Lange hatte der Kanzler die Öffentlichkeit im Unklaren gelassen. Nun äußerte er sich zum Thema Taurus-Marschflugkörper – und erntet Widerspruch von allen Seiten.
Während an der Front in der Ukraine jeden Tag immer mehr ukrainische Ortschaften von der russischen Invasionsarmee eingenommen werden, während dort immer mehr ukrainische Soldaten sterben, in Gefangenschaft geraten oder mutmaßlich von russischen Aggressoren hingerichtet werden, hat sich der deutsche Bundeskanzler nun erstmals ausführlich dazu geäußert, warum Deutschland keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefert.
Sein Argument lautet: „Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein. Auch nicht in Deutschland“. Das sagte er am Montag auf einer Chefredakteurs-Konferenz der Nachrichtenagentur dpa. „Ich wundere mich, dass es einige gar nicht bewegt, dass sie nicht einmal darüber nachdenken, ob es gewissermaßen zu einer Kriegsbeteiligung kommen kann durch das, was wir tun.“
Sekundiert wird er dabei von Verteidigungsminister Boris Pistorius. „Natürlich“ dürfe die Bundeswehr keine Kriegspartei werden. „Eigentlich kennt jeder diese Argumentation“, sagte der SPD-Politiker. Den Hinweis, dass auch andere Länder Taurus-Systeme ohne Bundeswehr-Soldaten einsetzten, wies er zurück.
Wieso sind keine Bundeswehrsoldaten in Südkorea?
Im Kreml wird die Nachricht mit Wohlwollen aufgenommen worden sein. Russlands Diktator dürfte sich in seinem Kurs der Einschüchterung des Westens bestätigt fühlen.
Hierzulande ist die Empörung in Teilen der Öffentlichkeit groß ob des Nein des Kanzlers zu Taurus. Vor allem die Begründung Scholz‘ sorgt für Kopfschütteln. Behauptete der Kanzler bei dem Medientreffen doch, dass für die Lieferung und Zielsteuerung des Taurus-Systems auch die Stationierung deutscher Soldaten in der Ukraine notwendig sei.
„Olaf Scholz führt gegen die Lieferung von Taurus ein längst widerlegtes Argument an“, schreibt die FDP-Abgeordnete Agnes Strack-Zimmermann bei X. „Deutsche Soldaten werden für Taurus nicht auf ukrainischem Boden benötigt. Die Behauptung des Bundeskanzlers ist falsch“, so die Verteidigungspolitikerin. Es gebe in der Ukraine bereits eine Menge programmierter Waffen aus deutscher Produktion: „Wenn das also das Argument ist, müssten wir sofort alle automatischen Waffen, die auf Angriffe reagieren, abziehen. Ich halte das für vorgeschoben.“
Auch der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen zeigte sich in einer ersten Reaktion auf der Plattform X fassungslos: „Die Behauptung, mit der Lieferung von Taurus würde Deutschland zur Kriegspartei, ist rechtlich schlicht falsch und politisch infam“.
Militärexperte widerspricht Scholz
Wie groß die Enttäuschung über den Kanzler selbst in der Ampel-Koalition ist, zeigt auch die Reaktion der grünen Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. „Niemand, der Taurus für die Ukraine fordert, will, dass Deutschland zur Kriegspartei wird“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Aber: „Für den Frieden in Europa und darüber hinaus ist es essenziell, dass die Ukraine diesen Verteidigungskampf gewinnt“.
Das Hauptargument, das Scholz nun anführt, wenn er Taurus-Lieferungen verweigert, bezieht sich auf den möglichen Einsatz von Bundeswehrsoldaten zur Steuerung der Systeme. Doch auch unabhängige Experten wie der Sicherheitsberater Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations (ECFR) zerpflücken die Argumentation des Kanzlers. Demnach müssten Übergabe und Bedienung der Taurus-Marschflugkörper mitnichten von der Bundeswehr erledigt werden. „Das ist Herstellersache“, so Gressel gegenüber ntv.de.
Ähnlich sei es auch schon bei der Lieferung der Iris-T-Systeme an die Ukraine gewesen. Zudem hat Deutschland dem strategischen Partner Südkorea schon 2014 Taurus geliefert, ohne dass es dafür eines Bundeswehrmandats bedurft hätte. „Es ist die Aufgabe des Herstellers, mit an den Ort zu reisen, an den der Taurus übergeben wird und sich die dazugehörigen Träger anzuschauen und die Programmierung zu übernehmen“.
Kiesewetter wirft Scholz „Täuschung“ vor
Scholz behauptete in seiner Rede am Montag, die Zielsteuerung des Taurus, wie es die Briten und Franzosen bereits mit den Storm Shadow und Scalp-Systemen machten, die sie an die Ukraine geliefert haben, könne im Fall der deutschen Waffe nicht gewährleistet werden. Das wisse jeder, der sich mit der Materie auseinandergesetzt habe, so der Kanzler.