Handwerkspräsident Jörg Dittrich kritisiert die fehlende Verlässlichkeit der Bundesregierung und erklärt, wie sich die schlechte Stimmung im Land verbessern ließe.
Die Sonne kommt raus, als Jörg Dittrich auf die Dachterrasse seines Berliner Büros tritt. Vor Deutschlands oberstem Handwerker glitzert die Kuppel des Französischen Doms am bekannten Gendarmenmarkt, die Luft ist kalt und klar. Eine fast friedliche Winterszenerie.
Doch die Stimmung im Land, das spürt auch Dittrich, ist derzeit alles andere als friedlich. Der Ärger über die Regierung ist so groß wie lange nicht, viele Menschen gehen auf die Straße, um zu protestieren. Dittrich, der aus Dresden stammt und seit einem Jahr Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) ist, beschäftigt das sehr. Im Gespräch mit t-online erklärt er, was er in dieser Hinsicht von Kanzler Olaf Scholz erwartet – und warum der Bürokratieabbau auch im Handwerk so wichtig ist.
t-online: Wie gut ist Ihre Laune heute, Herr Dittrich?
Jörg Dittrich: Meine persönliche Laune ist sehr gut. Ich bin prinzipiell ein optimistischer Mensch, deshalb geht es mir heute wie an den meisten Tagen prima. Aber auch mich beschäftigt es natürlich, dass das nicht allen so geht: Die Stimmung in Deutschland ist sehr schlecht. Und damit meine ich nicht nur die Bauern, die zuletzt so viel protestierten, sondern auch ganz viele andere Menschen und auch viele Handwerkerinnen und Handwerker.
Mein Eindruck ist: Bei vielen im Land wächst die Sorge vor Überforderung. Die Welt ist so komplex geworden, so vielschichtig, dass sie von uns allen große Veränderungen abverlangt. Viele sagen: „Das ist mir zu viel.“ Das höre ich im privaten Umfeld, das höre ich aber auch aus den Handwerksbetrieben.
Ist uns der Wille und die Fähigkeit zur Veränderung, zur Anpassung abhandengekommen?
Das würde ich so nicht sagen. Ich bin überzeugt: Deutschland kann nach wie vor anpacken. Und viele wollen das auch. Gerade auch im Handwerk. Dort wollen sie machen. Was aber inzwischen vielfach fehlt, ist der Glaube daran, dass es gelingen kann, weil so wenig verlässlich und planbar ist, weil unternehmerischer Spielraum immer kleiner und die Menge an Vorgaben immer größer wird. Das lähmt.
Wie kommen wir aus dieser Schockstarre heraus?
Dafür bräuchten wir vor allem einen Neustart in der Kommunikation: seitens der Politik, aber auch im alltäglichen Miteinander.
Das klingt jetzt sehr abstrakt.
Dann lassen Sie es mich konkreter machen. Die Bundesregierung sollte vor allem zwei Dinge tun. Erstens: Klar benennen, wo wir als Land Defizite haben, wo wir ranmüssen. Zum Beispiel sagen, dass der Weg zur Klimaneutralität uns alle viel Geld kosten wird, dass es aber im Interesse aller ist, diese Klimaneutralität zu erreichen. Wir dürfen uns nicht länger etwas vormachen mit Parolen wie „Es bleibt alles so, wie es ist“. Das verfängt bei keinem mehr, das ist einfach unehrlich.
Zweitens müssen wir daraus eine Erzählung ableiten, ein sogenanntes Narrativ, das Mut verbreitet, statt Ängste zu schüren. Ziele und die Wege dahin müssen so sein, dass sie als machbar empfunden werden. So kann es gelingen, die Menschen mitzunehmen und ja, bestenfalls sogar Lust auf Veränderung zu entwickeln, und diese Veränderung dann auch zu leben.
Womit wir wieder am Ausgangspunkt sind: Viele Menschen in Deutschland scheinen genau das einfach nicht zu wollen.
Weil wir nach den Gesetzen der Physik zu träge geworden sind. Wir waren es gewohnt, in allem Weltmeister zu sein. Im Fußball, aber auch beim Export, beim Anmelden von Patenten, in der Bildung – in so vielen Dingen, die unser Land stark gemacht haben. Aber das ist vorbei. Wir sind nicht mehr Weltmeister. Im internationalen Vergleich sind wir in vielen Bereichen inzwischen weit abgeschlagen, auch das gehört zu den Wahrheiten, die wir uns endlich eingestehen müssen, deshalb ist dieser Teil des Narrativs auch so wichtig. Allen muss klar sein: Wir müssen uns jetzt mehr anstrengen.