Guten Tag liebe Leserinnen und Leser,
im Dezember kamen meine Kollegen aus dem Investigativ-Ressort wegen eines Sonderprojekts in Sachen Wirecard auf mich zu. Wir hatten gerade den Wambach-Bericht veröffentlicht, die unter Verschluss gehaltene Untersuchung über die Arbeit der Wirtschaftsprüfgesellschaft EY für Wirecard. Eine Handelsblatt-Titelgeschichte darüber hatte hohe Wellen geschlagen
Nun wollte das Staff rund um Investigativ-Chef Sönke Iwersen das größte Rätsel der Wirecard-Affäre lösen, nämlich die geheimnisvolle Übernahme der Hermes-Gruppe. 315 Millionen Euro zahlte Wirecard 2016 für das indische Unternehmen. Heute wissen wir: Der Verkäufer hatte es erst kurz vorher selbst erworben: für 35 Millionen Euro.
In einer fesselnden Titelstory beschreiben meine Kollegen nun, wie diese wundersame Geldvermehrung zustande kam – und wer davon profitierte. Dafür analysierten sie nächtelang Hunderttausende E-Mails von den ehemaligen Wirecard-Servern, geheime Fotos sowie bisher unbekannte Chatprotokolle von Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek.
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Es warfare eine Recherche mit vielen Überraschungen. Geheime Treffen von Wirecard-High-Private in indischen Luxushotels, gefälschte Unternehmensprospekte – sowie Feste mit jungen Frauen und alten Weinflaschen. Meine Kollegen stießen bei der Recherche auch auf ein Phantom, nämlich auf die elektronischen Spuren eines Mannes, der die Übernahme scheinbar vorantrieb wie kein anderer: Rahul Sharma.
Bei genauerem Hinsehen stellte sich heraus: Es gab ihn gar nicht. Nach aufwendigen Recherchen fanden meine Kollegen zwar einen Mann, der Rahul Sharma hieß. Doch der hat ziemlich sicher keinen Millionendeal in Indien abgewickelt – denn er ist Arzt in Arizona. Ein Unbekannter hatte sein Bild kopiert und für die Kommunikation mit Wirecard genutzt.
Setzt man all diese Puzzleteile zusammen, entsteht ein klares Bild: Die größte Übernahme in der Geschichte von Wirecard warfare zugleich der größte Coup von Jan Marsalek.
Ein Whistleblower warnte Wirecards Abschlussprüfer EY übrigens schon 2016, dass es bei dem Deal in Indien Unregelmäßigkeiten gegeben habe. Wirecards „Senior Administration“ sei direkt oder indirekt an dem Fonds beteiligt, hieß es damals, und hätte sich damit an der Übernahme persönlich bereichert. Folgen hatte die Warnung nicht.
Über die Hintergründe der Recherche sprechen Handelsblatt-Dwell-Chefin Ina Karabasz und Sönke Iwersen diese Woche in einer Sonderausgabe unseres Podcasts Handelsblatt Crime – ein Format, das ich Ihnen ohnehin sehr ans Herz legen möchte.
Was uns diese Woche sonst noch beschäftigt hat:
1. Inmitten höchster Spannungen in der Ukraine-Krise wurde gestern die 58. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) eröffnet – ohne Beteiligung Russlands. „Heute droht neuer Krieg – mitten in unserem Europa“, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Auftritt auf der MSC. Russland spreche mit seinem Truppenaufmarsch eine absolut inakzeptable Drohung aus.
Die Atommacht Russland kündigte indes ein Manöver mit Einsatz ballistischer Raketen an. Die Übung an diesem Samstag steht laut Verteidigungsministerium unter Führung von Staatschef Wladimir Putin. Ziel sei, die strategischen Nuklearwaffen auf ihre Zuverlässigkeit zu testen. Diese Krise sei keine Ukraine-Krise, sagt Baerbock: „Sie ist eine Russland-Krise.“ Eine brandgefährliche State of affairs. Korrespondentinnen und Reporter des Handelsblatts beobachten die Lage rund um die Uhr für Sie.
2. Immer wieder drohen die USA Russland mit der „Mutter aller Sanktionen“. Doch der Fokus liegt allzu oft auf Kapitalsperren. Vor der wirksamsten Maßnahme schrecken die Amerikaner zurück: dem Boykott von russischem Öl. Das hat vor allem heikle innenpolitische Gründe, erklären Klaus Stratmann und Moritz Koch.
3. In Sachen Elektromobilität haben die deutschen Autobauer gerade noch so die Kurve gekriegt. Die eigentliche Herausforderung ist nun die Digitalisierung, weil zum Beispiel die Software program in vielen Autos immer noch an die erste Gameboy-Technology erinnert. Das hat dramatische Folgen: In China, dem wichtigsten Auslandsmarkt deutscher Hersteller, bleiben die Fahrzeuge von VW, Daimler und BMW immer öfter in den Autohäusern stehen, berichtet das Handelsblatt Autoteam. Den chinesischen Konsumenten sind Bytes längst wichtiger als PS.
4. Das lange Zögern in der digitalen Transformation wird für die Autohersteller nun teuer. Die Zulieferer der Zukunft heißen nämlich nicht mehr nur Bosch, Conti und Knorr, sondern Google, Amazon und Nvidia. Die Autobauer brauchen Large Tech für sprechende Software program und autonomes Fahren. Eine kostspielige Abhängigkeit. Denn die Tech-Konzerne verlangen einen viel höheren Beitrag von der Wertschöpfung: Mercedes-Benz etwa, das zeigen Handelsblatt-Recherchen, muss jeden Euro beim Verkauf von Software program-Komponenten für das autonome Fahren mit Nvidia teilen. Es geht um Milliarden.
Und wer jetzt noch nicht genug vom Thema hatte, sollte unbedingt den Report über die Entstehung der Tesla-Fabrik in Grünheide lesen. Zwei Jahre nach dem Baubeginn steht das Werk vor dem Produktionsstart. Silke Kersting und Dietmar Neuerer zeichnen mit faszinierenden Particulars nach, wie das in Deutschland möglich warfare, wo sonst vieles immer so unfassbar lange dauert – und warum das Ganze um ein Haar am Namen der Fabrik scheiterte.
5. Seit Monaten werden die Warnungen vor einer Blase am Immobilienmarkt lauter. Selten aber waren sie so deutlich wie vergangene Woche: Der Kaufpreisanstieg sei „überraschend und beängstigend“, heißt es in einem Gutachten, das vom Spitzenverband der Immobilienwirtschaft in Auftrag gegeben wurde. In nur zwölf Monaten sind die Kaufpreise für Eigentumswohnungen in Metropolen nochmals um zehn bis 15 Prozent gestiegen. Bundesweit liegt der durchschnittliche Preis professional Quadratmeter bei 3140 Euro.
6. Kriegsangst in Europa, Inflation und Zinswende: Auch an den Finanzmärkten herrscht dieser Tage Nervosität. Gerade in solchen Zeiten ist der Blick auf die bekanntesten Investoren der Welt interessant: Wie positionieren sich Warren Buffett, Ray Dalio, David Tepper und George Soros in unsicheren Zeiten? Einige kaufen Gold, andere Tech-Werte und wieder andere schlicht ETFs.
7. Die Verkehrswende ist derzeit mehr Wunsch als Wirklichkeit. 15 Millionen Elektroautos sollen bis 2030 über deutsche Straßen rollen, die Bahn gestärkt und der Verbrenner weitgehend vom Hof sein. Doch ein einfacher Blick in die Zahlen ergibt: Die Ziele sind allesamt unrealistisch. Der Verkehrsminister steht vor einer Mission Not possible, zeigt der lesenswerte Report meines Kollegen Daniel Delhaes. Sein Fazit: Das Projekt kann beginnen, doch Verkehrsminister Volker Wissing muss dafür mit drei großen Illusionen aufräumen.
8. Das Handelsblatt beschreibt die Wirtschaft nicht nur wie sie ist, unsere Reporterinnen und Reporter beschäftigen sich auch mit den Zukunftslaboren dieser Welt. Deshalb freue ich mich sehr, dass ab sofort mein Kollege Stephan Scheuer aus dem Silicon Valley berichten wird.
9. Die großen Tech-Innovationen kommen allerdings schon lange nicht mehr nur aus dem Silicon Valley – auch China wird immer wichtiger. Deshalb verstärken wir das Handelsblatt-Büro in Peking mit der Kollegin Sabine Gusbeth, die zuvor monatelang auf ihr Visum warten musste. Zum Begin hat sie gleich eine spannende Studie in die Finger bekommen: Chinesische Forscher analysierten darin die technologischen Schwächen der Volksrepublik. Kurz nach der Veröffentlichung verschwand die höchst interessante Analyse aus dem Netz. Denn sie zeigt schonungslos die Schwächen des chinesischen Hightech-Standorts. Hier finden Sie die wichtigsten Fakten über Chinas kritische Tech-Studie, die niemand lesen sollte.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr Sebastian Matthes
Chefredakteur Handelsblatt
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