Berlin Das ab dem kommenden Jahr geltende nationale Lieferkettengesetz – und erst recht die geplanten noch strengeren Regeln auf EU-Ebene – könnte deutsche Unternehmen veranlassen, ihre Geschäftsbeziehungen mit ärmeren Staaten abzubrechen.
Die Menschen in den betroffenen Ländern würden so ihrer wirtschaftlichen Entwicklungschancen beraubt, ohne dass sich die Menschenrechtslage bessert. Zu diesem Ergebnis kommt das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) in einem Gutachten für den Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Die Studie liegt dem Handelsblatt vor.
Nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz müssen Unternehmen mit mindestens 3000 Beschäftigten ab Anfang 2023 dafür Sorge tragen, dass es bei ihren Lieferanten nicht zu Menschenrechtsverletzungen wie beispielsweise Kinderarbeit kommt.
Ein Jahr später werden dann auch Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten einbezogen. Um ihrer Sorgfaltspflicht gerecht zu werden, müssen die Firmen ein Risikomanagementsystem einrichten und regelmäßig Bericht erstatten.
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Das Gesetz könnte vor allem kleinere und mittlere Zulieferer aus Ländern mit einer problematischen Menschenrechtslage hart treffen, heißt es in dem Gutachten. Denn gerade, wenn deutsche Unternehmen nur wenig Umsatz mit den Zulieferern machten, bestehe die Gefahr, dass sie eher die Geschäftsbeziehung abbrächen, als die umfangreichen Prüf- und Kontrollpflichten sowie die Berichtsbürokratie auf sich zu nehmen, schreiben die Forscher Alexander Sandkamp vom IfW und Gabriel Felbermayr vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung Wien (Wifo) in dem Gutachten.
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Durch das Gesetz würden die effektiven Handelskosten mit ärmeren Ländern erhöht. Dabei seien nicht nur die direkten Kosten für den Aufbau des Risikomanagements oder zur Erfüllung der Berichtspflichten related, sondern auch „die diffusen juristischen Risiken, die sich aus dem Lieferkettengesetz ergeben“. Und dass höhere Marktzugangskosten sich auf das Export- und Importverhalten von Unternehmen auswirkten, sei empirisch intestine belegt, heißt es in der Studie weiter.
Zwar soll ein Abbruch der Geschäftsbeziehungen nach dem deutschen Gesetz nur das letzte Mittel sein. Vielmehr gilt der Grundsatz „Befähigung vor Rückzug“. Das heißt, Unternehmen sollen zunächst gemeinsam mit dem Zulieferer prüfen, ob sich eventuelle Verstöße gegen Menschenrechte oder vom Gesetz erfasste Umweltbelange in angemessener Zeit beheben lassen.
Entwicklungspolitische Ziele könnten konterkariert werden
Kommt es aber doch zum Rückzug, bliebe der nicht ohne Folgen: „Schlimmstenfalls führt dies zu einer Verringerung des Professional-Kopf-Einkommens in den betroffenen Ländern“, sagt Sandkamp. Denn oft zahlten gerade die Unternehmen, die Waren nach Deutschland oder in andere EU-Länder exportierten, höhere Löhne und Steuern und seien produktiver und innovativer als Firmen, die nur für den lokalen Markt produzierten.
Entwicklungspolitische Ziele wie die Abkehr von Kinderarbeit, die Zurückdrängung des informellen Sektors oder bessere Erwerbsmöglichkeiten von Frauen ließen sich aber bei einem sinkenden Professional-Kopf-Einkommen noch schwerer realisieren. „Aus dem gesinnungsethisch begrüßenswerten Ansatz eines Lieferkettengesetzes könnte so ein verantwortungsethisch fragwürdiges Unterfangen werden“, schreiben die Ökonomen.
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Dies gilt erst recht für den Vorschlag für eine europäische Lieferkettenrichtlinie. Der jüngst vorgestellte Entwurf der EU-Kommission sieht beispielsweise auch eine zivilrechtliche Haftung für Unternehmen vor und geht damit deutlich über das deutsche Gesetz hinaus. Sollte er umgesetzt werden, dann würde durch das nochmals erhöhte Haftungsrisiko „das Rückzugsszenario von Unternehmen aus diesen Ländern sehr actual“, warnt Felbermayr.
„Zudem würde die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen gegenüber Konkurrenten geschwächt, die aus Ländern ohne vergleichbare Regulierung kommen“, sagt der Ökonom.
Auch Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander kritisiert die Brüsseler Pläne hart: Es sei „schlicht absurd“, dass deutsche Unternehmen, die sich gerade erst auf das nationale Gesetz einstellten, schon wieder umstellen müssten, um den „noch weniger erfüllbaren“ Vorgaben der geplanten EU-Richtline Genüge zu tun.
Sandkamp und Felbermayr schlagen in ihrem Gutachten den alternativen Ansatz einer sogenannten „Negativliste“ vor. In dieser sollen Zulieferer aufgeführt werden, die durch Verstöße gegen Menschenrechte oder Umweltvorschriften aufgefallen sind und mit Sanktionen belegt werden.
Ein solcher Ansatz würde „sowohl kostengünstiger als auch effektiver zu einer Stärkung der Menschenrechte beitragen“ und sollte deshalb „Kern einer europäischen Regulierung werden“, heißt es in der Studie.
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