Berlin, Brüssel Wenn nicht die Coronakrise wäre und ein Handschlag möglich wäre, würde es diesen geben. Seitdem Donald Trump nicht mehr im Weißen Haus sitzt, sondern Joe Biden, haben sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen wieder merklich aufgehellt.
Wenn Biden an Montag den neuen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erstmals in Washington empfängt, wird der Empfang herzlicher ausfallen als bei Angela Merkels (CDU) erstem Besuch bei Trump, als dieser der Kanzlerin den Handschlag verweigerte. Als „Glücksfall“ bezeichnet die Bundesregierung die Biden-Administration.
Die erste persönliche Begegnung zwischen Scholz und Biden ist mehr als ein klassischer Antrittsbesuch, sondern ein besonderes Treffen in Zeiten großer Krisendiplomatie, in der insbesondere der neue Kanzler in die Kritik geraten ist. Scholz wird in der Ukrainekrise vorgeworfen, zu zurückhaltend zu agieren, manchen im US-Kongress gilt der deutsche Kanzler schon als „unzuverlässig“.
Als Biden Trump im Weißen Haus ablöste, hätten sich die USA um die Reparatur des transatlantischen Verhältnisses bemühen müssen, sagt Rachel Rizzo, Europaexpertin vom Atlantic Council. „Jetzt scheint es genau andersherum zu sein: Es sind die Deutschen, die sich um Reparaturarbeiten kümmern müssen.“ Damit ist Scholz’ Mission in Washington ziemlich klar umrissen.
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Für Scholz geht es in Washington deshalb um viel: Der Westen muss ein Sign der Einigkeit Richtung Moskau senden. Und wie Merkel muss Scholz das Vertrauen des US-Präsidenten gewinnen, um selbst stärker Initiative in der Russlandpolitik ergreifen zu können.
Diskussion um Nord Stream 2 wird zentrale Rolle spielen
Dass es die USA mit ihren Sanktionsandrohungen gegenüber Russland ernst meinen, ist allgemein bekannt, auch in Moskau. Weniger klar ist, wie ernst es die EU meint. Das liegt zum einen an Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, dem insbesondere in Osteuropa unterstellt wird, eine Parallel-Diplomatie mit Russland zu betreiben, womöglich sogar einen eigenen Sicherheitsdeal mit Putin anzustreben.
Es liegt aber auch an Scholz, der sich schwertat, Nord Stream 2 als Sanktionsmittel zu definieren, und der bis heute nur verdeckt zu erkennen gibt, dass die umstrittene Gaspipeline nicht in Betrieb geht, sollte die Ukrainekrise eskalieren – zum Ärger der USA. Die Diskussion um die Ostseepipeline Nord Stream 2 wird daher eine zentrale Rolle auf der Scholz-Reise spielen.
Der Kanzler hat sich die Misere selbst eingehandelt. Wiederholt sprach er davon, die Pipeline sei als „privatwirtschaftliches“ Vorhaben zu behandeln, eine Formulierung, die in Washington erhebliche Irritationen auslöste.
Im vergangenen Sommer hatten sich Deutschland und die USA auf eine mühsam ausgehandelte Erklärung zu Nord Stream 2 verständigt, in der sich Deutschland verpflichtete, „dass Russland keine Pipeline, einschließlich Nord Stream 2, zur Erreichung aggressiver politischer Ziele einsetzt“.
Auch wenn der Textual content in Teilen vage bleib, interpretieren die Amerikaner die Übereinkunft als implizite Zusage, dass die inzwischen fertig gebaute Erdgasleitung im Falle einer russischen Aggression gegen die Ukraine nicht in Betrieb geht.
Fortsetzung der Politik der Merkel-Ära
Diese Deutung soll auch die Bundesregierung akzeptiert haben: In Koalitionskreisen ist zu hören, es habe eine informelle Zusage gegeben, die die Erklärung ergänzt. Demnach habe Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel US-Präsident Biden zugesichert, dass Nord Stream 2 nicht ans Netz gehen werde, wenn Russland in der Ukraine einfällt. Merkel habe das, so heißt es weiter, auch im Namen von Scholz getan.
>> Lesen Sie hier: Russland sitzt beim Kampf ums Gas am längeren Hebel – noch
Als Scholz kaum im Amt die Pipeline zur unpolitischen Angelegenheit erklärte, fürchteten die Amerikaner, der neue Kanzler wolle den mühsam ausgehandelten Nord-Stream-2-Kompromiss infrage stellen. Die Verärgerung darüber erklärt, warum die Kritik an der deutschen Außenpolitik in den vergangenen Wochen so heftig ausfiel.
Das gilt auch für den Streit um Militärhilfen für Kiew. Die Weigerung Berlins, Waffen an die ukrainische Armee zu liefern, wird in den USA quick ebenso kritisch gesehen wie Nord Stream 2. Dabei ist diese Zurückhaltung kein Kurswechsel, sondern die Fortsetzung der Politik der Merkel-Ära, sie struggle den Amerikanern lange bekannt. Hätte Scholz nicht vorher mit seinen Einlassungen zu Nord Stream 2 Zweifel an seiner Verlässlichkeit geweckt, hätte es wohl kaum eine so hitzige Debatte darum gegeben.
Scholz, der für sich in Anspruch nimmt, eine klare Sprache zu sprechen, bringt sich bis heute nicht dazu, die Wörter Nord Stream 2 und Sanktionen in einem Satz zu verbinden. Wenn er nach der Pipeline gefragt wird, antwortet er inzwischen zwar, dass „alles zu diskutieren ist, wenn es zu einer militärischen Intervention gegen die Ukraine kommt“. Die Beschreibung des Projekts als „rein privatwirtschaftlich“ wiederholt er nicht mehr. Doch eine Festlegung auf Sanktionen ist auch die neue Sprachregelung nicht, diskutierten kann man vieles.
Reise wird Scholz’ Haltung nicht verändern
Warum Scholz im Ungefähren bleibt, ist schwer zu erklären. Politisch ergibt es wenig Sinn. Die Amerikaner haben sich längst festlegt: Marschiert die russische Armee in der Ukraine ein, ist eine Inbetriebnahme von Nord Stream 2 undenkbar. Jeder, der an dem Projekt weiter mitwirkt, muss mit Sanktionen der USA rechnen.
Auch die EU-Kommission gibt sich ähnlich strong. Das Schicksal der Pipeline „hängt vom Verhalten Russlands ab“, sagte Kommissionschefin Ursula von der Leyen im Handelsblatt-Interview.
Scholz, so wird aus Regierungskreisen gestreut, wird seine Haltung auf seiner USA-Reise nicht ändern, auch keine Akzentverschiebung vornehmen – etwa mit einer klareren Absage an Nord Stream 2 im Falle einer russischen Invasion. Auch erwartet die deutsche Seite nicht, dass US-Präsident Biden bei dem Treffen Druck auf Scholz in diese Richtung ausüben wird.
Doch die Vorstellung, Deutschland könne die Gasleitung gegen den erklärten Willen ihrer engsten Companion einweihen, während die Ukraine von russischen Panzern überrollt wird, ist absurd. Zumal Scholz’ Koalitionspartner, die Grünen und die FDP, die die Pipeline schon lange kritisch sehen – auch eine solche Politik niemals mittragen würden.
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