Berlin Der Job als Verteidigungsministerin ist undankbar. Christine Lambrechts CDU-Vorgängerinnen Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer waren vor allem Mangelverwalterinnen, die mehr oder weniger hilflos zusehen mussten, wie die Bundeswehr kaputtgespart wurde.
SPD-Frau Lambrecht kann zwar nun finanziell aus dem Vollen schöpfen – aber nur, weil durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine die bedingte Einsatzbereitschaft der Bundeswehr plötzlich als existenzielle Frage wahrgenommen wird.
Lambrecht hat nun Geld für neue Waffen und eine bessere Ausstattung der Soldaten. Aber gleichzeitig muss sie den Bürgern die Angst vor einem Übergreifen des Kriegs nehmen und die Ukraine, die lautstark mehr deutsche Unterstützung fordert, vertrösten, weil die Bundeswehr clean ist und für zusätzliche Waffenlieferungen erst selbst auf Einkaufstour gehen möchte.
Es gibt deshalb wohl wenige im politischen Berlin, die gerne mit der 56-jährigen Juristin tauschen würden. Auch Lambrecht selbst, die unter Kanzlerin Angela Merkel Justizministerin conflict, hatte sich ihre politische Laufbahn wohl anders vorgestellt – galt sie nach dem überraschenden SPD-Wahlsieg doch als klare Favoritin für das Innenressort. Doch Kanzler Olaf Scholz machte sie zur Chefin über die Streitkräfte.
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Glaubt man SPD-Kreisen, dann wurde Lambrecht im Verteidigungsministerium an der Berliner Stauffenbergstraße aber gewissermaßen nur „geparkt“. Denn im Herbst 2023 stehen in Hessen Landtagswahlen an. Bis dahin sollte Nancy Faeser als Bundesinnenministerin bundesweit Bekanntheit erlangen, um sich dann um die Nachfolge des hessischen Regierungschefs Volker Bouffier zu bewerben. Sollte Faeser als Ministerpräsidentin oder Oppositionsführerin nach Wiesbaden wechseln, könnte Lambrecht doch noch ihren Traumjob übernehmen, so die Planspiele.
In die ihr zugedachte Rolle musste sich die Oberbefehlshaberin über die knapp 184.000 Bundeswehrsoldaten erst finden. Nach ihrem Amtsantritt gab es in der SPD-Bundestagsfraktion Klagen, es habe über Wochen keinerlei Austausch mit der Ministeriumsspitze gegeben. Auch ihre Personalpolitik ist nicht unumstritten.
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Dass Deutschland der von Wladimir Putins Armee bedrohten Ukraine anfänglich nicht mehr liefern wollte und konnte als 5000 Helme, hat Lambrecht nicht allein zu verantworten. Die Lieferung aber als „ganz deutliches Sign“ an das damals nur vom Krieg bedrohte Land zu verkaufen, conflict ein kommunikatives Desaster.
Es fiel aber noch in die 100-Tage-Schonfrist der neuen Bundesregierung, die mittlerweile um ist. Von Lambrecht wie auch den anderen Kabinettsmitgliedern wird jetzt erwartet, dass sie liefern. Die Verteidigungsministerin mache das sehr wohl, heißt es vom liberalen Koalitionspartner. „Nach anfänglicher Skepsis bin ich von der Ministerin und ihrer Entschlossenheit positiv überrascht, ambitioniert den Koalitionsvertrag abzuarbeiten“, sagt der verteidigungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Marcus Faber.
Das Arbeitsprogramm von SPD, Grünen und FDP enthält durchaus Punkte, die für die SPD lange tabu waren, wie die Anschaffung bewaffneter Drohnen. Auch dass Lambrecht bisher nicht als Verteidigungspolitikerin aufgefallen ist, findet Faber nicht dramatisch: „Mit Siemtje Möller und Thomas Hitschler hat die Ministerin zwei Staatssekretäre, die schon lange im Thema sind“, sagt er.
In ihrer Antrittsrede im Bundestag Mitte Januar, als sie noch Hoffnung auf eine diplomatische Lösung der Ukraine-Krise hatte, versprach Lambrecht eine bessere Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten und eine Reform des Beschaffungswesens. Außerdem müssten die Ausgaben für Verteidigung weiter steigen – auch wenn Geld nicht alles sei.
Umso überraschter conflict man im Kanzleramt und im Bundesfinanzministerium, dass die Ministerin bei der Haushaltsaufstellung zusätzliche Finanzmittel einforderte – über das von Kanzler Scholz angekündigte 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen hinaus. Der Regierungschef habe immer klar gemacht, dass die gerade erneuerte Zusage an die Nato-Accomplice, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu stecken, auch mithilfe des Sondervermögens erreicht werden solle, hieß es im Kanzleramt.
Lambrecht verlangte dagegen über die gesamte Legislatur weitere 100 Milliarden Euro für den regulären Verteidigungshaushalt, was die Beamten des Finanzministeriums zunächst gar nicht glauben wollten. Streit gab es auch über die Verwendung des Sondervermögens: Finanzministerium und Bundeskanzleramt wollten diese in einem Wirtschaftsplan festschreiben, das Verteidigungsressort wünscht sich dagegen mehr freie Hand.
Was mit den Milliardensummen bezahlt werden soll, darüber wollen Scholz und Lambrecht nun am Mittwoch mit Generalinspekteur Eberhard Zorn reden. Die Prioritäten stehen längst fest, die Anschaffung von F-35-Kampfflugzeugen ist bereits angekündigt, auch neue Funkgeräte, schwere Transporthubschrauber und Munition braucht die Bundeswehr dringend.
Bei den Soldatinnen und Soldaten steht die Verteidigungsministerin im Wort. Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ sagte sie gerade, es sei „nur eine Frage von Wochen, bis die ersten Verbesserungen bei der Truppe ankommen“. Beim Treffen mit ihren EU-Amtskollegen am Montag in Brüssel bot sie zudem an, dass Deutschland 2025 für ein Jahr die neue schnelle Eingreiftruppe der EU stellen könne.
Spekulationen über eine Kabinettsumbildung, die in Lambrechts Anfangszeit die Runde machten, dürften nun vorerst verstummen. Mitten im Krieg das Verteidigungsressort neu zu besetzen, sehe für die SPD dann doch unglücklich aus, soll Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) intern deutlich gemacht haben.
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