Militärstrategische Fehleinschätzungen, völlige Unterschätzung des westlichen Zusammenhalts und dann noch Sanktionen, die zu einem Zusammenbruch der Wirtschaft führen und dem Land über Jahre hinweg großen Schaden zufügen werden: Jeder rational zugängliche Politiker würde in einer solchen Lage Konsequenzen ziehen und eine Kurskorrektur zumindest in Erwägung ziehen. Nicht so Wladimir Putin.
Im Gegenteil: Der russische Präsident marschiert noch schneller, noch entschlossener und noch aggressiver in die eingeschlagene Richtung – innenpolitisch zunehmend repressiv, jetzt sogar mit einem Mediengesetz, das totalitäre Züge trägt. Außenpolitisch zunehmend brutal, sodass er offenbar nicht davor zurückschreckt, zuvor vereinbarte Flüchtlingskorridore zu bombardieren.
Was treibt diesen Mann? Wo stoppt er? Und vor allem: Wie ließe er sich noch stoppen? Mit Ausnahme Nordkoreas warfare wahrscheinlich nie ein Land so isoliert wie Russland derzeit. Eigentlich muss einem angst und bange werden bei dem Gedanken, Putin könnte sich so in die Enge getrieben fühlen, dass er nichts mehr zu verlieren hat.
Für westliche Regierungschefs jedenfalls ist der russische Präsident nicht mehr zugänglich. Auch ein Politbüro wie zu Zeiten Chruschtschows, Breschnews oder Andropows, das den Kreml-Alleinherrscher einhegen oder notfalls austauschen könnte, gibt es nicht mehr. Und für die Hoffnung, dass das revolutionserprobte russische Volk Putin zu Fall bringen könnte, gibt es keine ernst zu nehmenden Hinweise.
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Die einzige Macht, die in Moskau wahrscheinlich nachhaltig etwas bewirken könnte, ist und bleibt China. Doch Peking laviert, will die Invasion nicht einmal beim Namen nennen und sieht die Ursache für den Krieg vor allem in der Nato-Osterweiterung. Immerhin hat China bei der UN-Abstimmung nicht gegen eine Verurteilung des russischen Angriffskriegs gestimmt, sondern sich enthalten – was schon schlimm genug ist.
Xi Jinping muss Entscheidung treffen
Doch wie lange kann Peking diese unentschlossene und selbsttäuschende Haltung noch aufrechterhalten? Will Xi Jinping sich wirklich zum Komplizen eines nicht nur im Westen zunehmend geächteten Kriegsherrn machen, der sich völlig verkalkuliert hat?
Am Ende wird der allmächtige Xi sich entscheiden müssen, auf welcher Seite der Geschichte er Platz nehmen möchte. Dieser absurde Krieg zwingt jeden, Place zu beziehen – auch Peking..
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Mit dem jetzigen Beistand für Putin, am Montag erst wieder dokumentiert durch Chinas Außenminister, verstrickt das Land sich zunehmend in außenpolitische Widersprüche. Es will an seiner strategischen Partnerschaft mit Russland festhalten. Es will die wichtigste Maxime seiner Außenpolitik unter keinen Umständen aufgeben: die unbedingte Souveränität und territoriale Integrität aller Länder. Und es will die Kollateralschäden der Wirtschaftssanktionen gegen Russland für die ohnehin geschwächte chinesische Volkswirtschaft möglichst gering halten.
Das passt nicht zusammen. Ja, auch China tritt nach außen imperialistisch auf, indem es ökonomische Abhängigkeiten schafft und wirtschaftlichen Druck ausübt. Doch militärische Gewalt als legitime Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln – wie Putin sie zu etablieren gedenkt – ist nicht die Sache Chinas.
Vor allem aber stellen die neue Geschlossenheit des Westens und seine umfassenden Sanktionen, für die es in der modernen Wirtschaftsgeschichte keinen vergleichbaren Fall gibt, auch für Peking eine neue Lage dar.
Forderung nach Sanktionen gegen China
In Washington gibt es bereits erste Stimmen, die auch Sanktionen gegen China wegen seiner Unterstützung Moskaus fordern. Wer ein Land unterstützt, das offen mit dem Einsatz von Atomwaffen in Europa droht, sollte sich die Frage stellen lassen, ob er noch Wirtschaftspartner sein will oder darf.
China, dessen Wirtschaftskraft die russische um ein Zehnfaches übersteigt, ist mit der westlichen Welt verflochten wie kein anderes asiatisches Land. Allein in die USA und die EU exportiert China Waren im Wert von 1,1 Billionen Greenback gegenüber knapp 67 Milliarden nach Russland. Nur zwei Prozent des chinesischen Handels fallen auf den großen Nachbarn im Norden.
Und vor allem: Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde erfährt gerade am Beispiel Russlands, dessen Devisenreserven der Westen einfrieren ließ, seine eigene Verletzlichkeit. Die Volksrepublik kann gar nicht anders, als ihre gigantischen Vermögenswerte in der westlichen Kapitalmarkthemisphäre zu parken. In Bitcoins wird China seine Reserven kaum investieren wollen.
Für China steht additionally ungleich mehr auf dem Spiel. Die Wirtschaftssupermacht betrachtet sich zwar als Systemrivalen des Westens – und will (sicherlich auch zu Recht) gehörigen Einfluss auf die internationale Ordnung nehmen. Dieses System aber mutwillig zu zerstören, wie Putin es anstrebt, liegt nicht im Interesse Chinas.
Im Interesse Chinas liegt – im Gegenteil – eine Emanzipation von Russland, das in Peking immer noch als Geburtshelfer der Volksrepublik vor knapp 72 Jahren gesehen wird. Denn es geht hier nicht nur um das „normative Projekt des Westens“, es geht auch um eine regelbasierte weltwirtschaftliche Ordnung, die China genauso braucht wie Europa oder die USA. Auch einen militärischen Übergriff auf Taiwan übrigens, den so mancher Politologe für möglich hält, dürften die Chinesen im Lichte des Ukrainedesasters Russlands einer Neubewertung unterziehen.
Für den Westen gilt: Anstatt im Kreml ein- und auszugehen und die Drähte heiß laufen zu lassen, sollten westliche Politiker sich in Peking Gehör verschaffen.
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