Mehr als 800 HSV-Fans sind nach dem Auswärtsspiel in Rostock am Samstag stundenlang festgehalten worden. Jetzt machen sie der Polizei schwere Vorwürfe.
Fast sieben Stunden lang saßen rund 1.000 Menschen am Samstagabend in Bergedorf in einem Zug fest. Die Bundespolizei suchte nach verdächtigen HSV-Fans, die sich im September 2023 in Mannheim mit BVB-Anhängern geprügelt haben sollen. Nun, auf dem Rückweg vom Auswärtsspiel bei Hansa Rostock, war offenbar ein günstiger Zeitpunkt für eine große Kontrollaktion gekommen. In Rostock habe es am Spieltag außerdem laut Mitteilung der Bundespolizei „tätliche Angriffe von Anhängern des Hamburger SV auf Polizeibeamte“ gegeben.
Um 19.45 Uhr endete die Fahrt des RE1 in Bergedorf, gegen 20.10 Uhr begannen die ersten Personenkontrollen. „Die Polizei war sehr aggressiv gegenüber den HSV-Fans, von Anfang an wurde sehr wenig kommuniziert“, berichtete ein Anhänger der Hamburger, der in dem gestoppten Zug saß, im Gespräch mit t-online. Nach und nach seien Gerüchte aufgekommen, dass es eine große Polizeisperre geben soll. „Dann hieß es: ‚Der Zug hält hier und fährt nicht mehr weiter. Alle werden jetzt kontrolliert.'“
„Da wusste die rechte Hand nicht, was die linke macht“
Rund 1.000 Menschen saßen in der Regionalbahn, 855 davon wurden zum HSV gezählt. Die Beamten seien mehr oder weniger planlos und willkürlich vorgegangen, sagte der Fan, der anonym bleiben möchte. „Da wusste die rechte Hand nicht, was die linke macht. Ein Polizist schubste mich weg und sagte, dass ich zurück in die Reihe gehen soll. Ich sagte nur, dass sein Kollege mich gerade hierher geschickt hat.“
Wer Glück hatte, wurde früh kontrolliert und durfte den Bahnhof verlassen. Wer Pech hatte, war erst als Nummer 855 dran – und musste bis 2.20 Uhr am sehr frühen Sonntagmorgen ausharren. Auch Frauen wurden kontrolliert, obwohl nur Männer gesucht wurden. Doch diese Information sei gar nicht erst zu den Beamten vor Ort durchgedrungen. Ein junges Mädchen wollte offenbar einige Stationen vorher aussteigen, sei aber daran gehindert worden – als Begründung diente demnach die anstehende Kontrolle in Bergedorf.
Im Zug selbst sei die Lage immer schwieriger geworden. „Es war warm, die Leute haben geschrien, sie wollten Wasser. Einer sagte, es würden Sanitäter benötigt, aber die Polizei hat gesagt ‚Gibt’s nicht'“. Mehrere Menschen sollen Kreislaufprobleme bekommen haben.
Weitere Betroffene berichteten, dass ihnen die Toilettengänge verwehrt worden seien oder dass diese nur unter Aufsicht möglich gewesen seien. Getränke sollen erst nach 90 Minuten angekommen sein – und erst, nachdem die Fanhilfe Nordtribüne der HSV-Anhänger einen Anwalt hinzugezogen hatte. Die Bundespolizei hat auf Anfrage von t-online eine Erklärung für Montagabend angekündigt.
HSV-Fans kündigen rechtliche Schritte gegen Polizei an
Die Fanhilfe und der HSV Supporters Club kündigten am Sonntag an, rechtliche Schritte gegen die Einsatzleitung einzuleiten. „Der gesamte Einsatz war willkürlich, unverhältnismäßig und rechtswidrig.“ Betroffene sollen Gedächtnisprotokolle anfertigen und sich bei der Fanhilfe melden.
Die Linksfraktion will nun eine Kleine Anfrage zu dem Vorgehen der Polizei beim Senat einreichen. „Der ganze Einsatz wirft ernstliche Fragen nach der Verhältnismäßigkeit auf“, sagte Cansu Özdemir, justizpolitische Sprecherin der Linksfraktion. „Wenn über 850 Fans für einige wenige Verdächtigte stundenlang kontrolliert werden, macht das den Eindruck, als würden die Fans in Kollektivhaft genommen. Es ist absolut unangemessen, Personen in polizeilicher Obhut über Stunden ohne Toilettenmöglichkeiten einzusperren und ihnen in einem überhitzten Zug die Versorgung mit Trinkwasser selber zu überlassen“, sagte Özdemir. Der Einsatz müsse dringend politisch und rechtlich aufgearbeitet werden, forderte sie.
„Das stundenlange Aufhalten eines öffentlich zugänglichen Regionalzuges mit 1.000 Menschen an Bord wirkt unangemessen“, teilte auch Sina Imhof, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, mit. „Die Maßnahme der Polizei, die auch zahlreiche Minderjährige und Frauen betroffen hat, scheint nicht ausreichend durchdacht gewesen zu sein.“