Guten Tag liebe Leserinnen und Leser,
wenn es um das Engagement für die russische Energiewirtschaft geht, dann ist auf Gerhard Schröder stets Verlass: Wenige Stunden nachdem EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen im Handelsblatt sagte: „Gerhard Schröder wird von russischen Energieunternehmen bezahlt und vertritt deren Interessen“, wurde bekannt: Der SPD-Politiker und Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist nun auch noch für den Aufsichtsrat des Staatskonzerns Gazprom nominiert – bislang ist Schröder Aufseher bei Rosneft und dem deutsch-russischen Pipelinekonsortium Nord Stream.
Weniger Verlass ist derweil auf die Gaslieferungen aus Russland. Die Füllstände deutscher Gasspeicher sind längst unter eine kritische Grenze gefallen, wie unser Energiereporter Klaus Stratmann berichtet. Gazprom liefert zwar noch Fuel, aber nur noch so viel wie unbedingt nötig, um die langfristigen Zusagen einzuhalten. Das Unternehmen schüre damit Zweifel an der eigenen Zuverlässigkeit, sagte von der Leyen im Gespräch mit Moritz Koch, dem Leiter des Handelsblatt-Büros in Brüssel.
Das Interview wurde von vielen internationalen Medien aufgegriffen – vor allem die Aussage von der Leyens, man könne „Nord Stream 2 mit Blick auf die Sanktionen nicht vom Tisch nehmen, das ist ganz klar“. Ob die Pipeline in Betrieb gehen könne, hänge „vom Verhalten Russlands ab“.
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Für Deutschland ist es eine heikle Lage. Verwundert nehmen westliche Verbündete das Schweigen das Kanzlers im Ukraine-Konflikt zur Kenntnis. Bei Twitter kursieren schon Vermisstenanzeigen.
Gleichzeitig wird den Deutschen bewusst, wie heikel der eingeschlagene energiepolitische Kurs ihres Landes ist. Seit Jahren liefert Russland immer mehr Fuel, Kohle und Rohöl nach Deutschland, in kaum einem großen Industrieland ist die Abhängigkeit so groß wie in Deutschland. Sollte es, wie bei EU und NATO befürchtet, im Fall eines Kriegs in der Ukraine zu einem Stopp der russischen Gaslieferungen kommen, dann wird es kalt in Deutschland – und zwar im sehr wörtlichen Sinne, wie auch unser Freitagstitel zeigt.
Und die Abhängigkeit von Russland wird noch zunehmen: Wenn alle Atomkraftwerke und Kohlemeiler abgeschaltet sind, muss die Lücke für viele Jahre mit Dutzenden neuen Gaskraftwerken gefüllt werden.
Die Debatte über Flüssiggas aus anderen Teilen der Welt und einem Ausbau der Erneuerbaren ist richtig – und überfällig. Doch zur Ehrlichkeit gehört auch: Jeder Schritt weg vom russischen Fuel wird Energie in Deutschland teurer machen.
Was uns vergangene Woche außerdem bewegt hat:
1. Wenn Olaf Scholz am Montag nach Washington fliegt, werden ihn auch einige Journalistinnen und Journalisten begleiten. Mit dabei ist mein Kollege Martin Greive. Er hält die Begegnung zwischen Scholz und US-Präsident Joe Biden für mehr als einen klassischen Antrittsbesuch. „Es ist ein besonderes Treffen in Zeiten großer Krisendiplomatie“, sagt Greive. Scholz ist für sein Schweigen worldwide kritisiert worden, manchen im US-Kongress gilt der deutsche Kanzler bereits als „unzuverlässig“. Für den Kanzler geht es in Washington deshalb um viel: Der Westen muss ein Sign der Einigkeit Richtung Moskau senden. Und wie Merkel muss Scholz das Vertrauen des US-Präsidenten gewinnen, um selbst stärker Initiative in der Russland-Politik ergreifen zu können.
2. Die Inflation battle das zweite große Thema der Woche. Die Teuerung stieg im Euro-Raum überraschend auf einen Rekordwert. Mit Spannung wurde deshalb die Reaktion der EZB erwartet, die dann enttäuschend ausfiel. Nur verklausuliert deutete EZB-Chefin Christine Lagarde eine Zinserhöhung für 2022 an. „Damit hat die EZB die Probability verpasst, ein klares Zeichen zu setzen“, kommentiert mein Kollege Michael Maisch. Damit setzt Lagarde ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Oder in den Worten des Allianz-Chefberaters Mohamed El-Erian: „Die EZB muss aufpassen, dass sie sich nicht in eine Sackgasse manövriert.“
3. Die steigenden Preise sorgen längst für scharfe Konflikte in der Wirtschaft – besonders dramatisch ist die Lage in der Lebensmittelbranche, in der gerade der Preiskampf zwischen Herstellern und Handelsketten eskaliert. Denn die Hersteller wollen die gestiegenen Preise an die Händler weitergeben – doch die blocken ab. „Die Verhandlungen werden im Second härter denn je geführt, so eine State of affairs gab es noch nie“, berichtet der High-Einkäufer eines großen Lebensmittelhändlers dem Handelsblatt.
Vielleicht merken Sie das nachher selbst, wenn Sie im Supermarkt an der Kasse stehen. Sollten Sie sich jetzt schon darauf einstimmen wollen, erfahren Sie hier, welche Produkte gerade am schnellsten teurer werden – und was demnächst gar nicht zu haben ist.
4. Angesichts der vielen schlechten Schlagzeilen aus London kann man in Großbritannien leicht den Überblick verlieren. Ist der britische Premierminister Boris Johnson noch im Amt? Und wenn ja: Wie lange noch? Unser London-Korrespondent Carsten Volkery erklärt die Lage in einem höchst lesenswerten „Partygate”-Report.
5. Seit Mittwochmorgen durchsuchen 30 Polizisten, Steuerfahnder und Staatsanwälte die Büros der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC. Wie unser Investigativ-Staff erfuhr, geht es um Cum-Ex-Ermittlungen und die schwedische Großbank SEB. Ein ungewöhnlicher Vorgang – und ein weiteres Kapitel in einem der größten Skandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte.
6. Sie zählen zu den bekanntesten Investoren der Welt: Warren Buffett und Cathie Wooden vertreten mit ihren Investmentansätzen zwei Extrempositionen. Wooden setzt auf Zukunftstrends und schnell wachsende Tech-Firmen – was eine ganze Weile intestine lief. Buffett wurde mit seiner Strategie verspottet – Traits habe er verpasst, überholt sei seine Methode sagten Kritiker. Doch in unsicheren Börsenzeiten hängt Buffett die einst gefeierte Investorin plötzlich ab – mit einem sehr alten Rezept, wie meine Kollegin Astrid Dörner berichtet.
7. Und dann ist da noch die Krise, die mittlerweile die gesamte Wirtschaft erfasst hat: Neulich musste sogar eines meiner Lieblingsrestaurants in Düsseldorf zeitweise schließen – weil Private fehlt. Doch der Fachkräftemangel bremst nicht nur die Wirtschaft. Wegen fehlender Ingenieure, IT-Expertinnen und Handwerker dürften demnächst auch viele Projekte der Ampel-Koalition wackeln.
Denn für den Umbau der Energieversorgung, den Bau von Hunderttausenden Wohnungen und die Digitalisierung der Verwaltungen werden vor allem solche Arbeitskräfte gesucht, die heute schon in der Wirtschaft fehlen. Vielleicht ist der Fachkräftemangel die am besten ausgeleuchtete – in jedem Fall aber die am hartnäckigsten ignorierte Krise unserer Zeit.
8. In Peking sind gestern Abend mit einer spektakulären Present die Olympischen Spiele gestartet. Doch die Feier battle nicht wegen der mitreißenden Choreografie, dem beeindrucken Feuerwerk oder den süßen Kindertanzgruppen bemerkenswert, schrieb mir gerade noch meine Kollegin Dana Heide aus Peking. „Es battle vielmehr das politische Umfeld, das die Auftaktveranstaltung zu einem bizarren Theaterstück fernab der Realität werden ließ“. Während der umstrittene IOC-Chef Thomas Bach an die Nationen appellierte „dem Frieden eine Probability“ zu gehen und aus den riesigen Lautsprechern „Think about“ von John Lennon tönte, stehen die Truppen von Wladimir Putin an der Grenze der Ukraine. Ausgerechnet kurz vor der Eröffnung haben Putin und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping einen Schulterschluss verkündet. Bemerkenswert battle auch, wer bei der pompösen Feier fehlte: Kaum ein Staats- oder Regierungschef demokratischer Länder battle nach Peking gekommen. Stattdessen Autokraten en masse.
P.S.: Ich möchte Sie noch auf eine ganz besondere Veranstaltung hinweisen: Nächste Woche laden die Zeit, die WirtschaftsWoche, der Tagesspiegel und das Handelsblatt zum zweiten Mal zur Konferenz Europe 2022 ein, auf der wir mit hochkarätigen Politikerinnen und Politikern sowie CEOs über die Zukunft Europas sprechen werden. Sie können das gesamte Occasion hier stay streamen, um 9.30 Uhr geht es Montag los. Ich freue mich besonders auf Interviews mit dem französischen Wirtschaftsminister Bruno Le Maire und mit EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Schreiben Sie mir gern, welche Fragen Sie an die beiden haben ([email protected]).
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Begin ins Wochenende.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr Sebastian Matthes
Chefredakteur Handelsblatt
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