Was für eine tolle Erfindung soziale Medien doch sind. Wir können unseren Horizont erweitern, Gleichgesinnte, neue Freunde oder Kunden finden. Und doch gelten soziale Medien heute zu Recht als Gefahr für die Gesellschaft. Worin diese Gefahr besteht, ist lange nicht richtig erkannt worden.
Es wurde jahrelang über eine Klarnamenpflicht diskutiert oder über die Grenzen der Meinungsfreiheit. Aber das Downside liegt tiefer, nämlich in den Algorithmen, die darüber entscheiden, mit welchen Inhalten Nutzer in Kontakt kommen.
Die Gesetzgeber der EU haben das besser verstanden als viele andere. Mehr als fünf Jahre nachdem Donald Trump auf einer Welle von Falschbehauptungen zum US-Präsidenten gewählt wurde, gibt es endlich einen Ansatz, wie sich die zerstörerische Kraft der sozialen Medien brechen lässt.
Das EU-Parlament hat seine Arbeit am „Digital Companies Act“, kurz „DSA“, abgeschlossen. Dieses Gesetz wird der Gesellschaft einen Zugang zum Herz der sozialen Netzwerke verschaffen.
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Warum uns bei Fb die Urlaubsbilder eines Freundes, ein Video mit Lifehacks oder die politische Botschaft einer Partei angepriesen wird, ist bislang Geschäftsgeheimnis. Dabei beeinflusst es unsere Stimmung, unsere Weltsicht und unsere Meinung.
Klar ist: Soziale Medien gewichten Beiträge höher, bei denen sie viel Interaktion erwarten. Sie spielen Inhalte hoch, die uns wütend machen, und solche, die uns in unseren Ansichten bestärken. Wer soziale Medien nutzt, läuft darum Gefahr, immer zorniger auf die Welt zu werden und sein Bild von der Welt immer mehr zu verfestigen.
Je komplexer die Welt wird und je schneller sie sich verändert, desto größer ist die Sehnsucht nach einfachen Antworten in einem geschlossenen Weltbild. Der eine driftet dabei in den Extremismus ab, ein anderer glaubt an kosmische Einflüsse. Und die Algorithmen der sozialen Medien liefern zuverlässig immer neuen Stoff.
Die Verantwortung darf nicht Meta allein überlassen werden
Der Meta-Konzern weiß, dass durch seine Produkte Fb und Instagram Menschen psychisch erkranken und ganze Völker gegeneinander aufgebracht werden. Die Verantwortung ist zu groß geworden, um sie Meta allein zu überlassen. Vom Verschwörungs-Beschleuniger Telegram ganz zu schweigen.
Die EU-Staaten werden sich mit dem DSA mehr einmischen bei der Frage, welche Inhalte gelöscht werden müssen. Vor allem aber können Nutzer künftig erfahren, nach welchen Parametern die Plattform Inhalte sortiert. Und sie werden die Möglichkeit haben, Inhalte rein chronologisch sortieren zu lassen.
Welche Werbung an welche Zielgruppen ausgespielt wurde, müssen die Plattformen künftig öffentlich machen. Das ist eine Lehre aus Wahlkämpfen, in denen unterschiedliche Nutzergruppen mit unterschiedlichen Botschaften versorgt wurden. Was der Algorithmus noch mit uns macht, sollen Wissenschaftler erforschen können und dazu tiefere Einblicke erhalten.
Bei den letzten Schritten der Gesetzgebung müssen die Gremien der EU nun aufpassen, keine Fehler mehr zu machen. Ein solcher Fehler wäre es, beim Kampf gegen Pretend Information Ausnahmen für große Medien zu machen. Denn darunter würde wohl auch so mancher Ableger von Propaganda-Netzwerken und Verschwörungstheoretikern fallen.
Außerdem darf der DSA nicht als finale Attacke gegen Pretend Information gelten. Im Gegenteil: Die neu ermöglichte Forschung über Algorithmen wird eine bessere Regulierung möglich machen. Die EU sollte ihr Gesetz darum regelmäßig aktualisieren. Dann wird der Digital Companies Act Nachahmer finden. Er wird dann nicht nur den Europäern nutzen, sondern Menschen weltweit – und vielleicht sogar den Netzwerken selbst.
Mehr: Wie die EU ihre Macht bei der Standardisierung verteidigen will