Doch was bringt der neue Meldeweg? Die baden-württembergische Finanzverwaltung hat nun eine erste Bilanz gezogen – oder es zumindest versucht. Denn für die Statistik konnte nur der Zeitraum von Oktober 2021 bis Februar 2022 berücksichtigt werden. Im August und September sei der „Shitstorm-Effekt“ mit Beschimpfungen, Bedrohungen und unsinnigen Hinweisen wie Smilies zu hoch gewesen, um eine Verwertungsquote zu berechnen, erklärte das Finanzministerium auf Anfrage. Erst danach sei die Plattform relativ „regular“ genutzt worden. 1178 Hinweise flossen additionally nicht in die Berechnungen ein.
Konkret gingen in den berücksichtigten vier Monaten über das On-line-Portal 1430 Hinweise ein, wovon 15 Fälle strafrechtlich related waren. Die Strafverfolgungsquote betrug additionally etwa ein Prozent. Bei den übrigen „analogen“ Wegen betrug die Quote im gleichen Zeitraum hingegen 6,7 Prozent. Hier gingen 311 Hinweise ein, von denen 21 strafrechtlich related waren. Insgesamt stieg die Zahl der anonymen Hinweise auf möglichen Steuerbetrug.
In Deutschland werden schätzungsweise jährlich Steuern im Umfang von rund 50 Milliarden Euro hinterzogen. Das Portal stellt für das Bundesland eine zusätzliche Möglichkeit dar, um Steuervergehen bei der Finanzverwaltung zu melden. Ansonsten können anonyme Hinweise nur persönlich, per Transient, E-Mail oder telefonisch mitgeteilt werden.
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Minister Bayaz zieht nach den ersten Monaten nun eine gemischte Bilanz: „Das Hinweisgeberportal ist offensichtlich kein Portal für Denunziationen. Allerdings ist auch die Qualität der Hinweise noch nicht so hoch wie erhofft.“
Kommunikation mit anzeigender Individual
Aber schon ein richtiger Hinweis allein unter Hunderten könne Hunderttausende Euro an hinterzogenen Steuern einbringen. Das Instrument des anonymen Hinweises sei additionally grundsätzlich richtig und wichtig beim Kampf gegen Steuerbetrug und für mehr Steuergerechtigkeit. „Es lohnt sich deshalb offline wie on-line“, erklärte Bayaz.
In 219 Fällen erfolgte über das Hinweisgeberportal eine anonyme und verschlüsselte Kommunikation mit der anzeigenden Individual. Das baden-württembergische Finanzministerium sieht darin eine Bestätigung, dass der neue Meldeweg Vorteile gegenüber den „analogen“ Hinweisen hat, die keine Rückfragen zulassen.
FDP und Union äußerten sich nach der Bilanz aus Baden-Württemberg weiter skeptisch. Markus Herbrand, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, erklärte, es werde sicherlich auch Vorkommnisse geben, in denen Steuerhinterziehung mithilfe des Portals auffalle. So halte er Hinweise zu Spezialfällen wie Cum-Ex oder Wirecard für sinnvoll, „aber den Nachbarn anzuschwärzen, weil das Finanzamt mutmaßlich nicht genau genug hinschaut, halte ich für eine staatlich geförderte Gesellschaftsspaltung mit Ansage“.
Die CDU-Finanzpolitikerin Antje Tillmann zeigte sich überzeugt, dass es ein solches Portal nicht gebraucht hätte: „Steuerpflichtige konnten sich schon vorher jederzeit an ihr Finanzamt wenden.“ Auch die Qualität der Anzeigen sei mit der erleichterten Abgabe anonymer Hinweise in elektronischer Kind gesunken. Gleichwohl müssten Steuerfahnder auch aussichtslosen Hinweisen nachgehen. „Ihre Arbeitskraft fehlt nun bei der Aufklärung von Steuerstraftaten, die auf dem bisherigen aussichtsreicheren Weg eingegangen sind“, sagte die CDU-Politikerin.
Unterschiedliche Pläne in den Ländern
Der Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, Thomas Eigenthaler, zog indes eine überwiegend constructive Bilanz. „Natürlich ist manche Anzeige nur Informationsschrott“, sagte Eigenthaler dem Handelsblatt. Das sei aber auch bei Anzeigen auf einem Papier so. Die Experten des Finanzamts wüssten aber sehr wohl, wo sie einschreiten müssten und wo nicht. „Die Trennung von Spreu und Weizen gehört zum Tagesgeschäft im Finanzamt“, erklärte der Gewerkschaftschef. „Ich gehe davon aus, dass bald auch andere Bundesländer dieses digitale Angebot übernehmen werden.“
Die Lage in den Ländern ist bislang unterschiedlich. Schleswig-Holstein prüft bereits die Einrichtung einer vergleichbaren Meldeplattform. Landesfinanzministerin Monika Heinold (Grüne) bezeichnete das als „wichtiges Anliegen“. Die bremische Finanzverwaltung erklärte auf Anfrage, erst ein Jahr nach der Einführung in Baden-Württemberg prüfen zu wollen, ob das neue Verfahren im Hinblick auf mehr Steuergerechtigkeit übernommen wird. Ein On-line-Portal solle – wie es in Baden-Württemberg angelegt ist – möglichst auch anonymisierte Rückfragen erlauben, „um einen echten Mehrwert zu erzeugen“, teilte die Hansestadt mit grünem Finanzminister mit.
NRW-Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU) findet indes, Werbung für Anzeigen oder ein Portal „gehen zu weit und sind nicht erforderlich“. Das CDU-geführte Ministerium in Hessen erklärte, es gebe gegenwärtig keine Überlegungen zur Einführung eines anonymen Hinweisgebersystems für Finanzämter.
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