Paris, Berlin Emmanuel Macron gab sich beim EU-Gipfel in Versailles kämpferisch. Europa, sagte der französische Präsident vor zwei Wochen, werde konsequent auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagieren. Die zusätzlichen Milliarden für die Verteidigung müssten vor allem in europäische Rüstungsgüter fließen, eine auf Rüstungsimporten basierende Verteidigungsgemeinschaft „ergebe keinen Sinn“.
Einen Tag später gab Deutschland bekannt, 35 amerikanische Kampfjets vom Typ F-35 zu kaufen. Die Flugzeuge des Herstellers Lockheed Martin sollen die veraltete Tornadoflotte ersetzen. Zwar sagte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), dass man weiter zur gemeinsamen Entwicklung eines Luftkampfsystems (Future Fight Air System, FCAS) mit Frankreich stehe: „Das haben wir auch unserem französischen Companion ganz klar vermittelt.“
Doch die Einkaufspläne wurden in Paris mit Verwunderung aufgenommen. Schließlich gehören die F-35 zu den modernsten Kampfflugzeugen der Welt und könnten deshalb mehr sein als eine Übergangslösung bis zur geplanten FCAS-Einsatzbereitschaft im Jahr 2040. Auf deutscher Seite wiederum gibt es Misstrauen, dass Frankreich bei den gemeinsamen Investitionen vor allem das Wohl seiner heimischen Rüstungsindustrie im Blick hat.
Joël Barre, Leiter der Generaldirektion Rüstung im französischen Verteidigungsministerium, verweist auf das Bekenntnis von Olaf Scholz zu FCAS, an dem neben Frankreich und Deutschland auch Spanien beteiligt ist.
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Man sei mit der deutschen Regierung „auf einer Wellenlänge“, sowohl für Berlin als auch für Paris hätten die gemeinsamen Rüstungsprojekte Priorität.
In der Tat hatte der Bundeskanzler bei der Ankündigung des 100-Milliarden Euro-Sondervermögens für die Bundeswehr betont, dass man „die nächste Technology von Kampfflugzeugen und Panzern gemeinsam mit europäischen Partnern und insbesondere Frankreich hier in Europa bauen“ werde.
Doch in der Realität gestaltete sich die Kooperation in den vergangenen Jahren alles andere als einfach. Immer wieder blockieren Rivalitäten zwischen den beteiligten Ländern und den beteiligten Unternehmen Fortschritte bei den Projekten. Und den Franzosen gelang es besser, ihre Interessen durchzusetzen als den Deutschen – nicht zuletzt, weil die Rüstungsbranche in der Bundesrepublik von der Politik stiefmütterlich behandelt wurde.
Auch dank des Einsatzes der Pariser Regierung wird der prestigeträchtige FCAS-Auftrag federführend vom französischen Unternehmen Dassault getrieben. Der vor allem in Deutschland angesiedelte Rüstungsarm von Airbus ist Juniorpartner. Dassault und Airbus zanken sich derzeit über die weitere Arbeitsaufteilung. Noch herrscht keine Klarheit über die nächste Entwicklungsphase, die eigentlich im April beginnen soll.
Dassault-Chef Éric Trappier sagte kürzlich: „Die zusätzlichen Forderungen von Airbus überschreiten für uns rote Linien.“ Frankreichs Rüstungsdirektor Barre räumt ein: „Die Schwierigkeit, die wir bei FCAS haben, ist, dass wir zwei konkurrierende Flugzeugbauer zur Zusammenarbeit bringen müssen.“
Ähnlich schwerfällig gestaltet sich die Kooperation beim „Hauptbodenkampfsystem“ (MGCS), hinter dem sich vor allem der zukünftige Kampfpanzer verbirgt, der den deutschen Leopard 2 und den französischen Leclerc ab dem Jahr 2035 ersetzen soll. Bei diesem Projekt sollte eigentlich Deutschland hauptverantwortlich sein.
Mit der Entwicklung beauftragten Paris und Berlin ein Konsortium aus der französischen Nexter und den deutschen Firmen Krauss-Maffei Wegmann (KMW) sowie Rheinmetall. Mit dem Zusammenschluss von Nexter und KMW zur Wehrtechnik-Gruppe KNDS habe sich das Gewicht indes Richtung Frankreich verschoben, heißt es von deutschen Verteidigungsexperten. Frankreichs Rüstungsdirektor Barre kommentiert die Lage beim MGCS so: „Das Projekt geht voran, aber sicherlich nicht mit einer außergewöhnlichen Geschwindigkeit.“
Dass Deutschland und Frankreich auch weiter Rivalen bei der Rüstung sind, zeigt sich am stärksten bei den Marinewerften. Mehrfach hat die französische Naval Group versucht, den deutschen Konkurrenten Thyssen-Krupp Marine Programs (TKMS) zu übernehmen. Die Bundesregierung blockierte aber das Vorhaben, selbst als Thyssen-Krupp verkaufswillig struggle. Zu groß struggle die Sorge, dass die deutschen Standorte dichtgemacht und die Aktivitäten nach Frankreich verlagert werden.
>> Lesen Sie dazu auch: Rüstungsindustrie bereitet höhere Produktion vor – Rheinmetall bietet Milliardenpaket anDeutsche Werftmanager und Verteidigungspolitiker beklagten, dass Frankreich eine Hegemonie über das Geschäft anstrebe. Mit Italienern und Briten sehen sich die Deutschen mehr auf Augenhöhe. „Da ist eine echte Partnerschaft möglich“, sagt eine Supervisor aus der Rüstungsindustrie, der ungenannt bleiben wollte. Ihm sei auch vonseiten der Bundesregierung gesagt worden, sich nicht eng an die Franzosen zu binden.
Als mahnendes Beispiel sei ihm dabei Airbus genannt worden, betonte der Supervisor. Der Konzern ist durch die Fusion deutscher und französischer Firmen geformt worden. Einst als Gemeinschaftsfirma geplant, ist Airbus inzwischen eher unter französischer Kontrolle – zumindest beim zivilen Luftfahrtbereich. Vertreter von Airbus betonen indes, dass der militärische Geschäftsbereich auf Druck der Deutschen integriert wurde. Frankreich habe eigentlich einen rein zivilen europäischen Flugzeughersteller gründen wollen.
Problematisch können grenzüberschreitende Rüstungsvorhaben auch werden, wenn es darum geht, die teuren Entwicklungskosten über Exporte teilweise wieder einzuspielen. In der Vergangenheit hatte es dabei immer wieder Reibereien gegeben, etwa weil Großbritannien den gemeinsam mit Deutschland, Italien und Spanien gebauten „Eurofighter“ trotz eines deutschen Waffenembargos weiter nach Saudi-Arabien liefern wollte.
Laut Bundesverteidigungsministerium werden in Projekten, an denen mehrere Nationen beteiligt sind, die Exportregeln vorher durch Regierungsabkommen festgehalten. Während Frankreich in seiner Revue Stratégique aus dem Jahr 2017 den Export als „zentral für eine wettbewerbsfähige Verteidigungsindustrie und den Erhalt von wehrtechnischen Kompetenzen“ bezeichnet, haben SPD, Grüne und FDP in Deutschland in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die Rüstungsexportregeln möglichst auf europäischer und auf nationaler Ebene restriktiver handhaben zu wollen.
„Wir sollten restriktiv sein im Export aus Europa heraus“, sagte die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sara Nanni, dem Handelsblatt. „Wenn Rüstungsgüter dann für uns selbst teurer werden, dann ist das eben so.“ Die Kosten könne man durch verstärkte gemeinsame Beschaffung und eine größere Interoperabilität wieder hereinholen.
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