So schmerzhaft uns die Covid-19-Pandemie die Zerbrechlichkeit von weltweiten Lieferketten vor Augen geführt hat – dass derzeit nur knapp zehn Prozent der international produzierten Chips aus der Europäischen Union stammen, liegt nicht am Coronavirus.
Denn schon seit den 1990er-Jahren gibt es eine ständige Abwanderung von Produktionskapazitäten nach Asien. Das hat viele Gründe, die nicht alle mit der Pandemie zu tun haben – etwa die gestiegenen Kosten für die Herstellung von Halbleitern und das vergleichsweise niedrige Lohnniveau in Asien. Hinzu kommen dort erhebliche staatliche Subventionen.
Im September 2021 stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den „EU Chips Act“ vor. Der Gesetzentwurf soll unter anderem als Rahmenwerk nationale Strategien der Mitgliedstaaten zusammenfassen. Laut EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton soll der Chips Act auf drei Säulen stehen: Forschung & Entwicklung, Ausbau von europäischen Produktionskapazitäten sowie internationale Zusammenarbeit und Partnerschaften.
Aus Sicht der Halbleiterindustrie ist der Entwurf gelungen. Denn es geht bei der Fertigung von Chips letztlich nicht nur um die Befriedigung der Nachfrage, sondern auch um geostrategische Interessen. Chips sind heute das Herzstück beinahe sämtlicher Produkte, von der Industrie über Transport und Kommunikation bis hin zum privaten Haushalt.
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Angesichts des zunehmenden Wettbewerbs um die Führung bei Technologien wie Künstlicher Intelligenz (KI) oder dem Web der Dinge sollte die EU die Anfälligkeit der Lieferkette durch den Ausbau eigener Fähigkeiten und Kapazitäten zur Herstellung fortschrittlicher Halbleiter verringern – im Interesse der eigenen strategischen Souveränität.
Deutschland muss den EU-Plänen mehr Rückhalt geben
Hinzu kommt nach Einschätzung des European Middle for Digital Competitiveness (ECDC) ein weiterer Faktor: Wie Regierungen den digitalen Wandel ihrer Volkswirtschaften gestalten, wird „maßgeblich darüber entscheiden, wie wettbewerbsfähig und wohlhabend ihre Länder in den kommenden Jahrzehnten sein werden“. Einer ECDC-Studie zufolge ist Deutschland mit Blick auf seine digitale Wettbewerbsfähigkeit europaweit inzwischen auf den vorletzten Platz abgerutscht.
Schon wegen seiner Bedeutung als stärkste Volkswirtschaft der Europäischen Union muss Deutschland dringend und verstärkt auf digitale Souveränität setzen, um den ehrgeizigen Plänen der EU-Kommission mehr Rückhalt geben zu können. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung gibt da durchaus Anlass zur Hoffnung – ebenso wie das Vorgehen des Wirtschaftsministeriums, das bereits eine Vielzahl von Vorhaben im Bereich Mikroelektronik ausgewählt hat, die im Rahmen eines europäischen Projekts gefördert werden sollen.
Den Fokus auf offene Requirements, Interoperabilität und Portabilität zu legen ist der richtige Ansatz, um auf den Weg zur Souveränität Fortschritte zu erzielen. Erforderlich ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass die EU die finanzielle Unterstützung für Schlüsseltechnologien wie KI, Quantencomputer, Cybersicherheit und Robotik verstärkt. Diese Technologien haben alle eines gemeinsam: Sie basieren auf moderner Halbleitertechnologie.
Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Kearney machen hochmoderne Chips heute schon intestine 20 Prozent des gesamten EU-Chipbedarfs aus – insgesamt zahlten in der EU ansässige Unternehmen für den Kauf solcher Chips zuletzt 44 Milliarden Euro im Jahr. Es geht additionally um einen riesigen Markt, zumal der Anteil der hochmodernen Halbleiter bis zum Jahr 2030 auf über 40 Prozent anwachsen und der Gesamtbedarf an Chips sich quick verdoppeln dürfte.
Das Förderinstrumentarium ausweiten
Die EU hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 ein Fünftel der weltweiten Chipproduktion in ihren 27 Mitgliedsländern fertigen zu wollen. Dies wäre im Vergleich zu heute immerhin eine Verdoppelung. Um die angestrebte Massenfertigung auch tatsächlich zu verwirklichen, ist es nach Einschätzung des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektroindustrie nötig, das Förderinstrumentarium in dem Staatenverbund auszuweiten. Dabei geht es um für Halbleiterprojekte bedeutsame Initiativen wie das Necessary Venture of Frequent European Curiosity oder Horizon Europe.
Allerdings muss es dem Zentralverband zufolge auch finanzielle Unterstützung für Unternehmen geben, die ihre Halbleiter-Produktionskapazitäten ausbauen und neue Werke errichten wollen. Andernfalls werde es schwer, das von der EU-Kommission vorgegebene Ziel zu erreichen. Die bislang fehlende Förderung in diesem Bereich ist eine ernstzunehmende Lücke in der europäischen Strategie. Sie muss geschlossen werden, damit die Mitgliedstaaten tatsächlich von kurzen, stabilen Lieferketten und damit größerer Unabhängigkeit profitieren können.
Angesichts der zu bewältigenden Aufgaben sind der geplante EU Chips Act ebenso wie der Digitale Kompass 2030, bei dem es nicht zuletzt um den Aufbau sicherer und leistungsfähiger Infrastrukturen geht, so wichtig wie nie zuvor. Während der Digitale Kompass grundlegende Weichen stellt, geht der EU Chips Act einen Schritt weiter und spezifiziert die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Halbleiterproduktion in der EU.
Neben Zielbeschreibungen und den nötigen Investitionen steckt das Gesetzesvorhaben auch einen Rahmen für internationale Zusammenarbeit ab. So setzt die Produktion fortschrittlicher Halbleiter eine ganze Reihe von Ausgangsmaterialien wie Sand und dem darin enthaltenen Silizium voraus. Bei aller Konzentration auf eigene Fähigkeiten werden internationale Lieferketten deshalb auch in Zukunft unverzichtbar sein.
Berufliche Attraktivität der Branche fördern
Darüber hinaus geht es aber auch um die notwendige Forschungsstrategie: Eine erfolgreiche Grundlagenforschung ist für die Produktion künftiger Halbleitergenerationen unabdingbar. Der Chips Act hebt hier unter anderem die deutsche Fraunhofer-Gesellschaft hervor. Gemeinsam mit anderen europäischen Forschungseinrichtungen und technischen Universitäten scheint Europa intestine gerüstet zu sein, um für die Chipproduktion den wissenschaftlichen Unterbau bereitzustellen.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, die berufliche Attraktivität der Halbleiterbranche zu fördern, um neue Talente und Fachkräfte gewinnen zu können. Dazu sollte auch die gezielte Kommunikation europäischer Erfolgsgeschichten beitragen. Um die erstrebte strategische Souveränität Wirklichkeit werden zu lassen, muss die EU-Kommission, aber auch die Bundesregierung, auf Leuchtturmprojekte setzen.
Nur so können sie den Anspruch auf eine technologische Führungsposition untermauern. Kombiniert man die kurzen Wege einer sich weiter vertiefenden regionalen Halbleiterproduktion mit Durchhaltevermögen, eigenen Investitionen und internationalen Kooperationen, wäre dies ein ideales Umfeld für erfolgreiche Digitalisierungsvorhaben, wie sie der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung vorsieht.
Die Autorin: Christin Eisenschmid ist Deutschlandchefin des US-amerikanischen Halbleiterherstellers Intel.
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