Zwei Jahre Krieg in der Ukraine – eine Ukrainerin aus Nürnberg hat seitdem keine ruhige Minute mehr. Welche Erlebnisse sie mit dem Krieg verbindet.
Am Samstag jährt sich der Tag des Kriegsbeginns in der Ukraine zum zweiten Mal. In Nürnberg finden zum Jahrestag zwei Demonstrationen statt. Eine wird von Viktoriya Levynska mitorganisiert. Sie ist selbst in der Ukraine schon unter Beschuss geraten, der Mann ihrer Nichte kämpft als Soldat an der Front. Im Interview mit t-online spricht Levynska darüber, wie der Krieg ihr Leben verändert hat.
t-online: Frau Levynska, sie leben seit 20 Jahren in Nürnberg. Als Ukrainerin verfolgen Sie natürlich auch die Entwicklungen in Ihrer Heimat. Seit zwei Jahren tobt dort Krieg. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf den Jahrestag?
Viktoriya Levynska: Der Angriff Russlands ist zwei Jahre her. Tatsächlich sind wir aber schon zehn Jahre permanent im Krieg – nämlich seit der Annexion der Krim. Wir Ukrainer sind tapfer, fühlen uns aber auch müde nach den letzten zwei Jahren. So geht es mir auch. Der Jahrestag mobilisiert uns. Wir sind in Deutschland in jeder Stadt vernetzt – ob in Nürnberg, München, Hamburg oder Berlin. Wir halten auf jeden Fall zusammen und werden demonstrieren. Wir wollen den Tag nutzen, um zu zeigen, was die letzten zwei Jahre passiert ist. Gemeinsam gehen wir am Samstag auf die Straße – auch, um Waffen zu fordern.
Zur Person
Viktoriya Levynska ist in der Westukraine aufgewachsen. Für ihr Studium ist sie dann nach Deutschland gezogen. Mittlerweile lebt und arbeitet sie seit 20 Jahren in Nürnberg. Gemeinsam mit der ukrainischen Community organisiert sie Hilfslieferungen für ihre Heimat – von Generatoren über Verbandsmaterial bis hin zu selbstgemachten Riegeln als Verpflegung für die Armee. Für die Ukraine wünscht sie sich eine Zukunft in der Europäischen Union, sie versucht mit diversen Projekten den Weg dorthin zu unterstützen.
Sie kennen viele Ukrainer, die schon lange in Nürnberg leben, aber auch ukrainische Kriegsflüchtlinge. Wie hat der Krieg die Community verändert?
Natürlich gibt es in Nürnberg viele Flüchtlinge, viele Ukrainer, auch viele ukrainische Studenten, ich verstehe mich aber als ukrainische Aktivistin. Wir Aktivisten haben die letzten Jahre viel gemeinsam auf die Beine gestellt. Wir organisieren Demonstrationen in Nürnberg, unterstützten die Armee mit Hilfslieferungen von Nürnberg aus. Zum Beispiel haben wir den Verteidigern schon eine Art Müsliriegel zur Verpflegung an die Front geschickt. Zum Jahrestag hoffe ich, dass alle zu den Demonstrationen in Nürnberg kommen und alle Ukrainer zusammenhalten.
Ihre Mutter lebt in der Westukraine. Als der Krieg ausgebrochen ist, haben Sie aus Sorge um Ihre Familie kaum geschlafen. Wie geht es Ihnen jetzt?
Ich stehe immer noch jeden Tag zu 100 Prozent unter Strom. Ich weiß nicht, was in der nächsten Stunde passiert in der Ukraine. Sie müssen sich das einmal vorstellen: Die Russen bombardieren unser Land tagein, tagaus. Jeden Tag sterben Menschen, jeden Tag begraben wir Soldaten. Mit meiner Familie und meiner Mama stehe ich immer in Kontakt, egal was ist. Ich habe auch Apps, die mir zeigen, wo gerade Raketen fliegen und Kampfdrohnen unterwegs sind. So bekomme ich mit, was in meiner Heimat passiert und wann sich die Menschen im Keller verstecken müssen. Das Thema ist also immer da, wir Ukrainer stehen mit den Gedanken an den Krieg auf und gehen mit ihm auch wieder ins Bett. Wir sind chronisch müde, aber der Krieg ist noch nicht vorbei. Das kostet Ressourcen, physisch und psychisch. Jeder muss seinen Weg finden, damit umzugehen. Ich versuche, auch anderen zu helfen. Es gibt zum Beispiel Menschen, die mich anrufen, um zu weinen.
So etwas zu erleben, wünsche ich keinem.
Viktoriya Levynska, Ukrainische Aktivistin in Nürnberg
Sie haben ihre Mutter in der Ukraine einmal während des Kriegs besucht. Damals sind Sie unter Beschuss geraten.
Das war im Oktober 2022. Ich bin in die Ukraine gereist, weil meine Mama operiert werden musste. Ich stieg zu Hause aus dem Bus, und das Erste, was ich am Himmel gesehen habe, waren Kampfdrohnen. Alle Menschen sind gerade in den Keller gerannt. Ich saß mit den Nachbarn in einem. Die Kinder haben dort ihre Hausaufgaben gemacht, die Menschen haben zusammen Tee getrunken. Das war die erste Bombardierung, die ich erlebt habe. Ich war so erschrocken, dass ich im Keller ein Testament aufgenommen habe. Ich habe ein Video gemacht und gesagt, liebe Menschen, ich weiß nicht, ob wir in einer halben Stunde noch leben. Bitte helfen Sie der Ukraine weiter. Das war wirklich ein Horror, die Kinder im Keller zu sehen und außen immer wieder die Drohnenangriffe und den ständigen Alarm zu hören. Meine Mama konnte wegen der Angriffe im Krankenhaus nicht operiert werden, sie wurde mit den anderen Patienten in einen Bunker gebracht. Erst als die ukrainische Armee die Drohnen abgeschossen hatte, durften wir wieder nach draußen – nach vollen fünf Stunden. So etwas zu erleben, wünsche ich keinem. Das war aber alles in der Westukraine, da habe ich mich gefragt, was erleben die Menschen in Charkiw oder Mariupol im Osten?