Wer geglaubt oder zumindest gehofft hat, die steigenden Preise würden nicht zuletzt durch die temporär gesenkte und später wieder erhöhte Mehrwertsteuer verursacht, sieht sich geirrt. Ein rasches Ende von Teuerungsraten, die merklich über dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von zwei Prozent liegen, ist nicht in Sicht. Die Bundesregierung erwartet in ihrem Jahreswirtschaftsbericht für 2022 einen jahresdurchschnittlichen Anstieg des Preisniveaus von 3,3 Prozent, nach 3,1 Prozent im Vorjahr.
Die wichtigsten Ursachen für den Preisauftrieb sind vielfältig: Grund sind der Chipmangel, unterbrochene Lieferketten sowie eine wachsende globale Nachfrage nach Energie und Rohstoffen bei gleichzeitiger Angebotsverknappung durch geopolitische Spannungen.
Dies sind allesamt Gründe, gegen die weder die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung noch die Geldpolitik der EZB etwas unternehmen können. Als wichtiger Treiber kommt jedoch die politisch gewollte Verteuerung von Energie aus fossilen Brennstoffen hinzu.
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Damit soll der Ausstoß des Klimagases CO2 verringert werden, was – zumindest in Deutschland – eine breite Mehrheit befürwortet. Der Wirtschaftsweise Volker Wieland schätzt, dass die neue CO2-Abgabe zusammen mit der Verknappung von Klimazertifikaten die Verbraucherpreise vergangenes Jahr um rund ein Prozent erhöht hat.
Inflation bewegt viele Bürger
Für die Geldwertstabilität in der Euro-Zone ist seit 1999 die EZB verantwortlich, die den gesamten Währungsraum im Blick haben muss. Für nationale Probleme und politische Antworten darauf ist hingegen allein die Bundesregierung zuständig. Doch diese scheint darauf zu warten, dass die Inflation von selbst wieder schwindet. Dabei ist die Teuerung ein Thema, das viele Menschen tief bewegt. Ihre enormen Verteilungswirkungen verlangen eigentlich eine offene gesellschaftliche und politische Debatte.
Inflationsverlierer sind nicht nur die Sparer, die damaging Realzinsen auf ihr Geldvermögen hinnehmen müssen. Verlierer sind auch jene Menschen, deren Löhne oder Transfereinkommen nicht an die Teuerung gekoppelt sind – was für die große Mehrheit zutreffen dürfte.
So änderten sich die Bafög-Sätze zum Jahreswechsel nicht, und das sich am zuletzt bezogenen Lohn orientierende Arbeitslosengeld blieb ebenfalls unverändert. Die Grundsicherung wurde Anfang Januar um bescheidene 0,7 Prozent erhöht, während die Lebenshaltungskosten binnen eines Jahres um rund fünf Prozent gestiegen sind. Auch in den meisten Löhnen und Gehältern, ob tarifgebunden oder nicht, hat der Inflationsschub bislang keine Berücksichtigung gefunden.
Zu Recht wies der neue Bundesbankpräsident Joachim Nagel in seiner Antrittsrede darauf hin, Inflation habe „auch soziale Kosten“ – und diese sozialen Kosten gilt es, politisch zu diskutieren und ernst zu nehmen, gerade von einer sozialdemokratisch geführten Regierung.
Davon ist bislang wenig zu erkennen. Die Große Koalition zu Zeiten von Wolfgang Schäuble als Finanzminister verpflichtete sich immerhin, die Mehreinnahmen als Folge der „kalten Development“ den Steuerzahlern zurückzugeben. Damit sollten höhere Steuersätze verhindert werden, die auf Einkommenssteigerungen zurückzuführen sind, die lediglich die Inflation ausgleichen.
Infolge einer eklatanten Fehlprognose des Preisniveauanstiegs zum Zeitpunkt der Verabschiedung der entsprechenden Gesetzesänderung wurde der Tarif 2022 aber deutlich zu gering adjustiert.
Pläne, die so entstandenen Steuermehreinnahmen wenigstens bei der nächsten Tarifverschiebung auszugleichen, gibt es nicht. Damit verbleiben dem Staat dauerhaft und dem Grunde nach ungerechtfertigte Mehreinnahmen.
Das Gleiche gilt vom Prinzip her für die Schwellenwerte der Erbschaftsteuer. Die 20.000 Euro, die jemand von seinem Bruder steuerfrei erben kann, sind allein im vergangenen Jahr actual auf 19.400 Euro zusammengeschmolzen. Behält die Regierung recht mit ihrer Inflationsprognose, schrumpft dieser Freibetrag dieses Jahr actual auf knapp 18.800 Euro. Hier wären ebenso wie bei vielen anderen in Euro festgeschriebenen steuerlichen Grenzwerten regelmäßige Anpassungen angezeigt.
Effektive Kaufkraft von Geringverdienern schwindet
Besonders vertrackt ist der Umgang mit den politisch gewollten Preissteigerungen, die durch die Energiewende ausgelöst werden. Wie eine Tabaksteuer die Zigarettennachfrage dämpft, führt eine CO2-Steuer im Idealfall dazu, dass weniger fossile Brennstoffe genutzt werden und damit das Klima geschützt wird.
Zum Downside wird dies, wenn diese Nachfrage nicht zurückgehen kann, weil Grundbedürfnisse tangiert werden. Frieren, zeitweise im Dunkeln sitzen, dickere Pullover tragen oder kalt duschen dürften für die meisten Menschen keine Optionen sein, um den steigenden Energiepreisen zu begegnen. Da zumindest Geringverdiener, deren Sparquote bei null liegt, an anderer Stelle sparen müssen, sinkt ihre effektive Kaufkraft.
Ähnliches gilt für die von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Die Grünen) geforderten höheren Preise für Fleisch. Dies magazine bei Vegetariern sowie einigen Viehzüchtern intestine ankommen, doch für die Mehrheit der Verbraucher bedeuteten höhere Fleischpreise schlichtweg einen Wohlstandsverlust.
Hinzu kommt, dass die Politik nicht die wirklich Bedürftigen bei den unvermeidbaren Kosten des Klimaschutzes unterstützt. Nicht selten kommen grüne Subventionen zumeist der oberen Mittelschicht zugute. Für Immobilienbesitzer magazine eine Photovoltaikanlage eine rentierliche Investition sein, mit der sich höhere Strompreise leichter verkraften lassen. Einkommensschwächere Mieter haben diese Möglichkeit nicht. Und Bezieher überdurchschnittlicher Einkommen freuen sich über den großzügig subventionierten Kauf eines neuen E-Autos, während viele Durchschnittsverdiener weiter mit ihren Verbrennern zum Arbeitsplatz fahren müssen.
Politik bleibt Bürgern rasche Antwort schuldig
Die letzte Große Koalition wollte den Bürgern noch glaubhaft machen, die Dekarbonisierung sei zum Nulltarif möglich. Demgegenüber hat Vizekanzler Robert Habeck (Die Grünen) ehrlich eingeräumt, dass „anders als in Sonntagsreden behauptet (die Energiewende) nicht ohne Zumutungen abgehen“ werde. Allerdings blieb er – taktisch klug – eine Antwort schuldig, wie Geringverdiener und der finanziell unter Druck stehende Sozialstaat damit umgehen sollen. Überlegungen zur Abschaffung der EEG-Umlage oder zur Senkung der Strom- und Mehrwertsteuer auf Energie wären mögliche, aber sehr teure Advert-hoc-Maßnahmen – eine echte Strategie sind sie jedoch nicht.
Für nicht wenige Wähler eines SPD-Bundeskanzlers, dessen Partei mit dem Slogan „Soziale Politik für Dich“ warb, dürften Habecks Worte quick wie Hohn wirken. Man darf gespannt sein, welche Antworten sich Kanzler Olaf Scholz und Hubertus Heil einfallen lassen, um die gebotene Energiewende nicht an verteilungspolitischen Verwerfungen scheitern zu lassen. Ohne rasche Antworten auf die „Zumutungen“ könnte die breite Zustimmung zum Klimaschutz bald kippen.
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