Integrationsexperte Mansour attestierte Deutschland anlässlich des Attentats in Mannheim einen „Grundfehler in der Betrachtung von Integration“. Eine Journalistin kritisierte indes das Vorgehen der Polizei.
Der mutmaßlich islamistisch motivierte Polizistenmord in Mannheim schockiert ganz Deutschland – und hat die Debatte um Islamismus und eine Veränderung der Migrationspolitik neu entfacht. Auf einen Konsens kam man diesbezüglich am Dienstagabend bei „Markus Lanz“ mitnichten, oder wie es Mansour formulierte: „Ich gehe heute mit mehr Fragen als Antworten“.
Die Gäste:
- Thorsten Frei, Mitglied des Deutschen Bundestages (CDU)
- Ahmad Mansour, Integrationsexperte
- Anna Lehmann, Journalistin (taz)
- Gerald Knaus, Migrationsforscher
- Ulf Röller, ZDF-Korrespondent
Zu Beginn der Sendung wurde das Attentat in Mannheim auf Islam-Kritiker Michael Stürzenberger diskutiert, bei dem ein Polizist getötet wurde. Der mutmaßliche Täter war ein 25-jähriger gebürtiger Afghane. Die Informationslage sei noch dünn, erklärte CDU-Politiker Thorsten Frei, allerdings gebe es bereits einige Dinge, die feststehen. „Zum einen ist es ein abgelehnter Asylbewerber gewesen, der trotzdem das Land nie verlassen hat. Es gab sicherlich in der Vergangenheit auch mal ein Zeitfenster, wo eine Abschiebung möglich gewesen wäre. Mit der Frage muss man sich beschäftigen“, so Frei.
Außerdem sei es offensichtlich, dass man es mit einem islamistischen Attentat zu tun habe. Davon gehe auch die Generalbundesanwaltschaft aus. „Deswegen müssen wir uns mit dem Problem des politischen Islam, des Islamismus beschäftigen.“
Deutschland, so der Politiker, fehle der 360-Grad-Blick in der Islamismus-Debatte. Er kritisierte Innenministerin Nancy Faesers Abschaffung des Expertenkreises „Politischer Islamismus“. „Es ist doch ganz offensichtlich, dass das Maß an Migration letztlich auch dazu geführt hat, dass Integration nicht mehr hinreichend gelungen ist und Parallelgesellschaften entstanden sind“, so Frei.
Lehmann: „Wie konnte dieser Einsatz so dilettantisch verlaufen?“
Die taz-Journalistin Anna Lehmann übte Kritik an der Vorgehensweise der Polizei beim Attentat und fragte: „Wie konnte dieser Einsatz so dilettantisch verlaufen? Wieso musste dieser junge Polizist sterben?“
Außerdem betonte sie, dass es sich bei Stürzenberger „um einen bekannten Islamhasser, der vom Staatsschutz beobachtet wird“ handle, „[…] der ein Extremist war und der in einer migrantisch geprägten Einwandererstadt steht und seine Parolen über den Marktplatz brüllt.“ Hier habe man von einer Gefährdungslage ausgehen müssen. „Wie kann es eigentlich sein, dass der nicht adäquat bewacht wird?“, so Lehmann.
Dafür hagelte es Kritik von Frei: „Was wollen sie denn mit dieser Relativierung erreichen?“, fragte er Lehmann und konstatierte eine Täter-Opfer-Umkehr. Man könne Stürzenberger kritisieren, wie man wolle, er habe in Deutschland jedoch das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Integrationsexperte Ahmad Mansour kritisierte das Narrativ vom „vorbildlich integrierten Asylwerber“, der sich überraschenderweise radikalisierte. „Vielleicht ist das aber unser Grundfehler in der Betrachtung von Integration. Vielleicht war auch Mohammed Atta in Hamburg, der Attentäter vom 11. September, hier in Hamburg super integriert. Er hat studiert, er hat die Sprache gelernt, er hat auch keine Straftaten begangen. Und wir dachten, das ist Integration“, so Mansour.
Immer wieder begegne er in der Politik der Auffassung, Integration bedeute Sprache plus Arbeit minus Kriminalität. Dies sei jedoch viel zu wenig, da man nicht darauf achte, ob die Menschen auch emotional in diesem Land ankämen und die Grundwerte verinnerlichten.
Mansour: „Unser Grundfehler in der Betrachtung von Integration“
Mansour stellte außerdem die These in den Raum, dass die Polizisten in Mannheim durch den jahrelangen Diskurs über Polizeigewalt in ihrer Reaktion verunsichert gewesen sein könnten. „Ich weiß, wie gefährlich Messerattacken sind und ich weiß, wie schnell das gehen muss. Vielleicht waren die Polizisten auch ein bisschen verunsichert, auch durch die Debatten, die wir führen.“
Mansour unterstellte der deutschen Politik Floskelhaftigkeit. „Wo ist die Präventionsarbeit? Wo ist die Integrationsarbeit? Wo ist die Bekämpfung von islamistischen Strukturen? Wo sind die Abschiebung von Gefährdern, die in diesem Land nichts zu suchen haben? Wo ist der Schutz für diejenigen, die von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch machen und sich dagegen stellen wollen?“, so Mansour.
Ulf Röller: Deutschland hat emotionale Identitätskrise
Aus Belgien zugeschaltet war an diesem Abend ZDF-Korrespondent Ulf Röller, der zunächst vom bekannten Problemviertel Molenbeek berichtete, der aber auch die europäische Sicht auf Deutschlands Status quo beschrieb. Ihm zufolge blicken viele Europäer auf Deutschland und bemerken, „wie schnell diese Gesellschaft tiefgehend erschüttert ist“.
„Viele Europäer sagen, Deutschland ist in einer emotionalen Identitätskrise, die fast darüber hinausgeht, was bei anderen Ländern in Europa stattfindet. Das ist gefährlich, weil das für Europa destabilisierend wirkt“, so Röller. Über eines schien man sich in der Talkrunde indes einig: Deutschland tut nicht gut daran, dieses Thema ausschließlich der extremen Rechten zu überlassen.