Die Wirtschaft tritt auf der Stelle und Besserung ist nicht in Sicht. Gewerkschafterin Yasmin Fahimi findet: Nun muss ein Gipfeltreffen im Kanzleramt her – und eine Reform der Schuldenbremse.
Der Ausblick aus dem Fenster ist phänomenal: Yasmin Fahimi empfängt hoch über den Dächern Berlins. Die Zentrale des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) nahe dem KaDeWe im Westteil der Hauptstadt wirkt nach ihrer Eröffnung vergangenen Sommer noch immer sehr neu, der Tisch glänzt, die Scheiben tun es auch, Aufbruch liegt in der Luft.
Dazu wenig passen will der miserable Zustand der deutschen Wirtschaft: Nach einer Rezession im vergangenen Jahr droht 2024 abermals nur ein Mini-Wachstum. Viele Firmen sind verunsichert – und die Ampelregierung ringt um den richtigen Kurs in der Wirtschaftspolitik.
Im Interview mit t-online erklärt DGB-Chefin Fahimi, warum Steuererleichterungen, wie Union und FDP sie wollen, aus ihrer Sicht der falsche Weg sind, warum die Schuldenbremse gelockert gehört – und was ein Wirtschaftsgipfel im Kanzleramt bringen könnte.
t-online: Frau Fahimi, die deutsche Wirtschaft liegt am Boden. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass es bald wieder aufwärts geht?
Yasmin Fahimi: Der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung lässt für dieses Jahr leider nichts Gutes erwarten. Wirtschaftlich droht Deutschland den Anschluss zu verlieren. Die Folgen spüren wir schon jetzt. Einschränkungen im Staatshaushalt führen zu sozialen Verwerfungen, zu härteren Verteilungskämpfen. Aber auch die Klimaziele sind in Gefahr, weil wir nicht genug in eine gute Zukunft investieren. Es muss schleunigst etwas passieren, damit Deutschland ein attraktiver Standort bleibt.
Deutschland ist ein besonderes Land, mit einer überdurchschnittlich starken Industrie und einer immer noch weitgehend intakten Wertschöpfungskette, von der Aluminium- und Stahlproduktion, über Chemie und Halbleiter bis zum Automobil- und Maschinenbau. Wenn aber in der Stagnationsphase einzelne Glieder aus der Kette herausbrechen, weil nicht mehr wettbewerbsfähige Unternehmen pleitegehen oder ihre Produktion verlagern, dann wirkt das schnell wie ein Dominoeffekt. Dann gerät die gesamte industrielle Basis unserer Wirtschaft in Gefahr. Einer solchen Entwicklung muss der Staat vorbeugen.
Und wie soll er das anstellen?
Indem er die Unternehmen mit guten Rahmenbedingungen unterstützt und ihnen mit gezielten Förderprogrammen bei der Transformation hin zur Klimaneutralität hilft. Was aber kaum nutzt, sind Steuersenkungen nach dem Gießkannenprinzip.
Tut die Ampel das mit den vielen Habeck’schen Subventionen denn nicht schon mehr als genug?
Tatsache ist, dass die Bundesregierung in der akuten Notlage 2022 und 2023, als die Energiepreise durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sehr hoch waren, schon eine Menge auf den Weg gebracht hat an Entlastungen. Man kann ihr also nicht vorwerfen, dass sie untätig wäre. Jetzt aber sind wir in einer neuen Phase – und da stellt sich die Regierung selbst ein Bein.
Sie meinen den wirtschaftspolitischen Richtungsstreit zwischen Grünen und Liberalen.
Ja, genau, wenn man das so nennen will.
Wie würden Sie es denn nennen?
Ich würde sagen: Die FDP bremst mit ihrem sturen Festhalten an der Schuldenbremse das aus, was notwendig wäre. Wir haben einen riesigen Investitionsstau, der sich über zwei Jahrzehnte aufgebaut hat. Da geht es um die Daseinsvorsorge, wie insbesondere in Sachen Wohnungsbau und Bildung, aber auch um Infrastrukturprojekte im Verkehrswesen und in der Energiewirtschaft. Zusätzlich haben wir einen Auftrag zum Klimaschutz und die Notwendigkeit, Maßnahmen für die Klimaanpassung zu treffen, Stichwort Hochwasser. All das spielt sich ab im Kontext internationaler Kriegsgeschehen, wo wir der Ukraine helfen wollen. Das alles zusammengenommen macht doch deutlich: Deutschland steht vor einer Herkulesaufgabe. Und keine Bundesregierung, egal welcher Couleur, wird das finanziell im Rahmen des Regelhaushalts schaffen können.