Das Konzept der EU soll dem Impfstoff-Einkauf in der Corona-Pandemie folgen.
(Foto: dpa)
Brüssel Die EU-Kommission treibt Pläne für eine gemeinsame europäische Beschaffung von Erdgas voran. Mit einem einheitlichen Einkaufskonzept steigere Europa seine Verhandlungsmacht, sagte Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Freitag beim EU-Gipfel in Brüssel. Analog zur Bestellung von Impfstoffen in der Corona-Pandemie schlägt die Kommission vor, europäisch geeint auf den Energiemärkten aufzutreten.
Hintergrund sind Sorgen, dass die EU-Staaten einander aus Angst vor Versorgungsengpässen knappe Ressourcen wegschnappen. „Anstatt uns gegenseitig zu überbieten und die Preise in die Höhe zu treiben, sollten wir unser Gewicht zusammen in die Waagschale legen“, mahnte von der Leyen.
Dafür will die Kommissionschefin eine „EU-Energieplattform“ schaffen, über die Lieferverträge für Flüssiggas (LNG) und Pipelinegas ausgehandelt werden sollen. „Wir bündeln unserer Nachfrage und wenden uns an internationale Accomplice“, skizzierte von der Leyen ihr Konzept. „Parallel dazu nutzen wir Speicheranlagen in einigen Mitgliedstaaten zum Nutzen aller.“
Die russische Aggression gegen die Ukraine hat Europas Energiepolitik über den Haufen geworfen. Jahrelang wurde in Brüssel über die problematische Abhängigkeit von Russland diskutiert und eine „Diversifizierung“ von Bezugsquellen angemahnt, getan hat sich kaum etwas.
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Gerade Deutschland vertraute blind auf die über Jahrzehnte gewachsene „Energiepartnerschaft“ mit Moskau. Jetzt hat die blutige Invasion die Phantasm zerstört, dass Russland ein verlässlicher Rohstofflieferant ist.
Die Bundesregierung bemüht sich fieberhaft, russisches Fuel zu ersetzen. Einer legt sich dabei besonders ins Zeug: Wirtschaftsminister Robert Habeck. In den vergangenen Wochen struggle der Grünen-Politiker in den USA, in Norwegen und in Katar, um der deutschen Energiewirtschaft zusätzliche Gaslieferungen zu sichern. Das Bundeswirtschaftsministerium ist sogar dazu übergegangen, selbst LNG zu kaufen und in Gasspeichern einzulagern.
Dabei tritt Deutschland jedoch faktisch in Konkurrenz zu Ländern wie Italien, die das gleiche Ziel verfolgen. Denn die auf dem Weltmarkt verfügbaren Gasreserven sind knapp.
In Brüssel wächst deshalb die Sorge davor, dass die Mitgliedsstaaten in einen Energie-Nationalismus verfallen, der am Ende allen Europäern schadet. Habeck erweckte mit seiner Einkaufstour besonderen Argwohn. „Wenn die Deutschen einen Alleingang starten, setzt das die europäische Solidarität aufs Spiel“, schimpfte ein EU-Diplomat im Handelsblatt zuletzt. Schon werden Vergleiche zur ersten Section der Coronakrise gezogen, als sich die Europäer gegenseitig Schutzkleidung, Masken und Ventilatoren streitig machten.
„Taskforce“ mit Versorgern und Mitgliedsstaaten geplant
Dem Reflex der Regierungen, zunächst nur an die nationalen Bedürfnisse zu denken, will die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag für eine Beschaffungsplattform begegnen. Die Particulars sind allerdings noch offen. Geplant ist, eine „Taskforce“ zu bilden, bei der Versorger und Mitgliedstaaten mitreden dürfen.
Für die Taskforce geht es auch darum sicherzustellen, dass vorhandene Fuel-Infrastruktur optimum genutzt wird. Denn die Anlandekapazitäten für das mit Tankschiffen transportierte LNG sind in Europa begrenzt. In Spanien etwa gibt es viele geeignete Häfen, doch das dortige Gasnetz ist unzureichend mit den anderen Netzen der EU verbunden.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bestätigte zum Abschluss des Brüsseler Gipfels, dass die EU an einem Ausbau der Infrastruktur arbeite, „um die Mengen dorthin zu schieben, wo sie gebraucht werden“. Auch Deutschland hat hierbei noch einiges zu tun. Bisher verfügt die Bundesrepublik über kein einziges Hafenterminal, an dem LNG angelandet werden könnte. Eine Tatsache, die in anderen EU-Ländern die Verärgerung über die die deutschen Gaseinkäufe noch verstärkt: Deutschland decke sich auf dem Weltmarkt ein, verließe sich aber auf die Hafenanlagen seiner Nachbarn, heißt es hinter vorgehaltener Hand.
Der Kanzler betonte hingegen, dass vom EU-Gipfel ein „Zeichen der Geschlossenheit“ ausgegangen sei. Scholz vermied es, sich eindeutig hinter die Pläne der Kommissionschefin zu stellen. Er könne sich eine „freiwillige Kooperation“ bei der Gasbeschaffung vorstellen, sagte er. So vereinbarten es die EU-Staaten auch in der Gipfelerklärung. Scholz wies darauf hin, eine gemeinsame Einkaufsplattform „nicht ganz einfach“ zu organisieren sei, weil Fuel-Geschäfte primär Sache privatwirtschaftlicher Akteure seien.
Habeck bemühte sich unterdessen, den Vorwurf des „Energie-Nationalismus“ zu entkräften. Es bestehe in der westlichen Staatengemeinschaft „große Einigkeit“ über das Ziel, sich von russischen Energielieferungen unabhängig zu machen, um dem russischen Präsidenten Putin „das Handwerk zu legen“, sagte der Wirtschaftsminister am Freitag in Berlin. Es gebe einen regelmäßigen Austausch mit den westlichen Partnern.
Gleichzeitig sei es aber sinnvoll, wenn sich die Bundesregierung zusätzlich darum bemühe, neue Lieferanten zu finden. Nach Überzeugung Habecks schließt ein europäisch abgestimmtes Handeln individuelle Bemühungen der einzelnen Regierungen nicht aus: „Man muss das eine tun ohne das andere zu lassen“, sagte er.
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