale haben Preisträger Israel unwidersprochen einen „Genozid“ an den Palästinensern vorgeworfen.
Mit der Berlinale wurde unlängst erneut eine der größten deutschen Kulturveranstaltungen für ideologische Hetze gegen Israel und Juden missbraucht. So darf es nicht weitergehen. Erschreckend ist, dass keiner von der versammelten Politprominenz und den Kulturschaffenden aufgestanden ist und protestiert hat.
Auch die Freie Universität in Berlin ist in die Kritik geraten: Im Dezember besetzten Studierende und Palästina-Aktivisten einen Hörsaal, Anfang Februar wurde der jüdische Student Lahav Shapira von einem pro-palästinensischen Kommilitonen schwer verletzt.
Wer einen jüdischen Menschen beleidigt, bedroht oder angreift, weil er Jude ist oder weil er sich zum Staat Israel bekennt, der überschreitet eine rote Linie. Diese Leute müssen konsequent zur Rechenschaft gezogen werden. Alle.