Berlin In der Debatte um die allgemeine Impfpflicht wächst der Druck auf die Ampelregierung, einen Zeitplan vorzulegen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kritisierte die absehbare Verzögerung. Die Ministerpräsidenten hätten die Bundesregierung und den Bundestag schon vor Weihnachten aufgefordert, einen Zeitplan vorzulegen, sagte Kretschmann am Dienstag in Stuttgart.
„Das ist nicht erfolgt bisher. Ich bin mit dem ganzen Verfahren unzufrieden.“ Er sehe nicht, dass die Debatte über die Impfpflicht im Bundestag zügig in die Gänge komme. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) werde seine Ankündigung, die Impfpflicht Ende Februar einzuführen, nicht halten können. „Das sehe ich als nicht mehr realistisch an. Wir verlieren sehr viel Zeit“, monierte Kretschmann.
Bund und Länder wollten ursprünglich mit einer raschen Entscheidung zur Impfpflicht die Omikron-Welle abflachen, bevor diese Deutschland mit voller Wucht wie andere Staaten trifft. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte noch im November davon gesprochen, dass er sich die Impfpflicht bis Anfang Februar oder März wünsche. Für diese Zeit erwarten Experten auch den Höhepunkt der Omikron-Welle.
Maßnahmen wie Zugangs- und Kontaktbeschränkungen tragen derzeit dazu bei, die Verbreitung der hochansteckenden Omikron-Variante zu verzögern. Zwar sind die Infektionszahlen weiterhin niedriger als in anderen europäischen Ländern, sie steigen allerdings wieder stark an. Das nun von der Ampel ins Auge gefasste Verfahren macht eine rasche Entscheidung hingegen unwahrscheinlich. Allenfalls könne die Impfpflicht auf den Pandemieverlauf im Herbst einen Einfluss haben, heißt es nun.
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Union will keinen eigenen Antrag vorlegen
Über ein mögliches Gesetz soll der Bundestag voraussichtlich in freier Abstimmung ohne Fraktionsdisziplin entscheiden. Am Wochenende hatten Politiker von SPD und Grünen im Bund Erwartungen gedämpft, es könne einen raschen Beschluss im Bundestag geben. Kretschmann sagte, der Bundestag habe nun eben das Verfahren gewählt, die Impfpflicht über Gruppenanträge ins Parlament einzubringen. „Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, dass das so lange dauert. Das Virus nimmt darauf keine Rücksicht.“
Auch die oppositionelle Union drängte die Ampelparteien zu einer raschen Lösung, will aber keinen eigenen Antrag vorlegen. Die Fraktion arbeite aktuell nicht an einem solchen Gesetzentwurf und auch nicht an einem Antrag für den Bundestag, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei (CDU). Er wies damit entsprechende anderslautende Äußerungen des CSU-Gesundheitspolitikers Stephan Pilsinger zurück, der einen Antrag der Union für eine allgemeine Impfpflicht ab 50 Jahren ankündigte.
Frei betonte zudem, die Unionsfraktion werde nicht die Arbeit der Regierung übernehmen. „Wenn die Bundesregierung der Auffassung ist, dass eine Impfpflicht ein Mittel ist, aus dieser Pandemie herauszukommen, dann muss sie dafür auch einen Gesetzesvorschlag vorlegen.“ Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) bot der Ampel-Regierung allerdings Gespräche über eine Impfpflicht an.
Die FDP wies das Drängen auf eine schnelle Impfpflicht hingegen zurück. „Wir haben nicht unbegrenzt Zeit, beim Thema Impfpflicht zu entscheiden. Aber wir haben eine gewisse Zeit“, sagte der Fraktionsvorsitzende Christian Dürr am Dienstag in Berlin. Ihm sei eine „fundierte Entscheidung“ wichtiger. Dürr betonte: „Das Ganze ist aus unserer Sicht eine medizinethische Frage und keine parteipolitische.“ Er selbst habe noch keine feste Place.
Er wolle sich nicht auf eine bestimmte Sitzungswoche für eine Abstimmung festlegen lassen, sagte Dürr. Aber: „Wenn man zu einer Entscheidung im ersten Quartal käme, dann sehe ich gar kein Drawback, das so weit umzusetzen, dass es im Herbst Wirksamkeit hätte. Das halte ich für vollkommen machbar.“ Der FDP-Fraktionschef betonte, dass eine Impfpflicht ohnehin kein Mittel gegen die laufende Omikron-Welle sei, weil sie dafür in jedem Fall zu spät käme.
Österreich als „mahnendes Beispiel“
Der bislang einzige Antrag zur allgemeinen Impfpflicht aus den Reihen der Ampel kommt von den Liberalen und spricht sich gegen die Regelung aus. Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erarbeitet nach eigenen Angaben als Bundestagsabgeordneter einen Antrag.
Die Gesundheitsministerinnen und -minister forderten eine rasche Lösung. „Wir haben die Bitte, dass es möglichst schnell geht, wir verlieren hier notwendige Zeit“, sagte die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz und Ministerin in Sachsen-Anhalt, Petra Grimm-Benne (SPD), nach einer Schaltkonferenz des Gremiums am Montagabend. Unterschiedliche Positionen gebe es noch in der Frage, ob man ein Impfregister einführen solle.
Die Grünen-Fraktionsvizin Maria Klein-Schmeink sprach sich allerdings dagegen aus, die allgemeine Impfpflicht an ein solches Register zu knüpfen. „Ich persönlich plädiere für einen Weg bei der allgemeinen Impfpflicht, der möglichst wenig Hürden aufstellt“, sagte Klein-Schmeink dem Handelsblatt. „Eine solche Hürde wäre ein Impfregister.“ Die Erfahrungen in Österreich seien dafür „durchaus ein mahnendes Beispiel“. Ein Impfregister sei technisch sehr aufwendig und gleichzeitig ein sehr langwieriger Prozess.
Österreich plant, die allgemeine Impfpflicht Anfang Februar einzuführen. Das Gesetzesvorhaben hatte allerdings eine Flut an kritischen Stellungnahmen hervorgerufen. „Außerdem halte ich eine Impfpflicht ab dem Erwachsenenalter für sinnvoll, die mit eher niedrigschwelligen Sanktionen verbunden ist“, sagte Klein-Schmeink.
„Es geht nicht um einen Impfzwang, wo jemand körperlich zur Impfung gezwungen wird oder hohe Strafen verhängt werden.“ Die Nicht-Einhaltung könne beispielsweise über ein Bußgeld geahndet werden. „Wenig Hoffnung habe ich, dass eine Ausweitung der berufsbezogenen Impfpflicht – etwa auf Lehrer, die Feuerwehr und Polizei – deutlich schneller umzusetzen ist als die allgemeine Impfpflicht.“
Derweil sprach sich eine große Mehrheit der Bevölkerung für eine allgemeine Impfpflicht aus. 70 Prozent der Bundesbürger sind dafür, ergab eine Umfrage von RTL/N-TV. Dies entspricht in etwa der Quote der vollständig Geimpften. In Deutschland haben 72 Prozent der Menschen eine zweite Impfung erhalten, 43,5 gelten als „geboostert“.
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