Frankfurt Von der Mangelsituation zum Überfluss – dieser Wandel hat sich im Laufe der vergangenen Monate auf dem Markt für Covid-Impfstoffe vollzogen. Während die Produktionskapazität und die Zahl der zugelassenen Vakzine weiter wachsen, hat die Nachfrage nach den Vakzinen inzwischen ihren Zenit überschritten.
Zwar besteht insbesondere in vielen afrikanischen Ländern noch erheblicher Nachholbedarf bei den Impfquoten. Weltweit dagegen ist die Zahl der verabreichten Covid-Impfungen seit drei Monaten klar rückläufig.
Es herrscht damit zunehmend Gedränge auf einem schrumpfenden Markt. Vor allem für die Nachzügler in der Impfstoff-Entwicklung erscheint es damit zusehends schwieriger, kommerziell noch eine größere Rolle zu spielen. Das gilt umso mehr, als die führenden Anbieter Pfizer, Biontech und Moderna den Bedarf in den einkommensstarken Industrieländern bereits mit umfangreichen Lieferverträgen für ihre mRNA-basierten Impfstoffe abgedeckt haben.
Insgesamt haben diese Firmen für 2022 bereits Aufträge im Volumen von mehr als drei Milliarden Dosen beziehungsweise mehr als 50 Milliarden Greenback fest in den Büchern.
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Dessen ungeachtet ist Forschungsaktivität auf dem Gebiet nach wie vor erheblich. Die WHO listet in ihrer jüngsten Übersicht die Rekordzahl von insgesamt 344 Covid-Impfstoff-Projekten auf, davon knapp 150 in klinischer Entwicklung.
Offiziell zugelassen sind weltweit inzwischen rund 30 Covid-Vakzine, ein Großteil davon allerdings nur in einzelnen oder ganz wenigen Ländern. Dazu gehören etwa Impfstoffe aus Kuba, dem Iran, Kasachstan und eine Reihe von chinesischen Covid-Impfstoffen.
In Kanada erhielt zuletzt ein von der Biotechfirma Medicago und Glaxo-Smithkline entwickelter Impfstoff eine erste Zulassung. Dieses Produkt repräsentiert wissenschaftlich einen Durchbruch als erstes zugelassenes Vakzin, das mithilfe genmodifizierter Pflanzen hergestellt wird.
Dennoch erscheint es fraglich, ob der Impfstoff, der in klinischen Studien einen Wirkungsgrad von rund 70 Prozent zeigte, über Kanada hinaus eine Rolle spielen kann. Bisher hat das kanadische Unternehmen, das mehrheitlich zum japanischen Pharmahersteller Mitsubishi Tanabe gehört, weder in den USA noch in Europa Zulassungsanträge gestellt.
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Eine erste Zulassung konnte jüngst auch die französische Valneva für ihren Covid-Impfstoff auf Foundation inaktivierter Viren verbuchen, allerdings nur in Bahrein. Bei der europäischen Arzneimittelagentur Ema dagegen befindet sich das Valneva-Produkt weiterhin im rollierenden Zulassungsverfahren, ebenso wie der proteinbasierte Impfstoff von Sanofi und GSK sowie die Impfstoffe der chinesischen Sinovac und des russischen Gamaleya-Instituts.
Wie mühsam es ist, im Covid-Impfstoffgeschäft noch Fuß zu fassen, zeigen unterdessen die bisherigen Erfahrungen mit dem Impfstoff der US-Firma Novavax, der Ende des vergangenen Jahres in der EU zugelassen wurde und seit Februar ausgeliefert wird. Von diesem ersten Protein-basierten Covid-Impfstoff erhofften sich Gesundheitspolitiker eine höhere Akzeptanz bei bisherigen Impfskeptikern und damit eine deutliche Steigerung der Impfquoten.
Impfstoff mit langanhaltender Wirkung fehlt weiterhin
In den ersten dreieinhalb Wochen seit Markteinführung Ende Februar wurden indessen in Deutschland nach Daten des Bundesgesundheitsministeriums von 1,5 Millionen gelieferten Dosen bisher nur rund 53.000 Dosen verimpft. Im selben Zeitraum erhielten hierzulande 1,6 Millionen Menschen das Vakzin von Biontech und mehr als 250.000 das von Moderna.
Die Herausforderung für die Nachzügler besteht zum einen darin, echte klinische Vorteile gegenüber den inzwischen fest etablierten mRNA-Vakzinen zu zeigen, für die inzwischen auch umfangreiche Wirksamkeitsdaten aus der Praxis vorliegen. Diese zeigen zwar, dass die Schutzwirkung der mRNA-Impfstoffe gegenüber Infektionen relativ schnell nachlässt, insbesondere gegenüber der Omikron-Variante. Aber insgesamt bieten sie weiterhin relativ soliden Schutz vor schweren Erkrankungen und Todesfällen.
Die Newcomer-Produkte können demgegenüber keine überlegene Wirkung nachweisen. Denn klinisch getestet wurden sie ebenfalls noch in einer Section, als Omikron noch nicht vorherrschte. Eine stärkere Verschiebung von Marktanteilen wäre nach Einschätzung von Experten erst dann in Sicht, wenn es gelingen würde, Impfstoffe mit universeller und langanhaltender Wirkung gegen Coronaviren zu entwickeln. Solche Projekte befinden sich indessen noch in den frühen Phasen der Forschung und dürften noch Jahre benötigen.
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Zum anderen stehen die Nachzügler auch vor der Herausforderung, dass der Markt insgesamt schrumpft – ungeachtet der weiterhin hohen Infektionsraten. In Deutschland zum Beispiel bewegte sich die Zahl der verabreichten Corona-Impfungen in den letzten vier Wochen nur noch bei rund 2,2 Millionen, gegenüber mehr als neun Millionen im Januar.
Auch weltweit ist der Pattern rückläufig, nachdem inzwischen insgesamt etwa 11,5 Milliarden Dosen verabreicht wurden. Die Experten der britischen Analysefirma Airfinity, die den Covid-Markt besonders intensiv verfolgt, gehen davon aus, dass international aktuell noch etwa 150 Millionen Dosen professional Woche verimpft werden, gegenüber mehr als 250 Millionen im vergangenen Oktober und November.
Auch die Produktionsmengen der Hersteller haben sich nach Schätzung von Airfinity bereits verringert, auf weniger als 200 Millionen Dosen professional Woche, gegenüber mehr als 300 Millionen im zweiten Halbjahr 2021.
Bedarf von bis zu 4,4 Milliarden Dosen im Jahr
Entscheidend für das längerfristige Potenzial sowohl der etablierten Anbieter als auch der Newcomer wird es sein, in welcher Frequenz und bei welchem Personenkreis künftig Booster-Impfungen eingesetzt werden. Die Unsicherheit in dieser Hinsicht ist nach wie vor erheblich.
Analysten von Airfinity sehen das wahrscheinlichste Szenario derzeit darin, dass zumindest in den einkommensstärkeren Ländern zusätzliche Auffrischimpfungen für Personen ab 50 oder 65 Jahren empfohlen werden. Der künftige jährliche Bedarf könnte damit bei 2,2 bis 4,4 Milliarden Dosen liegen.
Aber auch in diesem Umfeld verfügen die etablierten Marktführer Pfizer/Biontech und Moderna über die günstigste Ausgangsposition. Beide Firmen haben bei der US-Arzneimittelbehörde FDA inzwischen Zulassungen für eine zweite Boosterimpfung mit ihren etablierten Vakzinen beantragt und testen darüber hinaus bereits Omikron-spezifische Varianten sowie verschiedene Kombinationsprodukte in klinischen Studien.
Pfizer/Biontech und Moderna sind nach Beobachtung von Airfinity aktuell auch die einzigen Covid-Impfstoff-Anbieter, die noch neue Lieferkontrakte abschließen. Alle anderen Anbieter und Entwickler dagegen konnten seit Mitte 2021 praktisch keine neuen Offers mehr vereinbaren.
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