Bei einem Gespräch mit Bürgern bekommt Olaf Scholz einen Stapel Aufkleber geschenkt. Darauf steht ein umstrittener Slogan. Der Kanzler reagiert ungewöhnlich.
Bürgergespräche sind gute demokratische Tradition. Einfache Abgeordnete halten sie, aber auch der Kanzler sucht regelmäßig den Dialog mit den Menschen, so wie am Donnerstag in Dresden. Dort sagte Olaf Scholz (SPD) einen Satz, der schon kurz darauf in den sozialen Medien diskutiert wurde und bei nicht wenigen Beobachtern für Irritation sorgte.
Nachdem ein Teilnehmer aus den Reihen der Freien Wähler im Publikum einen Stapel Aufkleber mit der Parole „Diplomaten statt Granaten“ darauf überreicht hatte, mit der Bitte, sie an Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zu übergeben, stellte sich Scholz hin und nahm eben jene Parole selbst in den Mund. „Ja, Diplomaten statt Granaten ist der Satz, den wir gemeinsam skandieren in Richtung Kreml, nach Moskau“, sagte der 65-jährige Regierungschef. Dabei lächelte Scholz und ballte die linke Hand zur Faust – eine Geste, die an die Demonstrationen der Arbeiterbewegung ebenso erinnert wie an die Friedensbewegung der frühen Achtzigerjahre. Scholz grinst, als er die Geste macht, im Publikum brandet vereinzelt Applaus auf.
Weniger Applaus gab es für den kurzen Austausch des Kanzlers mit dem Bürgeraktivisten in den sozialen Medien. Dort fragen sich zahlreiche Nutzer, ob der Kanzler nicht etwa in der SPD ist, sondern Mitglied der AfD oder des Bündnis Sahra Wagenknecht. Scholz wird in einigen Kommentaren unterstellt, durch die Verwendung der Wörter „gemeinsam“ und „wir“ eine prorussische Position zu übernehmen.
Regierungssprecher sieht sich zu Erklärung genötigt
Sowohl rechtspopulistische als auch linkspopulistische Parteien fordern seit Langem statt Waffenlieferungen an die Ukraine Friedensverhandlungen mit dem diktatorischen Regime von Wladimir Putin. Auch Scholz betont immer wieder die Bedeutung von Friedensinitiativen, er selbst hatte sich mit Wladimir Putin sowohl vor als auch nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs getroffen. Ohne Erfolg.
Ein Videoclip des Scholz-Auftritts machte im Netz sofort die Runde, dabei handelte es sich jedoch um eine verkürzte Version jener Szene, in der die Interaktion mit dem Mann im Publikum nicht zu sehen ist. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sah sich daher noch am Donnerstagabend genötigt, den von Scholz zitierten Satz in den Kontext der Vorgänge beim Bürgerdialog zu stellen.
„Beim Kanzlergespräch wurde dem Kanzler ein Zettel mit dem Satz ‚Diplomaten statt Granaten‘ überreicht, um diesen an die Außenministerin weiterzugeben. Der Kanzler zitierte den Slogan – mit dem Zusatz, dass die Forderung an Moskau zu richten ist“, schreibt Hebestreit bei X. Demnach soll Scholz‘ Zitat auf den Diktator im Kreml gemünzt, mitnichten jedoch eine Beschreibung der eigenen Politik gewesen sein.
„Ich will nur eins noch mal sagen“, sagt Scholz
Den ganzen Wirbel hätte sich Scholz wohl leicht ersparen können. Nachdem der Bürger Scholz nämlich seine Geschenke überreicht hatte, darunter der Stapel mit den Aufklebern, hatte Moderatorin Anja Koebel schon die nächste Fragestellerin aufrufen wollen, doch der Kanzler intervenierte – und ließ sich auf das Geplänkel mit dem Mann im knallgelben Hemd ein. „Ich will nur eins noch mal sagen, weil Sie es ja angesprochen haben“, sagte Scholz.
Der Mann ist kein Unbekannter. Es handelt sich um Thorsten Küllig, ein ehemaliger Beamter des Freistaats Sachsen. Küllig ist Mitglied der Freien Wähler Dresden (FW). Die Partei, die 2019 den Sprung in den Stadtrat schaffte, gilt als umstritten. Ihr werden rechte Tendenzen zugeschrieben, unter anderem pflegen die FW gute Verbindungen zur AfD und stimmen in Dresden auch regelmäßig deren Anträgen zu.
Erst vor wenigen Tagen eskalierte der Streit zwischen den Freien Wählern Sachsen und dem Bundesverband der Partei. Diese hatte von dem Landesverband gefordert, die Brandmauer zur AfD einzuhalten, also eine deutliche Abgrenzung von der als in Teilen rechtsextrem eingestuften AfD verlangt. Der Chef der sächsischen FW, Thomas Weidinger, weigert sich jedoch, dieser Aufforderung nachzukommen.