Stuttgart, Düsseldorf Es battle ein unangenehmer Termin für die Beratungsgesellschaft Deloitte. Ein ehemaliger Projektleiter, dem Deloitte Ende November 2021 gekündigt hatte, erhob am Arbeitsgericht Stuttgart in der vergangenen Woche schwere Vorwürfe gegen seinen früheren Arbeitgeber. Dieser soll dem Großkunden Volkswagen mehr Arbeitsstunden in Rechnung getragen haben, als tatsächlich geleistet wurden.
Für Deloitte, eine der vier großen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften, ist schon das Aufeinandertreffen mit dem Ex-Mitarbeiter vor Gericht rufschädigend. Es geht dabei nicht allein um die Rechtmäßigkeit einer Kündigung. Vielmehr steht auch die Frage im Raum, ob Deloitte angemessen auf Hinweise zu angeblichen internen Missständen reagiert hat. Viele Unternehmen beschäftigen sich derzeit damit, wie sie mit Hinweisgebern umgehen.
Der Hintergrund im konkreten Fall: In den Jahren 2018 und 2019 battle der Kläger beim Großkunden Volkswagen in einem Projekt tätig. Der Autobauer wollte nach dem Diesel-Abgasskandal ein weltweites Compliance-Administration-System aufbauen – auch mithilfe von Deloitte. Ab März 2019 übernahm der Mann die Leitung des Projekts. Dann will er erkannt haben, dass Deloitte den eigenen Kunden hintergeht.
Beim Gütetermin im Gerichtsraum wirkte der Kläger angespannt, aber sehr motiviert, manchmal übermotiviert, als er ohne Frage des Richters auf Particulars einging. „Als ich gemerkt habe, dass bei der Abrechnung von 900 Stunden etwas absolut nicht stimmen konnte, bin ich zum projektverantwortlichen Companion von Deloitte gegangen und habe ihn über den Verdacht des schwerwiegenden Abrechnungsbetrugs zulasten von VW informiert“, sagte er.
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Daraufhin sei nichts zur Aufklärung passiert. „Ich bin nie zum Sachverhalt gefragt worden“, behauptet der Ex-Projektleiter. Stimmt nicht, heißt es von Deloitte: „Nachdem wir von diesen Hinweisen Kenntnis erhielten, haben wir eine sofortige und gründliche Untersuchung durchgeführt und festgestellt, dass die Anschuldigungen unbegründet und unwahr sind“, teilte eine Sprecherin mit.
Der Kläger will das nicht glauben – und genau nachweisen können, wie viele Arbeitsstunden abgerechnet und welche tatsächlich geleistet worden seien. Dem Vernehmen nach soll es um einen niedrigen sechsstelligen Betrag gehen. Fünf Aktenordner, einer davon leuchtend rot, zog der ehemalige Projektleiter aus zwei Pilotenkoffern. „Ich habe 25 Jahre Erfahrung und alles sauber dokumentiert“, sagt der Kläger dem Richter. Ohne sein Insiderwissen könne Deloitte die Sache gar nicht aufklären. Wie unangenehm der Inhalt für die Firma ist, dürfte sich im Verlauf des Prozesses zeigen.
Deloitte sieht arbeitsrechtliche Verstöße
Er könne in 90 Minuten den Sachverhalt so erklären, „dass jedem sachverständigen Dritten klar ist, was hier nicht gestimmt hat. Ich habe Beweise und Zeugen“, behauptete der Kläger. Statt ihn anzuhören, sei ihm aber am 30. November gekündigt worden, insgesamt viermal. Der Kläger sieht einen direkten Zusammenhang. Ein Sprecher von VW sagte, man sei über das Hinweisgebersystem darüber informiert worden und schaue sich den Fall nun an.
Der Anwalt von Deloitte wies den Vorwurf zurück, der Abrechnungsbetrug sei „nachweislich unzutreffend“. Es habe zudem Gesprächsangebote gegeben. Die Kündigung sei laut Deloitte erfolgt, weil der Ex-Mitarbeiter die Unwahrheit sage und gegen den von ihm unterzeichneten Arbeitsvertrag verstoßen habe.
Vor Gericht sprach der Deloitte-Anwalt davon, dass „höchst vertrauliche Daten wie Angebote, Gebühren und Personendaten“ entwendet worden seien. Dabei sei auch Datenmaterial gewesen, das nichts mit dem VW-Projekt zu tun gehabt hätte. Der Kläger habe damit erheblich gegen die Regeln zur IT-Sicherheit von Deloitte verstoßen.
Zudem habe er mit Veröffentlichung der Interna gedroht. Deshalb bestehe der Verdacht, dass der Kläger die Daten zu anderen Zwecken als dienstlichen transferiert habe. Und selbst die dienstliche Nutzung sei nicht zulässig, weil es um die Sicherheit von Kundendaten gehe.
Darüber hinaus verwies der Anwalt von Deloitte auf eine Vorgeschichte: Frühere Vorwürfe des Klägers wegen Mobbing und bei einer Beförderung wegen seines Alters diskriminiert und übergangen worden zu sein, hätten sich nicht bewahrheitet.
Die Vorwürfe Deloittes wertete der Richter als so erheblich, dass sie eine Kündigung rechtfertigen könnten – wenn sie denn zuträfen. Der Kläger wiederum wies sie zurück, er könne die Ausführungen widerlegen.
Die Fronten sind verhärtet
In Arbeitsprozessen regen die Richter gewöhnlich einen außergerichtlichen Vergleich an. Während Deloitte Bereitschaft dazu signalisierte, machte der Anwalt des Klägers klar: „Es geht meinem Mandanten um Gerechtigkeit.“ Man sei zwar gesprächsbereit, könne sich aber derzeit keinen Vergleich vorstellen, der das abbilde. Daran änderte auch eine kurze Verhandlung der beiden Anwälte vor der Tür des Gerichtssaals nichts.
Die Fronten sind verhärtet. „Beide Seiten bangen um ihren guten Ruf. Das ist schwierig, schnell in den Griff zu bekommen“, sagte der Richter. Er machte klar, dass die weitere Prozessführung die Repute beider Seiten vermutlich auch nicht fördere.
Nach Scheitern des Gütetermins müssen beide Parteien in den kommenden vier Wochen ihre Schriftsätze einreichen. Dann könnte es zu einer Verhandlung in der Sache kommen. Der Kläger versucht jedenfalls, mit dem Scheitern des Gütetermins den Druck auf Deloitte zu erhöhen.
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